4. Der 38. Psalm


Auff die Weise deß 91.

[170] Wer in deß Allerhöchsten Hut; oder: Durch Adams Fall.


O Herr Gott brich doch nicht herfür,

Mit deines Eyffers Flammen:

Es schlage ja nicht über mir

Dein heisser Zorn zusammen;

Hör auff und zeuch doch wider ein,

Diß strenge Stieffgemüthe;

Laß deinen Grimm nicht höher seyn,

Als deine grosse Güte.


Mein Fleisch ist nicht von Menschen wund,

Da Menschen wider heylen;

Du hast mich selbst biß auff den Grund

Versehrt mit scharffen Pfeilen.

Es lässet deine Hand und Last

Mich unter ihr kaum regen,

Sie martert mich, daß ich nun fast

Für Mattigkeit erlegen.


Dein schwärer Zorn hat diß gethan,

Daß ich an meinem Leibe

Nichts sehen oder fühlen kan,

Das unverletzet bleibe.

Dein Haß und mein Verbrechen macht,

Daß ich nicht Ruh mag finden,

Daß alles sich an mir verwacht,

Auch die Gebeine schwinden.


Der Sünden Krafft beginnt so weit

Mir Schwachen obzusiegen,

Daß ihre Höhe nun bereit

Mein Häupt hat überstiegen:

Der schnöden Mängel hartes Joch,

Die meine Schultern plagen,

Ist freylich gar viel schwärer noch,

Als daß ich es sol tragen.


Ich bin an solchen Wunden kranck,

Die sich nicht stillen lassen,

Die faules Eyter und Gestanck

Mit grosser Abscheu fassen.

Was aber dieses macht und thut

Da kömpt von meinem Willen,

Von Thorheit, die mein Uebermuth

Erhitzt war zu erfüllen.


Mein hartes Uebel presset mich

So, daß ich krum muß gehen

Es druckt mein Antlitz unter sich

Gerade nicht zu stehen.

Ich trett' in schwartzen Kleydern her,

Als Zeichen meiner Sorgen,

Die mich begleyten mit Beschwer

Biß in die Nacht und Morgen.
[170]

Ich Armer schleppe kaum herein

Die abgezehrte Lenden,

Das Eingeweyd ist von der Pein

Verdorret aller Enden;

Vom Wirbel an biß auff den Fuß

Ist nichts befreyt der Plage,

Kein Glied ist, das nicht zeugen muß

Von Kranckheit, so ich trage.


Ich bin nicht mehr nun, der ich zwar

Vor dieser Zeit gewesen,

Als ich bey guten Kräfften war;

Jetzt kan ich nicht genesen,

Muß heulen wie ein grimmes Thier

Für Ungedult und Schmertzen,

Für Brausen, welches für und für

Mir wohnet in dem Hertzen.


Nun, Herr, was sol ich dir so viel

Von meiner Sache klagen?

Du weissest doch des Wundsches Ziel,

Den ich dir vor wil tragen.

Diß, so in meinem Sinne liegt,

Ist gantz dir unverborgen:

Es ist dir klar, wie mich bekriegt

Das Seufftzen meiner Sorgen.


Mein Hertze wil mir durch die Brust

Und geht mit schnellen Schlägen,

Die Krafft in mir hat fort gemust,

Sie kan sich nicht mehr regen;

Der hellen Augen schönes Liecht

Hat gäntzlich abgenommen,

Es ist nur von mir mein Gesicht'

Und von sich selber kommen.


Die Leute, denen ich vorhin

Gewesen gar viel lieber,

Die Freunde, derer Scheu ich bin,

Stehn alle gegenüber;

Die gantze Schar der Nachbarschafft

Schleicht furchtsam nach der Seiten,

Betrachtet meine schwache Krafft

Mit Eckel gar von weitem.


Es hält ein solches Volck auch Rath,

Mich in Gefahr zu setzen,

Das meinen Tod geschworen hat

Und stellet mir mit Netzen.

Ihr gantzes Tichten geht dahin,

Wie sie mich rücken wollen,

Wie sie mich, der ich sonst kranck bin,

Der Schlachtbanck lieffern sollen.


Ich aber muß durch Stilleseyn,

Die Qual mir selbst vermehren,

Muß Ohren haben, ach der Pein,

Und doch darmit nicht hören.

Mein bleicher Mund darff anders nicht,

Als nur mit Schweigen klagen,

Und was bey mir das Hertze spricht,

Steht mir nicht frey zu sagen.


Ich bin als wie ein tauber Mann,

Dem sein Gehör entgangen,

So daß er nichts vernehmen kan,

Vermag kein Wort zu fangen;

Bin stumm als einer, welcher gar

Die Zunge nimmer reget,

Nicht Zeugnuß gibt, ein Ding sey wahr,

Noch falsches widerleget.


Doch, Herr, mein Hort, ich halte mich

In diesem meinem Leyden

Allein an deine Hülff und dich;

Du wirst mich wol bescheyden;

Ich habe meine Rede nicht

Auch selbst mit dir verloren,

Du hörest, was mein Hertze spricht,

Mit gantz geneigten Ohren.


Diß aber sag' ich für und für

Und kräncke meine Sinnen,

Der lose Hauffe wird an mir

Die Augen weiden können;

Dann wann mein Fuß durch falschen Sprung

Solt' über Hauffen gehen,

Sie würden sich darob genung

Nicht wissen zu erhöhen.
[171]

Es ist nun mehr dann allzu war

Daß ich zur Angst gebohren

Und als zu stündlicher Gefahr

Deß Gleitens außerkohren,

Dieweil gewiß ein neues Leyd

Ein anders allzeit treibet,

Und meine Noth mir jederzeit

Für dem Gesichte bleibet.


Ich sage meine Missethat

Die mich in solchen Schmertzen

Zuförderst eingeführet hat,

Und beichte sie von Hertzen.

Es ist mir meiner Sünden Zahl

Nur, leider, unverborgen;

Ich bin für sie mit Neu und Qual

Auch stets in grossen Sorgen.


Hergegen aber welche mir

So feindlich wiederstreben,

Die brechen häuffig sich herfür,

Erstarcken noch und leben.

Sie haben mir der Hülffe loß

Sie zum Kopf wachsen sollen,

Und machen mit Gewalt sich groß,

Thun selber, was sie wollen.


Ja, was noch ärger, denen ich,

Doch stets für Freund gestanden,

Die gehn zusammen wieder mich,

Und lohnen mir mit Schanden.

Es pfleget mir ihr schnöder Sinn

Die Feindschafft nach zu tragen,

Bloß darumb, weil ich embsig bin,

Dem Guten nach zu jagen.


Doch mögen sie, o Herr, mein Gott,

Verfahren in dem Hassen,

Du einig wollest mich in Noth

Mit Hülffe nicht verlassen.

Es müssen ja dein Widerstand

Und Heil nicht ferren weichen.

Damit ich die Genaden-Hand

In Nöthen kan erreichen.


Ach Gott, den Trost, der mir gebricht,

Laß mich in Zeiten kriegen,

Komm bald, o Herr, und säume nicht,

Ich möchte sonst erliegen;

Komm bald, laß meine lange Pein

Dein Eilen jetzt erstatten,

Der du doch einig und allein

Ein Trost bist mir zu rathen.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 170-172.
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