Das erste Lied

[257] Die Sulamithinn.


Liebster (sagt in süssem Schmertzen

Deine Sulamithinn dir)

Komm doch, saget sie von Hertzen,

Küsse mich, o meine Zier;

Deine Huld ist zu erheben

Für deß schönsten Meines Reben.


Dein Geruch der ist viel besser

Als der feist' Olivensafft

An dem Syrischen Gewässer,

Als deß Balsams edle Krafft.

Darumb müssen auff dich schauen

Und dich lieben die Jungfrauen.


Zeuch mich hinter dir; wir kommen,

Folgen deinen Händen nach!

Nun er hat mich eingenommen,

In sein heilges Schlaffgemach,

Will mich wissen an den Enden

Wo sich meine Brunst kan wenden.
[257]

Wem darff ich am Glücke weichen,

Weil mich der so sehnlich liebt,

Dem kein Wein ist zu vergleichen

Den die beste Traube gibt?

Alle Leute welche leben

Müssen meinen Freund erheben.


Meint ihr, daß ich minder gelte,

O ihr Töchter Solyme,

Weil ich schwartz bin wie die Zelte

An der heissen Morensee?

Köndt' ich Schönheit doch noch leihen

Salomons Tapezereyen.


Daß ich braune Haut gewonnen

Seht mich darumb nicht so an;

Ich bin schwartzbraun von der Sonnen,

Ihre Brunst hat diß gethan,

Seit daß mich in Zorn und Hassen

Meiner Mutter Kinder fassen.


Ich must' ihnen stets verwachen

Ihre Berg' und ihren Wein,

Ihre Berge, welche machen

Daß ich jetzund schwartz soll seyn.

Aber mein Berg blieb nur liegen,

Weil ich muste sie vergnügen.


Sag', o Sonne meiner Seele,

Sage doch, wo weidest du?

Welchem Thale, welcher Höle

Gönnst du deine Mittagsruh?

Wo doch pflegst du jetzt zu schlaffen,

Mein gantz Ich, mit deinen Schaffen?


Soll ich dann in frembden Stellen

Irrig gehen auß und ein

Weit von deinen Mitgesellen,

So dir pflegen huld zu seyn,

Soll ich ungebührlich lauffen

Von der guten Freunde Hauffen?


Salomon.


O du schönest' aller Frauen,

Weissest du nicht, wo ich bin,

Den du wüntschest anzuschauen,

So verfüge bald dich hin

In den Fußpfadt meiner Herde,

Da ich mich befinden werde.


Treib du deine junge Ziegen,

Wo die schönen Wiesen stehn,

Wo die andern Hirten liegen

Oder in dem Grase gehn,

Wo sie ihre dicke Scharen

Lustig weiden und bewahren.


Wie für andern Wagenpferden

König Pharons seine Schlacht

Billich soll gelobet werden,

So muß ich auch deine Pracht,

Deinen güldnen Glantz erheben,

O mein Liecht, mein Trost und Leben.


Deine bräunlicht rote Wangen,

Welche meine machen bleich,

Stehen lieblich in den Spangen,

Sind durch grossen Zierath reich:

Und dein Halß trägt edle Steine,

Die er übertrifft am Scheine.


Nun wir wollen noch mehr Sachen

Bringen lassen dir zur Zier,

Und ein neues Halßbandt machen

Das für allen leuchte für:

Spangen sollen dir gefallen

Von den köstlichen Metallen.


Die Sulamithinn.


Weil der König und sein Leben

Sich gebrauchten ihrer Zeit,

Muste meine Narden geben

Den Geruch der Liebligkeit,

Muste Lufft und Ort erfüllen

Weil sie ihre Liebe stillen.
[258]

Könte mein Gemüth auch irren?

Mein Hertzliebster kompt mir für

Als ein Büschlein frischer Myrrhen

Zwischen meiner Brüste Zier,

Als die Trauben, welche stehen

Auff deß Flecken Engadts Höhen


Salomon.


Meine Schönste, meine Wonne

Deines gleichen lebet nicht;

Du bist aller Schönheit Sonne;

Deinen Augen, o mein Liecht,

Müssen Taubenaugen weichen,

Ihrem Glantz' ist nichts zu gleichen.


Die Sulamithinn.


Du bist schön' und außerlesen;

Unser Bette grünet wol;

Unser Cedern-Zimmerwesen

Und der Bau ist Schönheit voll;

Zu den Decken sind Cypressen;

Nichts ist an der Lust vergessen.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 257-259.
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