4. An Herrn David Müllern, über die Geburt seiner liebsten neuen Tochter

[33] Herr Müller gieng im Schertze

Ein Wetten mit mir ein,

Sein Trost und liebstes Hertze

Brächt' ihm ein Töchterlein;

Mein Urtheil war darwider

Und rhiet' auff einen Sohn,

Ich satzt' ihm meine Lieder,

Er mir den Xenophon.

Worauff er sey gegangen,

Daß weiß ich warlich nicht,

Ich sahe dieser Wangen

Lebhasstes schönes Liecht

Und glaubte, daß sie schreiben,

Die Söhne machen roth;

Nun muß es dabey bleiben,

Ein Buch ist kein Gebot.

Wiewol, was ist gefehlet,

Weil doch ein Weibesbild

Wird für ein Mensch gezehlet,

Und auch nicht minder gilt?

Wer anders schon wil sagen,

Der kennt sich selber nicht;

Dann Menschen Menschen tragen

An dieses Tageliecht.

Was rucken wir den Frauen

Diß oder jenes für?

Die Blumen auff den Auen

Sind nicht von solcher Ziehr,

Die Sonne, wann sie stralet

Vom Mohrenlande her,

Hat schöner nie gemahlet

Das Land und breite Meer.

Ein Mann der muß nur reysen,

Ertragen Hitz und Frost,

Muß ziehn durch Eyß und Eisen

Bey schlechter Ruh und Kost,

Muß bauen, Kriege führen,

Steigt auff ein wildes Pferd,

Wird mager beym studieren,

Stirbt offtmals durch das Schwerd.

Deß Frauenzimmers Jugend

Wird sonder Sorgen groß,

Erlernet Witz und Tugend

In ihrer Mutter Schoß,

Die sie mit Lust erziehen

Biß zu derselben Zeit,

Da sie auch lernen fliehen

Die Last der Einsamkeit.

Nun wachse, liebe Kleine,

Sey deiner Eltern Ziehr,

Brich künfftig mit dem Scheine

Der edlen Zucht herfür;

Gott lasse mich erfahren

Den angenehmen Tag,

Daß ich mit greisen Haaren

Dein Brautlied schreiben mag.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 33.
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