Fünftes Capitel
Befürchtungen

[95] Die Hoffnungen König Maximilian's, seinen Vater mit seinem Eidam Herzog Albrecht zu versöhnen, scheiterten an Kaiser Friedrich's unbeugsamen Sinn, der nicht eher von einem Vergleiche hören wollte, bis Albrecht Regensburg wieder herausgegeben, dessen Rückgabe dieser ebenso hartnäckig verweigerte, als sie gefordert ward. Unter Androhung der Reichsacht lud der Kaiser die Regensburger vor seinen Stuhl sich wegen ihres Abfalles zu rechtfertigen. Da ihm Jeder willkommen war, der wider Albrecht Klagen anzubringen hatte, fanden zuerst dessen unzufriedene Brüder Christoph und Wolfgang, von denen der erste die ehemals aufgegebene Herrschaft jetzt zu besitzen wünschte, der andere durch Mißhandlung eines Dieners gekränkt war, williges Gehör; dazu kam der Löwlerbund, der gleich in seinem[95] Ursprung und Fortschritte gegen die anwachsende Macht des Baiernherzogs gerichtet war.

Da statt einer weitern Antwort derselbe Regensburg befestigte, so that der alte Kaiser zu Linz, unter freiem Himmel auf dem Richterstuhle sitzend, wie es Brauch war, den Achtspruch über Regensburg und bot das Reich auf zu dessen Vollstreckung. Die Löwler waren gerüstet zum Losbrechen unter ihrem Führer und Urheber des Löwlerbundes Bernhardin von Stauff. Wer jetzt zu ihrem Heere stieß, der war ihnen willkommen.

Wie immer strömten da auch jetzt kriegslustige oder müssige Gesellen zu einem solchen deutschen Heere, das sich gern durch neue Werbungen verstärkte und dabei nicht ängstlich fragte und wägte, wer sich ihnen bot.

Für Amadeus gab es daher keinen bessern Rath, als auch in dies Heerlager zu flüchten, als ein kampfbereiter Krieger, der einst das Schwert wohl zu führen verstanden und auch jetzt in seinen vorgerückten Jahren dazu noch wohl befähigt war. Das war sein eigener Wille und war auch der Rath des Propstes, aber Amadeus wiederholte noch einmal, daß er nicht scheiden wolle, ohne Ulrich mit sich zu nehmen, der so auch die[96] beste Gelegenheit habe, jeder drohenden Gefahr zu entgehen.

Zwar bangte dem Propst nicht minder um diesen – aber selbst von den heiligen Banden der Baubrüderschaft umschlungen und bestrebt ihren schönsten und höchsten Pflichten treu zu bleiben, konnte er selbst den Gedanken nicht fassen, daß Ulrich so ohne Weiteres die heilige Stätte verlassen sollte und statt zu den ewigen Werken der Kunst, statt zu dem schönen Beruf, Bauten des Friedens aufzuführen, die Jahrhunderte hindurch Tausende von Menschen erheben und veredeln mußten – zu dem rohen Handwerk des Krieges zu greifen, das nur ein Leben der Zügellosigkeit und des Zerstörens war, eine Jagd nach Beute oder Ehre, oder nur ein Mittel sein Leben zu fristen. Denn im Mittelalter ward – die Glaubenskriege ausgenommen, mochten sie nun gegen Heiden oder Sarazenen, gegen Hussiten oder die allein seligmachende katholische Kirche geführt werden – der Krieger eben nur um des Soldes Willen Krieger, um eine Beschäftigung, ein Unterkommen zu haben. Von Vasallen- und Heerestreue, noch ohne an ein höher begeisterndes Motiv zu denken, hat die damalige Geschichte nur vereinzelte Beispiele aufzuweisen. Es galt nicht für ehrlos und unwürdig, wenn ein Ritter oder[97] Söldnerhauptmann mit seinen Leuten morgen auf einer andern Seite focht als heute: sie verkauften sich für den bessern Sold oder dahin, wo am ehesten auf Triumphe des Sieges oder reiche Beute zu rechnen war. Und wie die Führer und Ritter, so die Söldlinge, die Knappen und Troßbuben – fast niemals gab es ein höheres Band sie zu halten.

