Der erste Act

[60] Der erste Hirt.


Unter diesem Schatten hier

Liegt das grimme Wunderthier;

Ihr Hirten weicht, geht weg ihr Schäfferinnen,

Schaut, daß kein Ast sich nicht bewegt,

Daß kein Geräusche sich erregt,

Es wird sonst euer innen.


Der andere Hirt.


So müssen wir dann auß Gefahr

Die süssen Felder meyden

Und können unser Vieh unnd weissen Lämmer Schar

Nicht sicher weyden?


[60] Der dritte Hirt.


O Jupiter, der du mit Donner-Flammen

Erschütterst See und Landt,

Nim deinen Plitz und Hagel gantz zusammen,

Beut her die starcke Hand;

Komm uns Armen doch zu Steuer

Wider dieses Ungeheuer.


Der erste Hirt.


Umb diesen Wald und Schatten haben wir

Bißher gesehn das Blutgetränckte Thier.


Echo. Hier.


Wie daß ich jetzund sicher bin?

Ists weg, ists anderswo dann hin?


Echo. Hin.


Ich weiß nit, wie ich doch diß Ebentheuer deute.

Kömpt es ins künfftig auch noch wider für uns Leute?


Echo. Heute.


Ach! Ach, wer dann tröstet mich,

Wann das Thier lässet sehen sich?


Echo. Ich.


Wer bistu, welcher mir verheist so grosse Wonne?

O bester Trost, den je beschienen hat die Sonne,


Echo. Die Sonne.


Bist du der Gott auß Delos, welcher sich

Mir zeigen will? O Sonne, hör' ich dich?


Echo. Ich dich.


Du, du hast Pfeil' und Krafft, drumb steure der Gewalt

Der grimmen Bestien, o Phebus, also bald.


Echo. Bald.


Apollo.


So ist dann nun dem Drachen

Durch meines Bogens Macht

Gestillt der wilde Rachen?

Umbringt ihn nun die Nacht,

Der vor die Pest der Erden,

Die Scheu der Menschen war?

Ihr Hirten, bringt die Herden,

Ihr seydt nun auß Gefahr.

Ihr Nymfen, windet Kräntze,

Hegt schöne Lobe-Täntze,

Kompt kühnlich in den Wald,

Singt, daß die Heyd' erschallt.

Das Thier wird nicht forthin

Die Lufft vergifften können

Und Kranckheit nach sich ziehn.

Erfrischet Hertz und Sinnen,[61]

Die Wangen müssen nun euch nachmals nicht verbleichen,

Sie sollen Lilien und roten Rosen gleichen;

Dann die Schlang' ist umgebracht,

Die euch Kummer hat gemacht.


Chor der Hirten.


Du grosser Gott, der du den Feuer-Wagen

Rings umb den schönen Himmel führst,

Der du den Tag, so offt es pflegt zu tagen

Mit einem güldnen Mantel ziehrst,

Daß der helle Schein sich dringet

Durch der finstern Nächte Ruh,

Daß uns klares Liecht umbringet,

O Apollo, das machst du.


Daß auff den Frost diß grosse Rundt der Erden

Sein graues Winter-Kleyd ablegt,

Daß Wiesen, Feld und Wald verjünget werden,

Daß deß Geflügels Heer sich regt,

Daß sie in den Lüfften fliegen

Und uns lieblich singen zu,

Daß die Bäume Bletter kriegen,

O Apollo, das machst du.


Du Künste-Gott, du Artzt, du Traumaußleger,

Du Senger-Fürst, du Kraußpenhaar,

Du Immer-jung, du Meister aller Jäger,

Von dir kömpt alles gantz und gar;

Doch dein Pfeil und schneller Bogen,

Deines güldnen Köchers Pracht,

Wird dem allen für gezogen,

Was dich sonst berühmet macht.


Wer kondt' ohn dich, o Phebus, überwinden

Das wilde Gifft- und Flammen-Thier?

Komm, Cynthius, laß frische Kräntze binden

Umb deiner gelben Haare Ziehr,

Laß die Blumen, so wir haben

Dir, o Vatter, lieber seyn

Als der edlen Palmen Gaben

Und der Cedern reichen Schein.


Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 60-62.
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