I

[49] Ja, auch den Moden will ich einen Abschnitt dieses Buches widmen. Die Moden sind immer ein Spiegel nicht nur des Zeitgeschmackes, sondern auch der Zeit selbst und der in ihr herrschenden Interessen, es knüpfen sich nicht nur persönliche, es knüpfen sich zeitgeschichtliche Erinnerungen an sie und diese bieten zugleich ein culturhistorisches Material.

Wenn hier auch nur diejenigen Moden – speciell die Frauenmoden geschildert werden sollen, deren ich mich nicht immer vom eigenen Tragen, aber doch vom eignen Anschauen entsinne, so mögen sie nicht allein das Bild der weiblichen Entwickelungsgeschichte der letzten funfzig Jahre vervollständigen helfen, sondern auch daran gemahnen, wie selbst im oft gescholtenen »Unsinn« der Mode doch auch ein gewisser Sinn liegt, und wie sie nicht allein das Product der Willkür der Gewerbtreibenden oder tonangebenden Damen sind, sondern ein Product der Zeit, die sie hervorbringt, wie sie gern anknüpfen an die vorherrschenden, speciell auch an die Interessen der Zeitgeschichte und Politik.

Ich datire auch meine Mode-Erinnerungen von Meißen-Dresden her, meiner Vaterstadt und der sächsischen Residenz, die ihr so nahe lag, daß natürlich ihre Moden sofort die unsrigen wurden. Die Herrschaft der Mode giebt zwar der ganzen civilisirten Welt immer so ziemlich[49] gleichmäßig dieselben Gesetze, aber einzelne Modifikationen werden doch in verschiedenen Staaten und Städten vorgenommen, und so erscheint mir die Angabe des Ortes, aus dem meine Erfahrungen stammen, nothwendig. Dresden, eine gemüthliche Residenz, die von je von einer Menge Fremder besucht ward, früher so vorherrschend von Italienern, Polen, Franzosen wie jetzt von Engländern, Amerikanern und Russen, gestattete in Bezug auf Toiletten stets größere Mannigfaltigkeiten und Freiheiten, wenn auch sonst der Hof einen unausgesprochenen Druck ausübte und Rücksichten der Etikette ängstlich gewahrt werden mußten. Auch besondere Verbote herrschten: es durfte z.B. bis zum Jahre 1848 kein echter weißer Sammet zu Hüten verarbeitet werden, außer für den Hof, eben so wenig durfte Jemand echten Hermelin tragen; auch Paradiesvögel hatte der Hof sich vorbehalten. Die Schröter-Devrient war die Erste, die in den dreißiger Jahren einen solchen im Palmsonntags-Oratorium, wo sie mitwirkte, zu tragen wagte.

Ich will aber noch weiter in der Zeit zurückkehren und etwa mit 1827 beginnen. Die ersten Moden, die mich an meiner Mutter interessirten, verherrlichten revolutionäre Namen und Thaten: Ypsylantie-Krausen und ein Bobelina-Shawl. Dem Heldenpaar des griechischen Freiheitskampfte ward in der Mode gehuldigt. Die Krausen, wie Demetrius Ypsylantie sie getragen haben sollte, waren sehr breit von Tüll in eigenthümliche Glockenfalten gebracht und mit langen breiten Enden zusammengeknüpft. Den Bodelina-Shawl hatte meine älteste Schwester aus bunter Seide streifig selbst filet gestrickt. Unten war er mit Quasten zusammengezogen. Er konnte[50] sowohl mehrfach um den Hals als über den Kopf nach Art eines griechischen Fez gewunden werden. Der griechische Freiheitsheld und das kühne Heldenmädchen waren damals die populärsten Gestalten, man sah sie in allen Wachsfiguren-Kabinetten, auf allen Bilderbogen, man gab sie den Kindern als Puppen – ich segne noch heute mein Geschick, das sie mir zugeführt, denn ich halte es für sehr bedeutsam, womit ein Kind spielt und was für menschliche Ideale ihm vorschweben – in jener Zeit des Niederdruckes und der Erstorbenheit alles politischen Lebens war der Philhellenismus der einzige Aufschwung, der wenigstens noch die Fähigkeit zeigte, mit einer Volkserhebung zu sympathisiren. Freilich hatte dies Interesse etwas offizielles – es fand statt mit hoher, obrigkeitlicher Erlaubniß, denn einmal war der Kampf ja »hinten weit in der Türkei«, zweitens handelte er ja auf »klassischem« Boden und erhielt dadurch einen philologischen Beigeschmack, und drittens war er ja christlich, da er gegen den alten Reichsfeind unterm Halbmond ging! –

Wenn mich meine Mutter auf dem Schoß hielt, so schwebt sie mir immer vor in vorn übereingnder gelegten Ueberröcken von leichter Seide, schottisch, grün, roth, gelb, schwarz, braun ziemlich klein karrirt, der Rock wenig gefaltet und schräg geschnitten: im Winter zum Ausgehen in einem Pelz von rothseidenem Rips mit Bär besetzt, dazu einen kolossalen Muff von gleichem Pelzwerk, vor dem ich mich ordentlich fürchten konnte; als der Bär nicht mehr modisch war, bekamen wir Kinder Krausen daraus, in denen unsere kleinen Gesichter ganz verschwanden. Ich hatte überhaupt immer das Glück, aus den alten Sachen meiner Mutter neue zu bekommen, weil sie für mich am[51] Besten reichten – das hatte zwei Seiten, es machte mich zuweilen mißvergnügt, weil ich selten etwas wirklich Neues, sondern doch immer nur »abgesetzte« Sachen bekam, und dann freuten, aber verwöhnten mich auch die guten, seinen, weichen Stoffe. Es herrschten überhaupt damals noch Seide und Leinen mehr vor, wie später die Baumwolle, das änderte sich erst mit dem Abschluß des Zollvereins, wo die Seide sehr im Preise stieg. Das Vorurtheil gegen die Baumwolle ging bei meiner Mutter auch dahin, daß sie den Teint verderbe, wir durften um den Hals zu den damals allgemein ausgeschnittenen Kleidern nie andere als seidne oder leinene Tücher tragen, die erstern waren auch schottisch karrirt, die letztern hatten große Krausen und wurden bald über, bald unter den Kleidern getragen.

»Ostindischer Nanking« war auch ein sehr beliebter Stoff in gelblicher Naturellfarbe. Wir Kinder bekamen Ueberröckchen daraus, mit bunten Börtchen gestickt, die über weißen, gestickten, vorn sichtbaren Unterröckchen offen getragen wurden. Der Stoff war ziemlich theuer, aber auch unverwüstlich, kam angeblich aus England und war dann nach Gründung des Zollvereins auch nicht mehr echt zu haben. Alle Damen trugen als Straßentoilette Ueberröcke wie die erwähnten daraus, für das Haus Kleider mit Falbeln, meist mit weißen Börtchen benäht. Herren trugen Pantalons daraus, auch Westen und Ueberröcke – ein Kostüm, wie man es jetzt nur auf dem Theater sieht, wenn irgend Jemand, der im Zusammenhang mit der ostindischen Kompagnie steht – bekanntlich ein Lieblingsthema R. Gottschall's – auf die Bühne gebracht wird. Die Gedanken an Ostindien und seine Nabobs bewegten damals mit einer Sehnsucht, an deren Erfüllung aber doch Niemand[52] glaubte, die Gemüther – nur in Ostindien und in Amerika hielt man es für möglich, Reichthümer zu erwerben, im letzteren doch nur durch Arbeit und Geschick, in jenem aber durch süßes Nichtsthun und Schwindel, und beneidete die Engländer, denen dieser jetzt nicht mehr ungewöhnliche Weg offen stand! Es gab damals ja noch keine Zettelbanken, Gründungskomité's und Aktiengesellschaften, bei denen man jenes höchste Ziel der materialistischen Lebensanschauung erreichen konnte. Mit verzweiflungsvoller Resignation blickte man auf die Söhne Albions und hüllte sich in ihren – ostindischen Nanking, um doch etwas von dort zu haben! – Auch die Kaschmir-Shawls erhielten in dieser Zeit eine weitere Verbreitung, sie wurden wirklich als Shawls getragen, nicht, wie später, vierfach zusammengelegt; ein weißer, mit eingewirkten bunten Palmetten an den Enden, war wohl das kostbarste Toilettenstück meiner Mutter. Was aber den Wollstoff betraf, den man hauptsächlich zu Hauskleidern trug, so gönnte man keineswegs England den Vorrang vor dem Vaterlande – ein deutsches gab es damals nicht, ich denke hier also nur an mein sächsisches, das auch im Namen des Fabrikats vertreten war: der »englische Merino« war nämlich ein ungleich schlechterer und auch billigerer Stoff als der »sächsische Merino«. Man hatte jenem im Verdacht, mit Baumwolle gemischt zu sein, er war leichter gewebt, aber doch von starrer Härte und hatte einen unangenehmen Glanz, man nahm ihn nur für Hauskleider, während der sächsische salonfähig war. Aus ihn ging später der Thibet und Kaschmir hervor, dieses Ideal aller wollenen Stoffe, was Weichheit, Feinheit, Faltenwurf und Haltbarkeit betrifft.[53]

Daß wir aber neben der Politik und Ostindien die Kunst nicht vergessen: die »Sonntagskrausen«, zur Nachahmung Henriette Sonntag's, der trefflichen Koloratursängerin, forderten auch neben den Ypsilantiekrausen ihre Rechte, eben so wie die gepufften Agathe-Aermel, die an den »Freischlitz« erinnern, die volksthümlichste aller Opern – schon damals!

Nun zu einem durch die jetzige Mode so viel besprochenen Gegenstand: das Haar. Als Kind trug ich es in herabhängenden, mit bunten Schleifen zusammengeflochtenen Zöpfen; bei Kindern, die so starkes und langes Haar hatten wie ich, ward es dreiflechtig, oder russisch geflochten und zwar in zwei Paar Zöpfen, in welche noch zwei kleine Seitenzöpfchen einmündeten. Meine Schwestern, die mir abwechselnd das Haar machten, waren häufig ungehalten über dieses tägliche Flechten von sechs Zöpfen, die noch dazu kein Ende nahmen, denn mein Haar reichte bis über die Kniee hinab. Meine Mutter trug gleich andern Damen Locken à la neige, es waren an beiden Seiten dicht übereinander gehäufte Lockenberge und eben darum anfänglich – falsch; noch ein Ueberbleibsel aus jenen Zeiten, wo die Damen so hochgethürmte, mit falschen Wülsten versehene Kopfputze trugen, daß sie sich mußten frisiren lassen und an Balltagen, wo die Friseure schwer herumkamen, manchmal daurauf verzichteten, sich die Nacht vorher schlafen zu legen, weil sie sich vierundzwanzig Stunden und darüber zu früh hatten frisiren lassen müssen. Jene Locken waren von Seide, was mindestens ungleich reinlicher war als das falsche Haar. Verheirathete Frauen trugen überhaupt entweder gleich vom Tage ihrer Verheirathung an, oder doch sobald sie sich[54] Mutter fühlten: Hauben. Es galt unschicklich, mindestens als schlechter Ton, ohne solche zu erscheinen. Die Façon dieser Hauben wechselte natürlich immer – lange aber erhielten sie sich in kolossaler Größe. Es war ein Gemisch von unzähligen Tüllstreifen, echten Spitzen, zur größeren Eleganz seidene Blonden mit Blumen und Bändern. Die letzteren wurden häufig, auch wenn sie von Flor mit seidenen Streifen waren, mit Drahtband unternäht, damit die Schleifen groß und rund stehen blieben und die Enden das Ansehen und auch den Namen von Windmühlflügeln erhielten. 15 Ellen echte, handbreite erzgebirgische Spitzen und eben so viele Ellen gleich breites Band zu Schleifen und fliegenden Bindebändern zu einer einzigen Haube zu verwenden, galt etwa als ein Mittelsatz. Gewiß waren diese täglich getragenen Hauben ein großer Lurus; meine Mutter, obwohl sie sonst wenig mit der Nähnadel umging, sondern sich mehr mit der Wirthschaft zu thun machte, wozu ein großer Haushalt, in dem es fortwährend Besuche und Gesellschaften gab, in alter Zeit viele Veranlassung bot – besaß in der Anfertigung dieser Hauben und Verwendbarkeit schon benutzten wie neuen Materials dazu, eine wahre Genialität, so daß sie sich die ihrigen stets wieder selbst herstellte und auch zuweilen Freundinnen, die sich weniger gut zu helfen wußten, unterstützte, indem sie deren verunglückte Produkte künstlerisch wieder umgestaltete. Auch Diademkämme von Gald und Perlen, die vorn auf der Stirn getragen wurden und große Federn in allen Farben, bewunderte ich an meiner schönen Mutter. Federn, selbst auf Hüten, durften damals auch nur von verheiratheten Frauen getragen werden.[55]

Junge Damen, Mädchen trugen durchaus kein falsches Haar, sie scheitelten es meist glatt, hinten in einen so breit und fein als möglich geflochtenen Zopf gebunden und mit einem Kamm von Schildkrot oder Horn hoch aufgesteckt. Die Locken à la neige wurden vom eigenen Haar hergestellt, gewickelt und gebrannt, oder sie wurden mit Nadeln in nur zwei bis drei Locken an den Schläfen festgesteckt, die man à la greque nannte.

Ein höchst eigenthümlicher Kopfputz aber ward plötzlich dem Thierreich entlehnt. Der berühmte Thierbändiger van Aken brachte die erste Giraffe nach Europa, nach Wien und auf einmal waren alle Modezeitungen angefüllt mit »Giraffen«. Es waren dies zwei Schleifen bildende Drathgestelle, je höher, desto eleganter, die man mittelst eines Kämmchens auf dem Wirbel befestigte und das eigne Haar, erst toupirt, dann glatt gekämmt, darüber schlug. Da diese Frisur das Haar ruinirte und auch nicht an Tagen getragen werden konnte, wo ein Hut aufgesetzt werden mußte, so lag der Ausweg nahe, falsches Haar dazu zu verwenden und das eigene nur darüber wegzuschlagen – zuzugestehen, falsches Haar zu tragen, wagte Niemand.

Für Gesellschaften und Bälle waren da die »Giraffen« ganz unerläßlich, eine etwas minder hohe Sorte nannte man poetischer »Apolloschleifen«, man machte diese sowohl aus offenem als aus geflochtenem Haar; im Hause wurden hohe Kämme von durchbrochener Arbeit getragen und die Flechten zierlich darum geschlungen. Die Hüte hatten auch ganz hohe Köpfe mit großen, hochemporstrebenden angesetzten Schirmen; auch die Strohhüte von italienischem oder deutschem Stroh – ich wundre mich, daß der Ausdruck[56] »deutsch« wirklich damals existirte – waren ebenfalls wahre Dächer, die allerdings einen Sonnenschirm – auch dieser bestand aus Nanking und ein seidener ward selten gesehen – entbehrlich machten. Manche dieser Hüte hatten in der Mitte der Blende eine Einbiegung nach dem Gesicht zu – um dieselbe in ihrer Wirkung zu erhöhen und das Dach im Gehen zu fortwährendem Schwanken zu bringen, nähten manche Damen in diese Einbiegung noch kleine Steine ein – diese Hüte erhielten den Spitznamen: »Herrenwinker«, galten für kokett und waren darum in unserer Famlie verpönt.

Die französische Julirevolution brachte plötzlich mit all ihren nachfolgenden Zuckungen, dem Sieg des Bürgerthums und des konstitutionellen Systems, dem mächtig anwachsenden Polenaufstand und der heraufziehenden asiatischen Cholera einen Umschwung in allen Moden hervor.

Eine große und ernste Zeit brach an, es wurde wieder lebendig in der Weltgeschichte, das Lilienwappen in Frankreich ward zertrümmert, die alte Zeit verflog. Belgien kämpfte sich stegreich von Holland frei, die Polen verrichteten neue Heldenthaten, Italien rang in vergeblichen Verschwörungen und Aufständen, in vielen deutschen Kleinstaaten wankten die Throne, dankten Regenten ab, trat eine neue Ordnung der Dinge ein.

Wie einmal die Trikolore stegverkündend von den Tuilerien wehte, so bemächtigten sich ihrer auch schnell die französischen Modehändler und Fabrikanten – und die Deutschen sahen nicht ein, warum sie nicht eilig nachfolgen sollten – hatte man in den deutschen Staaten und Städten ein von Paris gegebenes revolutionäres Signal befolgt in der Politik, so konnte wohl auch die Industrie willig[57] annehmen, was von dorther kam. Und wenn die deutschen Frauen dasselbe von jeher gethan und wenn ihnen darüber oft genug gezürnt (obwohl die Frauen anderer civilisirter Nationen genau dasselbe thun, denn die Mode ist eine internationale Macht und wird sich als solche nicht aus der Welt schaffen lassen, wenn man auch noch so oft versuchen mag, jeden internationalen Bund zu verbieten und zu verdächtigen), so thaten sie es vielleicht nie mit weniger Rechte, als indem sie eine Farbenzusammenstellung adoptirten, in deren Zeichen doch der Fortschritt, wenn auch nicht die Freiheit, gesiegt. Bänder, Tücher, Stoffe aller Art waren jetzt blau, roth und weiß und da Niemand in Deutschland die deutschen Farben schwarzroth-gold tragen durfte und die Wenigen, die es versuchten, Hambacher Fest und geheime Burschenschaften, dafür mit Gefängniß bestraft wurden, so war es nur natürlich, statt der deutschen Trikolore die französische zu wählen und dabei heimlich zu singen: Freiheit, die ich meine! oder laut die Marsollaise anzustimmen, die damals auf allen Gassen und in allen Konzerten gehört ward. Ich war damals ein kleines Schulmädchen, aber zum Glück wurden in unserem Hause Zeitungen gelesen und Zeitinteressen besprochen und meine Lehrer waren für die neue Zeit begeisterte junge Kandidaten, die sich für verpflichtet hielten, selbst die kleinen Mädchen über das aufzuklären, was um sie herum geschah. Die Farbenzusammenstellung von blau-roth-weiß machte auch einen sehr hübschen Effekt und ich wäre außer mir gewesen, wenn ich nicht wenigstens ein so gestreiftes seidenes großes Tuch und solche Schleifen erhalten hätte. In Shawlfaçon hieß die Trikolore auch »Fenella-Schärpe.« Damals war eben[58] Auber's »Stumme von Portici« neu und half mitrevolutioniren. Auch die Gegenpartei fand ihre Vertretung; es gab eine Farbennüance und Schuhe »à la Herzogin von Berri«, die bekanntlich noch Jahre lang gegen Louis Philipp für die Legitimität intrignirte und kämpfte.

Aber wenn die an Revolution gemahnenden Moden auch schnell wieder verschwanden, so war doch eine Revolution in der Mode eingetreten: vollständige Einfachheit. Einmal wohl, weil der Bürgerkönig von Frankreich dieser selbst in seiner Familie, an seinem Hofe huldigte und dann auch, weil man sich plötzlich doch wie auf einem Vulkane fühlte und dem Ernst der Zeit gegenüber nicht allein Sparsamkeit geboten fand, sondern sich auch geschämt hätte, sich jetzt viel mit Luxus und Modeangelegenheiten zu beschäftigen.

Natürlich ging diese Reform nicht ohne einige Kämpfe ab. Wie viel war nicht über die unsinnigen »Giraffen« gespottet worden, als aber meine Schwestern auf einem Ball zum Erstenmale wieder ohne sie erschienen waren, nachdem die Modezeitung (von Baumgärtner in Leipzig, lange die einzige, die aller Welt Gesetze gab, die aber in der Regel für die Kleinstädterinnen erst eine Saison später in Kraft traten) angekündigt hatte: einige Damen legten die Giraffen ab und trugen an ihrer Stelle ein vom eigenen Haar geflochtenes »Nest« und nicht mehr auf dem Wirbel, da wurden sie fast Märtyrerinnen ihrer Rückkehr zur Natur und Einfachheit. Noch trugen alle Tänzerinnen Giraffen, mit denen sie so gern den Herren fast die Augen ausstachen und hohe Blumen mit goldenen Blättern, so daß die Nester mit einer lebenden Blume an der Seite gerade um ihrer Natürlichkeit willen einen[59] lächerlichen Eindruck machten und alle Freundinnen meinen Schwestern zuflüsterten: »Nein das nächstemal dürft Ihr nicht wieder so erscheinen!« Allein der Rath ward nicht befolgt, die Reaktion feierte keine Triumphe, sondern die Revolution; allgemach schwanden die Giraffen von allen Häuptern und das »Nest« stand viele Jahre in Gunst, nur ward es einmal eng oder weit gesteckt, mit großen oder kleinen, bunten oder haarfarbenen Bändern getragen, die es bald mit flatternden Enden umwickelten, bald als Schleifen wie ein Vogel mitten darin saßen, auch änderte es seinen Standort, indem es immer mehr in den Nacken hinunterrückte und eng zusammengedreht dem Kopf das Ansehen einer Birne nebst Stiel gab – es lag dies am Ende auch in der Zeit, denn Louis Philipp's Kopf war ja mit einer Birne verglichen und er war damals eben die Hauptperson – die Einen mochten nichts von ihm wissen, weil ja doch durch sein Eingreifen in das Rad des französischen Triumphwagens, darauf man die Freiheitsgöttin sich träumen mochte, wieder einmal die Revolution und die Republik verpfuscht war – und das Königsthum auch, sagten die Gegner, denn er machte der Bourgoisie zu viel Zugeständnisse dem Adel gegenüber und die Bourgoisie nutzte er doch in aller Gemüthlichkeit nur in seinem eigenen Interesse aus. – Nun, immerhin trat das Bürgerkönigthum in seiner äußern Erscheinung bescheiden und behutsam auf, Louis Philipp's Tochter, Prinzessin Marie, war zudem schon eine praktische Vertreterin weiblichen Künstlerthums auf einem für Frauen seltenen Gebiet. Jedermann kennt ja ihre ideale und doch so lebenswahre Statue der Jungfrau von Orleans und seine Schwiegertochter, Prinzessin Helene von Meklenburg, die Gemahlin[60] des Herzogs von Orleans, zeichnete sich aus durch Sittenreinheit, Einfachheit und Wohlthätigkeit, wodurch auch sie sich alle Herzen errang.

Aber um wieder zur Nutzanwendung für unsre Modensymbolik zu kommen, vielleicht zeigte sich dies zarte und bescheidene Auftreten dieser tonangebenden hohen Frauen auch in der Wahl der Fußbekleidung, sie bestand in niedlichen Schuhen von Seide, Serche oder Glanzleder mit langen, schmalen Bändern, die kreuzweis mehrmals über den Fuß gebunden wurden und darum kurzweg Kreuzbänder hießen. Aber was machten sie nicht für Noth! Bei jeder energischen Biegung und sonst noch bei unzähligen Gelegenheiten rissen sie von einander ab, wo sie angenäht waren, oder gingen sie mindestens auf, und mitten auf der Straße mußte ein Haus oder sonstiger stiller Winkel gesucht werden, den Schaden wieder zu repariren.

Ich glaube es war in Berlin, wo zuerst, einer Posse entlehnt, ein Gassenhauer aufkam: »Madame, Madame Ihr Schuhband schleppt, Sie müssen es sich binden«, den wirklich jeder Gassenjunge hinter jeder Dame her sang, die über ihr Schuhband so schon in Verzweiflung war und nun noch diese höhnische Bemerkung mit anhören mußte! Ohne Bänder wären diese Schuhe auch kaum zu tragen gewesen, da zuweilen die Mode nur so wenig Oberleder für sie vorschrieb, daß es kaum bis an den Ballen reichte. Natürlich mußten die so sichtbaren Strümpfe immer blendend weiß sein, also war es bei jedem Ausgang eine Hauptfrage, ob nicht erst ein paar frische angezogen werden mußten – die der Staub wie Schmutz der Straße immer gleich wieder verdarb. Man trug Strümpfe mit durchbrochenem Muster über das ganze Fußblatt, gewebte oder[61] gestickte – manche Damen besaßen darin eine besondere Kunstfertigkeit. Dabei mußten diese Schuhe so dünne Sohlen haben, daß man sie um den Finger rollen konnte – welch ein Gegenstück sind dazu die jetzigen Stiefletten mit ihren Riesenabsätzen, durch welche jede Dame sich geräuschvoll von Weitem ankündigt – nur den leisesten Tritt zu hören, hätte damals für unmoralisch und unweiblich gegolten. Als dann höhere Schuhe und Stifelchen aufkamen und viele Damen erleichtert aufathmeten, weil nur der ewige Strümpfewechsel und der Kampf mit den Kreuzbändern – der auf Bällen besonders zu den schrecklichsten Inkonvenienzen führte – aufhörte, waren es die Herren, welche es unweiblich, unästhetisch, emanzipirt fanden und den Damen Mangel an Nettigkeit vorwarfen, weil sie ihren Fuß sorgfältiger verbargen!

Quelle:
Louise Otto: Frauenleben im Deutschen Reich: Erinnerungen aus der Vergangenheit mit Hinweis auf Gegenwart und Zukunft, Leipzig 1876, S. 49-62.
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