Ulrich war am Morgen nach der Nacht, die er in der Propstei zugebracht, aus derselben zeitig in die Bauhütte gegangen, da der Pallirer sie nur eben geöffnet hatte. Mit dem größten Eifer meißelte er an einer Eichenkrone an einem Kapitäl, denn er wollte gern noch so viel als möglich vollenden, und wußte nicht, wie lange ihm noch das Glück der Arbeit gegönnt war!

Als es am Abend dunkel geworden, ging er wieder in die Propstei. Noch einmal überhäufte ihn Amadeus mit Bitten, mit ihm zu gehen, ja er drohete in seiner heftigen Art auch nicht zu fliehen, sondern sich selbst dem geistlichen Gericht oder dem Kloster zu überliefern, wenn man ihn allein ziehen lasse; aber Ulrich blieb standhaft bei seiner Weigerung, oder er erklärte vielmehr noch einmal einfach, daß ihn nichts zu einem Eidbruch verleiten werde, und daß er bleibe, möge sein warten, was da wolle.[98]

Amadeus mußte von ihm Abschied nehmen in dem Bewußtsein, daß er selbst das ersehnte Glück, den Sohn wiedergefunden zu haben, mit dem Unglück desselben erkaufe! –

Kreß, der den Tag über nur eine Stunde bei Amadeus in der verschlossenen Bibliothek gewesen, und jetzt am Abend Ulrich mit hineingenommen hatte, duldete nicht, daß derselbe sich lange verweile, um ja keinen Verdacht bei der Haushälterin zu erregen. Ulrich mußte also nach einer kurzen Zusammenkunft wieder gehen, ja er mußte auch dem Propst feierlich versprechen, nicht etwa wie er erst sich anheischig gemacht, Amadeus bei der nächtlichen Flucht zu helfen, oder durch das Thor oder in welcher Art zu begleiten. Amadeus mußte allein und wieder in andern Kleidern, als in denen, welche er jetzt getragen, die Stadt verlassen, und es war dabei auch keine große Schwierigkeit, da ihn Niemand kannte und Niemand verfolgte. Man konnte ihn jetzt sehr wohl für einen gewöhnlichen alten Söldner halten, und Niemand vermuthete unter dem Helm das glattgeschorene Haupt des flüchtigen Mönches.

Wenige Tage nach seiner Entfernung mußte der Propst von seiner Haushälterin hören, daß sie auf dem Markt von mehreren Seiten gefragt worden sei: der[99] Herr Propst habe wohl wieder Gäste, die nur zur Nachtzeit kämen und gingen, und denen es in der Propstei besser gefiele als im Kloster? und daß man auf ihre Antwort, die Frage nicht einmal zu verstehen, weiter gesagt: sie solle sich nur nicht unwissend stellen, ganz Nürnberg wisse es schon, daß der Propst wie immer mit den Baubrüdern unter einer Decke stecke, und daß sie einem Benediktinermönch, dem es nicht mehr im Kloster gefallen habe, zur Flucht verholfen hätten.

Mit Entsetzen vernahm Kreß diese Reden, ohne zu ahnen, daß es Frau Eva Kraft war, die sie auf Veranlassung eines ihrer Handlanger in Umlauf gebracht hatte, nur um sich an dem Propst für den Drachen zu rächen, mit dem er sie verglichen hatte. Sie verfolgte damit nicht etwa einen mühsam angelegten Plan; sie dachte nicht entfernt daran, wider Gericht gegen den Propst zu zeugen, noch ihn überhaupt in Untersuchung und Strafe zu verwickeln, so boshaft war sie nicht: sie gönnte ihm nur ein wenig Angst und üblen Leumund; zu etwas Ernstlichem, meinte sie, werde es nicht kommen, da den Geistlichen, und besonders den hochgestellten, damals so viel durch die Finger gesehen ward; nur in den Augen der Leute wollte sie ihn und namentlich[100] die freien Steinmetzen herabsetzen, denen auch nicht leicht aus den Anklagen von Laien und Profanen ein Nachtheil entstehen konnte, wenn nicht ihre Vorgesetzten und Meister, die ihrer Hütte, wie die der Haupthütte von Straßburg die Klage annahmen und Urtheil sprachen: denn die Baubrüder hatten ihre eigene Gerichtsbarkeit und konnten nur erst, wenn sie aus der Hütte gestoßen waren, von Profanen gerichtet werden. Diese Vorrechte derselben waren es eben, welche die andern Zünfte auf sie eifersüchtig machten – und wie gewöhnliche Frauen ihren Neid und Groll, der, wenn berechtigt, den Institutionen gelten sollte, an den einzelnen Personen, zu deren Vortheil diese sind, auslassen möchten, so war auch Frau Eva in diesem Falle.

Amadeus war fort – aber was konnte der Propst thun, sich gegen diese Gerüchte zu schützen, wenn sie zu einer Untersuchung führten, und wie konnte er wissen, ob sie nicht schon das Ergebniß einer solchen waren, die vor der Hand noch innerhalb der Klostermauern geführt ward?

Ulrich glaubte in denselben Gerüchten, die zu ihm drangen, die Hinterlist Ezechiel's zu erkennen. So viel war ihm klar geworden durch Alles, was er im Lauf der Zeit an sich selbst erfahren hatte, daß der Jude ein[101] Vertrauter Streitberg's, und daß es nur dadurch Rachel möglich gewesen war, ihm alle die Nachrichten und Warnungen zukommen zu lassen, die er, um Unglück oder Unrecht zu verhüten, von ihr empfangen hatte. Wenn er so Alles überdachte, fiel es ihm plötzlich schwer auf's Gewissen, daß er den Edelsinn in ihr, der sie immer angetrieben hatte Unglück zu verhindern, durch nichts bestärkt oder belohnt, daß er sie immer von sich fern gehalten hatte und fast nur rauhe Worte für sie gehabt, weil sie eine Jüdin und weil sie ein Weib war. Hätte er nicht das Gefühl in ihr, das sie immer wieder zu ihm trieb, als dem einzigen Menschen, zu dem sie das Vertrauen faßte: er werde bereit sein die Unschuld und die Wehrlosen zu beschützen wie und wo es auch sei – hätte er das nicht unterstützen und pflegen müssen, ihr nicht sagen, daß es ihm scheine, als sei sie in der That und im Herzen eine Christin; hätte er nicht Alles thun müssen, sie vom Fluch des Judenthums zu erlösen und sie für das Christenthum zu gewinnen? Hatte er, indem er sie mied, nicht nur sich im Auge gehabt, nicht sein Gelübde, sondern nur den Schein es zu bewahren.

Was war es denn weiter, wenn er auch einmal in das Judenviertel ging? War es nicht auch klug,[102] wenn er jetzt Ezechiel unter dem Vorwand aufsuchte, daß er ihm die im Kloster geliehenen Kleider bezahlen wolle, da sie der Eigenthümer nicht zurückbringe, obwohl der Jude damals alle Bezahlung verweigert hatte. Konnte er nicht durch dies Anerbieten selbst Ezechiel irre machen in seinen Voraussetzungen, oder ihm doch zeigen, daß er ihn nicht fürchte?

In der Judengasse war die Wohnung Ezechiel's leicht zu erfragen und auch im Dunkeln zu finden, als der in einen langen Mantel gehüllte Baubruder durch dieselbe schritt. Ein matter Lichtschimmer brach durch ein Fenster des obern Stockes. Ulrich tappte die finstere Treppe hinauf und stand vor einer kleinen Thür. Es schien sich nichts dahinter zu regen, er lauschte und pochte.

Er rief: »Ezechiel!«

Nichts antwortete, aber es war Ulrich, als ob er leise Schritte zur Thür gehen hörte.

»Ezechiel oder Rachel!« rief er noch einmal, »wer ist daheim?«

»Gott meiner Väter!« rief drinnen Rachel's Stimme, »ich täusche mich nicht – Ihr seid es, Ulrich von Straßburg.«[103]

»Ich bin es!« antwortete Ulrich, »und ich hoffe, daß Ihr mir öffnen werdet, damit ich mit Euch sprechen kann.«

»Das kann ich nicht!« antwortete sie; »der Vater hat mich eingeschlossen – aber seid Ihr allein?«

»Ganz allein!«

»So hört uns Niemand. O, Euch sendet der Himmel! Mein Vater läßt mich nicht mehr aus dem Hause – aber laßt Euch nicht von ihm hier treffen!« rief sie angstvoll.

»Warum?« versetzte er; »ich komme seinetwegen, meine Schuld ihm zu bezahlen.«

»O das ist längst abgemacht!« fiel sie ihm in's Wort; »es bleibt jetzt keine Zeit davon zu reden, auch nicht von dem Dank, den ich Euch schulde und mein ganzes Volk, daß Ihr auf mich gehört – aber der, dem Ihr damals fortgeholfen, ist ein Undankbarer.«

»Was sagst Du?«

»Er hat Euch an Streitberg verrathen, ich sah ihn selbst auf Weyspriach's Schloß; aber ich erfuhr den Zusammenhang erst, als ich fort war und nachdem ich schon bei Euch gewesen.«

»Diesmal kommt Deine Warnung zu spät!« antwortete Ulrich.[104]

»Zu spät – war mein Vater schon bei Euch?«

»Kürzlich? – nein!«

»Er schweigt noch – aber er will sein Schweigen von Euch damit erkaufen, daß Ihr ihm den Ring von Frau Elisabeth wieder verschafft. Ihr hab't ihr jetzt einen großen Dienst geleistet – sie wird und muß es thun!« sagte Rachel.

»Nie werde ich etwas von ihr verlangen,« sagte Ulrich stolz, »am wenigsten etwas Schmachvolles!«

»Nicht um Euretwillen, wenn Ihr an Euch nicht denkt – den Propst, Hieronymus, Konrad – Ihr werdet sie Alle mit Euch verderben sehen!«

Ulrich fühlte ein Schwert in seiner Brust, aber es war kein Schwert des Kampfes, sondern des Gerichts. »Ich weiß, was ich zu thun habe,« antwortete er; »ein Christ weiß es immer – er nimmt die Schuld allein auf sich, wie es sein erhabener Meister mit der Schuld der ganzen Menschheit that. Sieh', ich kam zu Dir, um mit Dir von dem Christenthum zu sprechen.«

Eine lange Pause folgte. Dann antwortete Rachel dumpf: »Geh't, ich habe weiter nichts mehr mit Euch zu reden – wir sind fertig. Ihr seid hier auch nicht sicher – geh't.«[105]

Ulrich wartete noch einige Minuten, rief noch einmal hinein, aber es erfolgte keine Antwort mehr. Er ging.

Was ihm Rachel gesagt, erfüllte sich am andern Tage. Ezechiel kam zu ihm, aber er wußte nichts davon, wie es schien, daß Ulrich Tags zuvor in seiner Wohnung gewesen, und da Rachel es also mochte gut befunden haben, darüber zu schweigen, so that Ulrich um ihretwillen das Gleiche.

Der Jude zeigte zuerst die alte kriechende Höflichkeit, sagte, daß er in Noth und Angst wiederkäme, um von Ulrich einen großen Dienst zu erbitten, durch den er allein großes Unglück von ihm abwenden könne.

Ulrich entgegnete ruhig, daß er sich wundern müsse, wie Ezechiel noch zu ihm kommen könne, nachdem er schon das vorige Mal sein Vertrauen zurückgewiesen – inzwischen aber erkannt habe, wie recht er daran gethan, da der Jude nur ein lügenhaftes Spiel mit ihm getrieben, um durch ein unredliches Mittel irgend einen unredlichen Zweck zu erreichen; es sei wohl besser, wenn sie einander aus dem Wege gingen und vergäßen, je einander darauf begegnet zu sein.

Diese Worte drängten den Juden rasch zum Ziel, da er daraus sah, daß Ulrich in keinem Falle ihm vertrauen würde, und daß es unmöglich sein werde, durch[106] List und Verstellung etwas von ihm zu erreichen, so griff er gleich zu seinem letzten, und wie er meinte, unfehlbaren Mittel: der Drohung.

»Muß ich mich doch verwundern,« begann er, »daß Ihr mir möget also schnöde begegnen. Ist es nicht in meiner Macht, Euch ganz und gar zu verderben? Hab't Ihr nicht aus dem Benediktinerkloster fortgeholfen einem Mönch, der verurtheilt gewesen zum Tode? Hab't Ihr nicht damit selbst verwirkt den Tod vor dem geistlichen Gericht? Ihr und Euer Freund, der mit Euch gewesen ist, und der Novize, der Euch geholfen hat? Denkt Ihr, ich weiß das Alles nicht haarklein? Aber ich weiß auch noch mehr. Wird nicht ein Baubruder, der nicht keusch und züchtig lebt, sondern mit Frauenzimmern sich abgiebt und zur Nachtzeit in ihre Wohnungen dringt, mit Schimpf und Schande verwiesen aus der Genossenschaft freier Steinmetzen? Denkt Ihr, ich weiß nicht, daß Ihr Euch hab't eingelassen mit der schönen Frau von Scheurl, und daß Ihr trotzdem seid nachgeschlichen dem armen Judenmädchen – seid zur Nachtzeit in die verachtete Judengasse geschlichen, weil Ihr hab't gewußt, ich sei auswärts, hab't Ihr mir wollen verführen mein einziges Kind?«[107]

»Haltet ein, so frech zu lügen!« rief Ulrich erglühend.

»Oho!« antwortete der Jude; »ich habe viele Zeugen, und Ihr vermöget weder mich einer Lüge zu zeihen, noch eine dieser Anklagen abzuwälzen, wenn sie werden angebracht wieder Euch. Wenn die That sich läßt so klar beweisen, gilt auch das Zeugniß des Juden, wenn Ihr das etwa darum verachten solltet; es giebt genug Christen, die mit mir das Alles bezeugen werden – und soll Euch bleiben nicht die mindeste Ausflucht. Aber ich hab' ein dankbar Gemüth und nicht vergessen, daß Ihr Euch einmal angenommen meiner und meines Kindes, und hab't mir herausgegeben den gefundenen Ring darum will ich schweigen, wenn Ihr mir nur thut einen einzigen kleinen Gefallen: verschaffet mir denselben Ring wieder von der Frau von Scheurl – denn der Ritter von Streitberg wollte einlösen sein Pfand, und will mir nun an Leib und Leben, weil ich es habe vorher gelassen aus meinen Händen.«

»Der Ritter von Streitberg wird Euch schwerlich viel schaden,« antwortete Ulrich, »denn die Nürnberger werden nicht eher von Weyspriach's Burg ziehen, bis sie sich der beiden gefährlichen Straßenräuber bemächtigt – und mir scheint, Ihr thätet besser, Euch als ein Feind[108] dieser Herren zu zeigen, als zuzugeben, daß Ihr allezeit gemeinschaftliche Sache mit ihnen gemacht. Im Uebrigen muß ich Euch wiederholen: sag't über mich aus, wahr oder falsch, was Ihr woll't – ich kann Euer Verstummen nicht durch etwas erkaufen, das mir ganz unmöglich ist zu thun –«

»Ist nicht unmöglich!« feil ihm der Jude in's Wort. »Trotzdem, daß Ihr mich nimmer hab't haben wollen zum Liebesboten, hab't Ihr Euch doch gegen mich verrathen; ich weiß nun um so mehr, wie Ihr steht mit der Frau von Scheurl, und daß sie Euch wird jeden Wunsch erfüllen, den Ihr von ihr fordern möget, schon damit sie nicht –«

»Still!« gebot Ulrich und stampfte unwillig mit dem Fuße. »Ich höre nicht länger solch' unsinniges Gewäsch mit an. Ich kann nicht thun, was Ihr woll't; thut selbst, was Euch gut dünkt, redet mir nach, was Ihr wollt und wo Ihr es wollt; ich habe kein Mittel, Euer Schweigen zu erkaufen und Euch vom Lügen- und falschem Zeugnißreden zurück zu halten, denn ich verschmäh' es, Euch wieder zu drohen wie Ihr mir: daß es mich auch nur ein Wort kostet, und Ihr seid überwiesen an Streitberg's und Weyspriach's Schuld mit[109] Theil zu haben – seid versichert, man wird keine langen Umstände mit dem Juden machen!«

»Gott meiner Väter!« rief der Jude, »Ihr redet das nur so in das Blaue hinein; der Jude Ezechiel ist alt und erfahren genug, um zu wissen, wie es mit ihm steht und was er hat zu thun oder zu lassen. So lange Weyspriach's Burg noch steht, gebe ich Euch Bedenkzeit, so lange werde ich schweigen. Schafft Ihr mir bis dahin den Ring, so seid Ihr für alle Zeiten meiner Dankbarkeit gewiß. Dann wird Ezechiel nicht allein schweigen, dann wird er Euch weiter helfen – Euch und Amadeus, wird Euch dienen und der Frau Scheurl. Schafft Ihr mir aber den Ring bis dahin nicht wieder, so wird das Verderben kommen über Euch und Alle, die ich da habe genannt, so wahr ich selbst Ezechiel heiße. Das überlegt Euch, und die Wohnung des armen Juden wißt Ihr ja nun zu finden!«

Damit ging er, ohne von Ulrich noch eines Wortes gewürdigt zu werden. –

So war Ulrich in der That durch den Juden von einem Netz umsponnen, daß er gar nicht einmal sehen konnte, aus welchen Fäden es gewoben, noch wen es mit ihm umgab. Und wie es ihm jetzt schien, war kein höheres Motiv dabei im Spiele, es war die gemeinste[110] jüdische Geldprellerei, der er zum Opfer fallen sollte! – Die Zeit, die ihm der Jude schenken wollte, schien ihm überflüssig als Bedenkzeit; aber er wollte sie nützen im Dienst der ewigen Kunst, der er sich geweiht – und vielleicht konnte er sie auch so nützen, Alles so zu leiten, daß er allein als Opfer fiel und alle Gefahr und Schuld auf sich allein nahm, die jetzt drohend über den Häuptern aller andern Wesen schwebte, die ihm im Leben theuer geworden, ja die sich überhaupt ihm nur genaht.

Wenig Tage darauf vernahm er mit Schrecken, daß der Propst Kreß erkrankt, vernahm er auch, was man in der Stadt über denselben redete; aber da er selbst zu ihm ging, um zu warnen oder zu berathen, so gut es gehen wollte, ohne durch ganz vollständige Mittheilungen die Angst des Propstes zu erhöhen, erfuhr er von diesem, daß der Abt des Benediktinerklosters als sein Freund und Gönner selbst bei ihm gewesen, um mit ihm im Vertrauen zu verhandeln: wie man das Bekanntwerden eines unangenehmen Vorfalls unterdrücken, dem Kloster und der ganzen Geistlichkeit eine Untersuchung und einen öffentlichen Eclat ersparen könne.

Ein Knecht, der früher schon im Kloster und später in der Stadt Dienste gethan, habe dem Abt berichtet,[111] daß er den Bruder Amadeus in fast ritterlicher Kleidung durch die Straßen Nürnbergs habe schleichen sehen, und daß ihn der Propst mit einem Baubruder bei nächtlicher Weile mit in das Haus genommen und bei sich verborgen. Auf diese Anzeige hin hatte der Abt in der Stille die Zelle öffnen lassen, welche vollends zugemauert worden war, als der Gefangene darin kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hatte; da man bei dieser Oeffnung nach einigen Wochen keinen Leichnam darin gefunden, so war es freilich klar, daß Amadeus geflohen war und daß er dies nicht ohne Helfershelfer hatte bewerkstelligen können. Indeß schien es dem Abt rathsam, darüber kein großes Geschrei zu erheben, sondern lieber zu thun, als ob nichts geschehen sei, so lange nicht durch Amadeus selbst die Sache ruchbar würde; denn eben damals waren in Kirchen und Klöstern mancherlei Mißbräuche eingerissen und das Ansehen Beider im Volke gesunken. Nicht etwa nur in den Klöstern, sondern im ganzen Volke, war eine beispiellose Verschlechterung der Sitten eingerissen und eine entsetzliche Verwilderung unter die Menschen gekommen; so wenig wie den Laien, so wenig galt selbst vielen Geistlichen der gute Schein, oder man suchte, wenn nicht ihn, doch das Ansehen durch Ketzergerichte und andere Zeichen[112] eines geistlichen Schreckensregimentes zu erhalten. Die aber zu den Besseren und Edleren der höhern Geistlichkeit gehörten, wie der Propst Kreß und der Abt des Klosters, die suchten wenigstens die eingerissenen Uebelstände und Ungehörigkeiten, die sie nicht ausrotten konnten und noch weniger an den Tag bringen, ohne in den Augen der Menge ihrem eigenen Stande zu schaden, zu vertuschen, so gut es gehen wolle.

Danach handelte auch jetzt der Abt in der Hoffnung, daß Kreß, wenn er Amadeus bei sich habe, oder seinen Aufenthalt wisse, sich mit diesem selbst leicht verständigen könne, daß er weit fort fliehen und sich verborgen halten möge, ohne je Jemanden zu vertrauen, woher er komme und daß er ein zum Tode verurtheilter und entlaufener Mönch sei. Lieber werde ihm der Abt selbst die Mittel zu weiterer Flucht verschaffen, als ihn der Verfolgung aussetzen, die ihn vor ein geistliches Gericht bringen werde, das ihn zum Tode verurtheilen müßte – ein Urtheil, das nun nicht wie das erstgefällte in der Stille des Klosters vollzogen werden konnte, sondern das der Welt offenbar werden mußte, weil andere weltliche Personen und Gerichte mit darein verwickelt sein würden.[113]

Dieser vertrauensvollen Mittheilung setzte der Propst die andere entgegen, daß allerdings Amadeus, aber erst einige Wochen nach seiner Flucht aus dem Kloster eine Nacht bei ihm gewesen, daß er sich nicht habe entschließen können, dem bei ihm eine Freistatt Suchenden, dieselbe zum Gefängniß werden zu lassen, noch sie ihm auf länger als einen Tag zu gewähren, und daß er Amadeus zum Reichsheer gesandt, in der Schlacht den Tod zu suchen, den er verdient habe und dem er doch im Kloster entronnen sei. Er erklärte nicht zu wissen und nicht wissen zu wollen, wie und wann und durch wen Amadeus befreit worden, und forderte zum Lohn für sein unumwundenes Geständniß von dem Abt, nicht nur die vorher versprochene Zusicherung, daß ihm dann selbst kein Schaden daraus erwachsen solle, sondern auch daß der Abt die ganze Sache unterdrücken und weder unter den Mönchen, noch den Baubrüdern, noch den Befreiern forschen möge.

»So lange das in meiner Macht ist und ich nicht von Außen dazu gedrängt werde,« versprach der Abt. »Ist es für die Ehre unseres Standes besser, Alles als ungeschehen zu betrachten, so soll es so gehalten werden; ist es jedoch nicht möglich, reden Andere oder die Thatsachen vor der Welt, so soll mit Strenge gerichtet[114] werden, und ich werde das Schonen nicht kennen, weder für mich selbst, noch für Feind und Freund.«

So weit war der Propst beruhigt für den Augenblick und doch voll Unruhe für die Zukunft; es war ein Damoklesschwert, das über seinem Haupte hing, und auch über dem Haupte Ulrich's.

Der mehr weiche und gutmüthige als starke und energische Charakter des Propstes Kreß war nicht dazu gemacht, solche Zustände mit Muth oder auch nur Gleichmuth zu ertragen, die ungewohnte Angst und Unruhe hatten ihm eine Krankheit zugezogen, die ihn lange an sein Haus gefesselt hielt. Als Ulrich zu ihm kam, theilte Jeder von dem Geschehenen oder Gefürchteten dem Andern eben nur so viel mit, als nöthig war zu beruhigen oder zu warnen; aber da Keiner wissen konnte, wie der Würfel fallen werde, ob überhaupt eine Anklage und welche zuerst sich erheben werde, so war es nicht möglich irgend eine Verabredung zu treffen oder einen Plan zu Schutz oder Trutz zu entwerfen – ja Ulrich stand nur das Eine fest, was er aber nicht sagte, daß er, wenn es zu einer bedenklichen Untersuchung kam, sich als den einzigen Schuldigen selbst darstellen und zum Opfer bringen wollte.[115]

