V. Weckung und Pflege des Schönheitssinnes

[216] Den Sinn für Schönheit und Harmonie ist man nicht allein gewohnt, vorzugsweise bei dem weiblichen Geschlechte zu suchen, – man verlangt ihn auch von demselben.

Man erträgt es beim Manne, wenn er wenig, vielleicht gar keinen Sinn hat für das Aeußerliche, wenn er sein eigenes wie das seiner Umgebung vernachlässigt und gleichgiltig darüber hinwegsieht. – Wir wollen keineswegs damit sagen, daß dies angenehm sei, oder daß wir in solchem Mangel einen männlichen Vorzug finden, aber wir können ihn entschuldigen, belächeln, ohne uns dadurch verleiten zu lassen, die Berufs- und Charaktertüchtigkeit des Mannes in Frage zu ziehen. Herrscht in seiner Studirstube ein etwas wunderliches Chaos, kann sich zu[216] dem Lächeln darüber sogar noch ein wenig Respect gesellen. – Herrscht aber ein ähnliches unharmonisches Durcheinander im Zimmer einer Frau oder gar in ihrem ganzen Hauswesen, so ist es mit dem Lächeln nicht abgethan. Dann fühlen wir uns angewidert, verletzt; wir ziehen daraus bedenkliche Schlüsse über das ganze Wesen der betreffenden Frau; – wir finden, daß sie ihre Weiblichkeit verletzt hat, mit ihr in Widerspruch gerathen ist. Sie bringt sich dadurch um alles Vertrauen bei Männern und Frauen, sie ist ihrer Mission untreu geworden!

Denn – wir wiederholen es – es besteht die höchste und ihm eigenste Mission des Weibes im Streben nach Schönheit und Harmonie, eine Mission, die es aus den Händen des Schöpfers selbst empfangen hat, und wenn es ihr untreu wird, so versündigt es sich an der Natur selbst und an der ganzen sittlichen Weltordnung.

Die Natur wie die Kunst sind dem weiblichen Wesen näher verwandt als dem männlichen. Die Frau steht nach ihrer physischen Bestimmung der Natur näher und nach ihrer psychischen der Kunst.

Das ist aber so zu verstehen, daß die Beschäftigung mit der Kunst, dennoch weniger dazu dienen soll, sich selbst speciell dieser oder jener Kunst zu widmen, als vielmehr das Gemüth zu vertiefen, alle Seelenkräfte harmonisch zu entwickeln, dem Inneren edle Freuden und ein Streben nach dem Schönen und Idealen zu geben, das des Weibes höchste Zierde ist. Es soll diese Bildung und Beschäftigung dazu helfen, alle Härten und Ecken des weiblichen Charakters abzuschleifen und das Weib zu unterstützen in seiner höchsten Bestimmung: – überall mit Anmuth,[217] Liebe und Begeisterung zu walten; die Harmonie und die Schönheit, welche Weltgesetze sind, zunächst an sich, im Hause und im Familienleben zur Geltung zu bringen, bis es möglich sein wird, dazu auch in den weiteren Kreisen des Lebens, des Vaterlandes, der Menschheit direct mit beizutragen, wie es bis jetzt eben indirect geschieht.

Die Erziehung zur Schönheit, wie sie schon unser Schiller forderte, muß im frühen Kindesalter beginnen Reinlichkeit, Sauberkeit, Ordnung sind – so trivial dies auch für unklar ästhetisirende Damen klingen mag – dennoch die ersten nothwendigen Grundlagen zu einer ästhetischen Erziehung. Sobald das Kind sich verständlich machen kann und entweder durch Geberden oder Worte seine Wünsche auszudrücken pflegt, zeigt sich sein ästhetischer Sinn darin, daß es selbst verlangt abgewischt zu werden, wenn es schmutzig ist, daß es nach reiner, glatter Wäsche verlangt, sich daran freut u.s.w.

So hat denn die Mutter die hohe Aufgabe, nicht nur ihr Kind zu nähren und für dasselbe physisch zu sorgen, sondern auch, indem sie zugleich ihr Hauptaugenmerk auf die gesunde Entwickelung des kindlichen Organismus richtet und alles, was diese fördern kann, dem Kinde zu verschaffen sucht, – Reinlichkeit, frische Luft und Sonnenschein, Bewegung kräftige Kost, jeder Jahreszeit ensprechende bequeme Kleidung, – in und mit neben dem allen zugleich den Grund zu legen zur ästhetischen Erziehung ihres Kindes. Das Gute, das Schöne und das Wahre, das die Grundlage jeder Charakterentwickelung bilden sollte, muß von der Mutter zuerst auch in der kleinsten Regung ihres Kindes beobachtet, gestärkt und entfaltet[218] werden. Hier hat sie ihm zugleich die erste geistige Nahrung zu bieten, auf deren kräftigende Beschaffenheit nicht weniger ankommt, als auf die der körperlichen.

Alles, was in dieser Beziehung im frühesten Alter unterlassen wird, ist in einem späteren niemals vollständig nachzuholen, noch zu ersetzen; jede Versäumniß hinterläßt eine bemertbare, ja widerwärtige Lücke, die kaum jemals auszufüllen ist.

An die Entwickelung des Sinnes für Reinlichkeit knüpft sich die des Sinnes für Ordnung und Symetrie, für Harmonie der Farben, der Töne: die Bildung des Geschmackes.

Wir erwähnten schon früher, wie das ganze Fröbel'sche Kindergartensystem darauf gerichtet ist, den Sinn des Kindes für das Gute, Wahre und Schöne zu entwickeln, wie die verschiedenen Spiele desselben mit Bällen, Würfeln, Flechtarbeiten etc. darauf hinauslaufen, den Form- und Farbensinn zu wecken, die Gesetze der Harmonie zu verkünden und deren Beobachtung den Kindern gewissermaßen zur andern Natur werden zu lassen. Wir schätzen dieses System, wir haben selbst immer dafür Propaganda gemacht und halten die Gründung von Volkskindergärten aller Orten für eine Nothwendigkelt – aber wir wiederholen es, daß dadurch wohl die Erziehungsaufgabe der Mutter erleichtert, aber nicht überflüssig gemacht werden soll. Im Kindergarten wie in der Schule lernt das Kind sich als geselliges Wesen entwickeln, sich fühlen als zu einer Gemeinschaft gehörend, der es sich einzuordnen, für die es zu lernen und auf die es sich vorzubereiten hat; im Hause lerne es sich vertiefen und den Sinn für Häuslichkeit so pflegen und verklären, daß es fähig sei, auch dem Hause sich einzuordnen, ihm seine schönsten[219] Freuden zu danken und zu geben, wenn daneben auch der Wirkungskreis außer dem Hause noch so groß und reich sich gestalten möge.

So wirkt auch auf das Kind das Beispiel der Eltern am allermeisten, daß sie im Hause geben. Die ganze Atmosphäre, die da herrscht, ist entscheidend für das Wachsthum jedes edeln Triebes.

Dem echten, gebildeten Weibe sind Ordnung, Sauberkeit und Geschmack so zur andern Natur geworden, daß sie im ganzen Hause, dessen innere Einrichtung und Erhaltung doch zumeist von der Hausfrau abhängt, zur Geltung kommen. Die Kinder, zumeist die Mädchen, werden von diesem Beispiele durchdrungen; Worte, Belehrungen, Ermahnungen sind da meist überflüssig, wo Thaten sprechen, wo ein ganzes Leben sich in seinem Wirken und seinen Werken offenbart. Ordnung und Reinlichkeit sind die Grundpfeiler jedes Hauswesens, und darauf hat sich jede Weiblichkeit, jede Wirthschaft zu basiren; aber sie allein genügen keineswegs, ein Haus wirklich angenehm und wohnlich zu machen. Ein Zimmer macht nie allein dadurch einen wohnlichen Eindruck, daß auf keinem Möbel ein Stäubchen, kein Fädchen auf dem Teppiche liegt, daß die Gardinen und Rouleaux blendend weiß sind und jeder Stuhl und Tisch geradlinig an der Wand steht, – sondern es macht ihn durch die sinnige Anordnung alles dessen, was seinen Inhalt bildet, und diese kann so gut fehlen im eleganten Salon der reichen Modedame, die sich jeden Luxus gestatten kann, wie vorhanden sein im bescheidenen Dachstübchen der armen Arbeiterin, die nur über alte Geräthschaften zu verfügen hat.

Und zwischen diesen beiden liegt die ganze große[220] Classe des Mittelstandes, in welchem die Verhältnisse bald zur äußersten Einfachheit nöthigen, bald dem Wohlstande und von diesem dem Reichthume sich nähernd, die Mittel bieten, sich behaglich und bequem einzurichten und zum Nothwendigen und Nützlichen auch das Angenehme und Schöne zu fügen. Wem aber liegt es denn mehr ob, dies zu thun, als den Frauen? der Hausfrau? und was vermag sie mehr dazu zu befähigen, als eine Bildung, an welche auch der Umgang mit der Kunst die veredelnde Hand gelegt?

Wir wollen in dem Folgenden uns näher mit dem weiblichen Dilettantismus in der Kunst beschäftigen. Durch das, was wir hier vorausschickten, wollten wir nur den Standpunkt klar machen, von dem aus unsere Betrachtungen gehen. Wir sprechen den Frauen das Recht zu, sich auch eine Kunst als Lebensberuf zu erwählen, und wir haben ja auch in allen Zweigen derselben ausgezeichnete Künstlerinnen; – aber es soll hier nur von dem Dilettantismus die Rede sein, also von der Beschäftigung mit der Kunst, dem Erlernen und Ausüben einer solchen Bildung, zum Vergnügen, zur Verschönerung des Lebens für sich selbst und seine Umgebung. Dies fassen wir hier allein in's Auge.

Quelle:
Louise Otto: Frauenleben im Deutschen Reich: Erinnerungen aus der Vergangenheit mit Hinweis auf Gegenwart und Zukunft, Leipzig 1876, S. 216-221.
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