Bücherschau

Revolutionäre Studien aus Paris (1849) von Alfred Meißner. 2 Bände. Frankfurt a.M. Literarische Anstalt. (J. Rütten.) 1849.


Da ist er, der Dichter elegischer Liebeslieder, der Träumer aus der Öde der tiefen böhmischen Wälder, in die er so oft mit seinem Schmerz sich gerettet, –[157] da ist er, der Dichter der Versöhnung, der »klagend, verzagend in der tonlosen Nacht auf der erfrorenen Erde« stand – da ist er, der Helden-Sänger des Ziska, der mit »dem grauen Zaroi« herrisch und prophetisch zugleich sang:


»So zieht denn hin, verblutende Heroen,

Euch schenkt's ein Gott, im Sterben zu bekehren,

Den Kranz von Dornen auf der Stirn, der hohen,

Sollt ihr noch andre Völker sterben lehren! –«


Da ist er, der Poet von Gottes Gnaden, Alfred Meißner, und bringt uns »Revolutionäre Studien aus Paris«. Ja, nicht einmal aus dem laut und sichtbar revolutionären Paris, sondern aus dem Paris dieses Frühjahres 1849, »dieses langen Triumph-Festes der Bourgeoisie, das nach dem Siege der Juni-Barrikaden begonnen hat und vermutlich noch lange dauern wird, bis die Bourgeoisie sich selbst ihren Untergang bereitet«. – »Aber dies ändert nichts am Charakter der Zeit, sie bleibt revolutionär, denn die Contre-Revolution ist nicht weniger Revolution, als die Revolution selbst.«

Ehe wir nun zusehen, wie der Verfasser seine Studien macht und ihn dabei da und dorthin begleiten, teilen wir noch eine Stelle des Vorwortes mit: »Nun aber wende ich mich an euch, ehrsame Bürger, Freunde der Ordnung, Leute, die ihr den Zwischen-Akt für das Ende der Tragödie haltet! Blickt auf unsere Revolution: da liegt sie vor euch, die so friedlich und so leicht zu befriedigen, so human im Februar des vergangenen Jahres an eure Tür pochte! Wie sie groß geworden ist, wie blutig, wie furchtbar! Antwortet: Erkennt ihr sie wieder? Nun aber sage ich euch: wenn sie schäumt und rast, wenn sie den Bürger-Krieg in eure Gassen trägt, wenn sie euer Eigentum unter brennenden Trümmern begräbt: Ihr habt es verschuldet! verschuldet durch euren Trotz, eure Engherzigkeit, verschuldet durch eure Furcht, die euch grausamer wie Tiere gemacht hat! Da steht sie, die Revolution, zugleich das Grab und die Wiege, der Untergang und die Schöpfung einer Welt! Sie könnte Reform sein; sie wird Bürger-Krieg durch eure Verblendung, euren Treubruch, euer Übelwollen und eure Grausamkeit. Aufhalten könnt ihr sie, das heißt verlängern, vernichten nimmermehr, denn sie ist stärker als ihr alle samt euren Bundesgenossen, und auf ihrer Stirn steht das Wort: Fatalistisch! – Da ist sie, sie wird nicht weichen und wenn sie hundert Jahre dauern sollte. Wählt! Ihr müßt sie anerkennen lernen, um euch zu retten, oder müßt sterben, indem ihr sie verflucht.« –

Dies ist der Grund-Gedanke, der durch das ganze Buch geht – und wohl zu merken: der Verfasser ist Sozial-Demokrat, er gehört zu »den von des Zukunftssturmes Nacht am weitesten Getragenen«.

Das Buch beginnt mit der »Neujahrsnacht 1840 in Köln«. »Wie das Jahr, so scheint die Völker-Bewegung in Frost erstarren zu wollen. – Ein drittes Mal ist Deutschland mit seinen Fürsten in Vereinbarung getreten, ein drittes Mal ist es getäuscht worden.« Das zweite Kapitel »Paris« schildert, »welche Kreise Frankreich gegangen«. Schlagend ist die Bemerkung: »Die alte Welt war tot, die neue noch nicht da. In der Republik, die geschaffen wurde, waren eigentlich zwei Republiken enthalten: eine politische, die zu spät, und eine soziale, die zu früh kam.« – Wir kommen dann zu einer begeisterten Schilderung des Juni-Kampfes, »der überall der Wendepunkt der europäischen Geschichte ward«. Sehr lehrreich möchten wir den Abschnitt »der Präsident« nennen, worin die Wahl des Idioten Louis Napoleon dazu mit fast 6 Millionen Stimmen[158] so erklärt wird: »die Stimmen für L. Napoleon sind in ihren unendlichen Mehrheit Stimmen gegen die anderen Kandidaten. Dort bedeuten die Stimmen für L. Napoleon: nicht die Männer des National, nicht Cavaignac, aber durch den Weg der Anarchie Ledru Rollin oder Raspail; dort wieder bedeuten die Stimmen für L. Napoleon: nicht Ledru-Rollin oder Cavaignac, aber durch den Weg der Anarchie Henri V. oder den Prinzen von Paris.« – Den Abschnitt »Ein Bankett der roten Republik« haben wir bereits ganz mitgeteilt. Höchst interessant sind im ersten Bande noch besonders: »Louis Napoleon«, der »Gläubiger des Präsidenten« und »Eine Parodie des 18. Brümaire«, nicht minder die Kammer-Schilderungen.

Das Allerbedeutendste aber im Buch ist der Abschnitt über »die soziale Bewegung« im zweiten Bande. Hier ist so viel Entschiedenheit als Klarheit, und namentlich finden wir hier so viel Übereinstimmendes mit unseren eigenen Ansichten, daß wir nicht umhin können, das hierher Gehörige lieber nächstens in einem besonderen Artikel zu besprechen, als hier nur andeutend darüber hinzufliegen.

Der Verfasser schließt mit folgenden bedeutenden Worten, in die wir aus vollster Überzeugung einstimmen: »Die Freiheit, Selbständigkeit und Souveränität muß sich ausdehnen auf die ganze Gesellschaft. Dein Reich muß kommen für alle, heilige Gleichheit! – Inzwischen wollen wir sehen, ob eure Kanonen auf die Dauer stärker sein werden, als unsere Prinzipien!« –

Wir haben nur referiert, wo wir vielleicht hätten kritisieren sollen: wir bekennen, daß, wenn ein Buch von solcher Bedeutenheit wie diese »Revolutionären Studien« uns vorliegt, mit dessen Gedanken-Inhalt und Prinzipien wir zugleich so innig sympathisieren, wie es hier der Fall ist, wir uns nicht für berufen halten, eine Kritik im gewöhnlichen Sinne zu schreiben. Dies wollen wir anderen überlassen. Uns kam es nur darauf an, unsere Leserinnen auf das eben so blühend und poetisch geschriebene, als geistreich gedachte Buch aufmerksam zu machen. Wir hoffen, daß uns dies gelungen ist, und fügen nur noch hinzu: daß es des Unterhaltenden ebensoviel wie des Belehrenden bietet.

L.O.[159]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 148-149,157-160.
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