So war noch Alles geblieben, als der Propst als ein Halbgenesener in die Lorenzkirche kam, die Darbringungen weiblichen Fleißes, die Elisabeth mit gestiftet, zu beschauen, und als Ulrich, um Hieronymus aus drohender Gefahr zu retten, sich selbst in die größte begab. Die Rettung war ihm gelungen, und Elisabeth, die er inzwischen nicht wiedergesehen, hatte ihm auf offenem Markt ihre Theilnahme zu erkennen gegeben. Lag darin nicht eine neue Gefahr – und empfand nicht Ulrich doch nebenbei einen süßen stillen Triumph in dem geheimsten Winkel seines Herzens?

Ihm war es, als sei es der schönste Tag seines Lebens. Er hatte an ihm eine Spitzsäule mit zierlichem Eichenlaub umrankt, das mit stachlichem Dornenwerk darum zu streiten schien, und doch in der Krone den Sieg davontrug, vollendet und eben sein Zeichen, den Kreis mit dem Winkelmaaß durchschnitten, hineingegraben, als er Elisabeth zur Kirche vorübergehen sah und nicht lange darauf das Gebälk am Kirchenbau erbebte, stürzte – und er nun, selbst der nahen Gefahr entronnen, Alles aufbot mit Anstrengung aller seiner Kräfte sie von den andern Baubrüdern abzuwenden und Hieronymus zu retten.[116]

Und da es ihm gelang und Hieronymus ihn innig umschlang und nichts zu ihm sagte als: »Mein Bruder!« da hätte er laut aufjauchzen mögen in dem Bewußtsein, daß er dem Freund hatte beweisen können, daß er noch ganz der alte für ihn sei – und daß nun auch aus dessen Seele alles Mißtrauen schwand, das sich darin festgesetzt seit ihrer verschiedenen Meinung über die Juden und seit ihm Ulrich wirklich etwas zu verbergen hatte. Das, was Ulrich selbst empfand gleich einer Versündigung an dem Freund, die er doch auch nur aus Rücksicht für diesen selbst, um ihn nicht durch einen Mitwisser zu einem Mitschuldigen zu machen, auf sich lud, das war nun auf einmal von ihm genommen: denn er hatte ihm jetzt gezeigt, daß er ihn mehr liebte als sein Leben, das er mit Freuden wagte an die Rettung des seinen, da alle Andere es verloren gaben und ihn zurückhalten wollten. Auch Mutter Martha war ihm versöhnt, und mehr – sie nannte ihn wieder ihren zweiten Sohn, denn er hatte ihr ja den einzigen gerettet. Sie gestand auch beschämt, daß sie es der stolzen Frau von Scheurl nimmer zugetraut hätte, daß sie einer alten Frau wie ihr auf offenem Markte einen Liebesdienst erweisen werde, aber sie fügte doch hämisch hinzu:[117]

»Freilich, sie fragt eben nach gar keiner Sitte, oder nach den Leuten, und so wie sie den Vorschriften des Rathes und der Schicklichkeit zum Trotz sich prächtig kleidet, so thut sie auch für eine arme alte Frau, was sonst keine von diesen hochmüthigen Geschlechtern thun würde; aber ich hab' es gesehen, wie sie außer sich war vor Angst, da Ihr in Gefahr schwebtet, und darum warn' ich Euch, Ulrich: wenn sonst vor keinem Weibe, so seid vor ihr auf Eurer Hut.«

Ulrich wies lächelnd die Warnung zurück, aber er erröthete leise und seine Pulse gingen schneller, da er jenes Augenblickes gedachte, wo er in Elisabeth's Gemach von ihrer bezaubernden Nähe wie berauscht gewesen.[118]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 3, Bremen 21875, S. 95-119.
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