Einst und Jetzt

[13] (Der ersten deutschen Eisenbahn 1839, Leipzig-Dresden gewidmet.)


Auf grünen Wiesen sah ich Lämmer weiden –

Ihr Glöckleinklang als einziges Getön

War zu vernehmen im Vorüberschreiten –

Sonst Alles still – so friedlich und so schön.


Bei einer Linde weilte traut beisammen

Ein jugendfrohes, hochbeglücktes Paar.

Er ließ sein Auge in das ihre flammen,

Sie bot ihm schüchtern ihre Wange dar.


Dicht gegenüber wo aus grünen Bäumen

Gar traulich winkt ein strohgedecktes Dach,

Da mochten sie den eignen Heerd sich träumen,

Wo sich ihr Wunsch der Zukunft Glück versprach.


Des Dorfes Kinder spielten muntre Spiele

Als Pferde spannten sie dem Pflug sich vor,

Ein Knabe lenkte zum bestimmten Ziele

Mit Peitschenknall den muntern Brüderchor. –


Das war vor Zeiten – als ich wiederkommen

Zu diesem stillen, waldumkränzten Thal –

Hei! wie da aller Friede ist genommen,

Hei! wie das Alles anders auf einmal!
[14]

Die neue Macht, die sich die Welt erküret

Sie hat auch hier jed alten Brauch verdrängt:

Seht wie ein Pfad jetzt durch die Berge führet

Ein Wagen an dem andern rollend hängt.


Statt Herdenglöcklein läutende Signale –

Es rauscht und zischt und saust mit Ungestüm

Und rüttelt alle Träumer auf im Thale

Das mächtge feuerspeiende Ungetüm. –


Wird lang das Paar noch bei der Linde bleiben?

Die Maid steht bleich vor naher Trennungsqual –

»Mich will's hinaus ins rasche Leben treiben!«

Ruft er, »leb wohl! schon pfiffs zum drittenmal!«


Sie schaut ihm nach mit sehnsuchtsvollen Blicken,

Wohl ahnt sie draußen die bewegte Welt! –

Wird nicht ihr Glanz des Liebsten Herz umstricken?

Ist dies kein Riff an dem ihr Glück zerschellt?«


Wo sind die Knaben, die sich hier erfreuten?

Das alte Pflugspiel ist zu schlecht und kle n

Ein bessres Loos denkt Jeder zu erbeuten

Als das nur ein gepeitschtes Pferd zu sein. –


Dahin, dahin der einsam stille Frieden,

Dahin, dahin ein jed idyllisch Glück!

Denn alle Ruh ist aus der Welt geschieden –

O Dampf, fürwahr, das ist Dein Meisterstück!
[15]

Ja, Frieden stirb! – Du stiller Kirchhoffrieden,

Du hast fürwahr zu lange schon gewährt,

Ein ander Glück giebt's noch für uns hinieden,

Ein andrer Glanz hat unsre Zeit verklärt!


Seht dort den Greis in dünnen Silberhaaren,

Indeß die Wagen fliegen hört sein Flehn:

»Nun, Herr, laß Deinen Knecht in Frieden fahren!

Nun er die Wunder dieses Tags gesehn!«


Er ahnt es wohl, doch wußt er's nicht zu sagen

Als ihn Bewunderung auf's Knie gesenkt:

Es weht ein neuer Geist um diese Wagen,

Aus diesem Dampf der Eisenrosse lenkt.


Rings lärmt er auf zum rüstigen Bewegen

Und dieses Läuten ruft: Habt acht! habt acht!

Mit jeder Schiene, die sie weiter legen

Wird neues Leben in die Welt gebracht.


Und eh sie noch die Gotteskraft verstehen

Sind sich die Völker jubelnd nah gebracht

Und lassen ihre Freiheitsbanner wehen,

Und durch die Lüfte saust's: Erwacht! erwacht!

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 13-16.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon