VII. Die Zwei

[118] »Denkt Euch der Herren Wandergang,

Voran des Bettlers Kleid als Fahne!«

Alfred Meißner.


Es war Abend. Die Geheimräthin von Vordenbrücken hatte mit dem jüngern Waldow ein empfindsames Stelldichein in irgend einem romantischen Bosquet, ihr Gatte saß allein zu Hause und dachte zum tausendsten Mal darüber nach, wie schlimm es sei, eine schöne Frau mit einer reichen Mitgift zu haben. Eine Frau, welche jedem eifersüchtigen Vorwurf des Gatten sogleich den andern entgegen setzen konnte, recht wohl zu wissen, daß er mehr um ihre Staatspapiere, als um ihr Herz geworben habe, eine Gattin, welche es immer geltend zu machen wußte, daß ohne ihren Reichthum ihr Gatte eine unbedeutende Rolle in der Gesellschaft spielen würde, und daß er deßhalb sie niemals in der glänzendsten Ausstattung derjenigen Rolle beschränke, welche sie selbst sich einmal vorgenommen,[118] zu behaupten. So mußte er alle ihre Launen dulden, sie überall hin in die große Welt begleiten, wo er selbst sich und Andere langweilend eine erbärmliche Figur spielte, mußte ihre Liebhaber als Hausfreunde verbindlich willkommen heißen, und jetzt hatte sie es gar dahin gebracht, ihm durch seine Aerzte zu beweisen, daß der Gebrauch einer Wassercur in einer entfernten Wasserheilanstalt für seine Gesundheit ganz unerläßlich sei. Er hatte vergebens versichert, daß er sich ganz wohl fühle und einen ordentlichen Abscheu gegen alles Wassertrinken habe – gerade deshalb fand man die Wassercur für ihn um so unabweißlicher nothwendig. Die zärtliche Gattin versicherte, daß sie sich ewig Vorwürfe machen würde, wenn sie zugebe, daß der Gemahl die Pflege seiner Gesundheit in gleicher Weise vernachlässige wie bisher – daß sie darauf bestehen müsse, daß er ärztlichem Ausspruche sich füge, und daß sie ihn selbst begleiten werde, um den gewissenhaften Gebrauch des Bades selbst zu überwachen. Frau von Vordenbrücken gehörte mit zu den durch die Journale Mystifizirten; sie hatte gelesen, daß jetzt die Wasserheilanstalt zu Hohenheim der fashionableste Kurort Deutschlands sei – so durfte sie dort nicht fehlen. Die Kur selbst zu brauchen, fand sie langweilig und bürdete sie deshalb ihrem Gatten auf. Da dieselbe sehr viel Zeit erforderte und die Abendluft dabei gemieden werden mußte, konnte sie um so mehr ohne seine[119] stäte Nähe und Begleitung ihren Vergnügungen ungehemmt nachgehen.

Als jetzt der Geheimrath sich in diese unerquicklichen Betrachtungen seines ehelichen Lebens versenkte, hörte er ein bedächtiges und zugleich eiliges Klopfen an der Thüre. Auch ein Thürklopfen kann voll tiefster Charakteristik sein – das jetzt gehörte war es: es war das Klopfen eines Menschen, welcher in allen Dingen sehr vorsichtig zu Werke geht und doch zugleich immer sehr pressirt ist.

Der Geheimrath rief laut: »Herein!« erfreut eine Unterbrechung seines Gedankenkreises zu finden, und schritt schnell der Thüre zu, um zu öffnen.

Ein langer dürrer Mann mit einer ausgesucht maliziösen Miene trat ein.

»Guten Abend, mein lieber Doctor Schuhmacher!« rief der Geheimrath. »Ihr Besuch freut mich außerordentlich – ich hätte Sie längst schon gebeten, mir denselben öfter zu gönnen – allein Sie schienen mir immer mit so viel wichtigen Dingen beschäftigt, so pressirt, daß –«

»Wirklich schien ich das?« unterbrach Schuhmacher und machte dabei ein bestürztes und ziemlich albernes Gesicht. »So hätte ich dies Mal meine Rolle wirklich schlecht gespielt?«

»Ihre Rolle? Ich verstehe Sie nicht recht – aber[120] nehmen wir Platz. Sie werden mir doch heute Ihre Gesellschaft nicht sogleich entziehen?«

Schuhmacher setzte sich. »Wenn wir ungestört sind,« sagte er; »mich führt allerdings eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit zu Ihnen. – Aber vielleicht ist in Ihrem Nebenzimmer Gesellschaft – oder Ihre Frau Gemahlin – –?«

»Ich bin vollkommen einsam – es ist dies nicht das Local dazu, viel Gesellschaft zu empfangen, und was meine Frau betrifft, so ist sie ausgegangen, und ich denke, sie wird noch lange nicht wiederkommen –« der geduldige Ehemann konnte dabei doch einen leisen Seufzer nicht unterdrücken.

»Nun so bin ich zur guten Stunde gekommen,« sagte Schuhmacher geheimnißvoll, »denn die Unterredung, welche ich mit Ihnen haben werde, wird allerdings keine Zeugen dulden – – es ist doch Niemand von Ihren Dienstboten im Vorsaal oder nebenan? Sie erlauben, daß ich nachsehe und die Thüren verschließe.«

Der Geheimrath versicherte wiederholt, daß Niemand in der Nähe sei, Schuhmacher untersuchte aber doch zu bessrer Vorsicht alle Thüren, verschloß dann die äußere, setzte sich und begann:

»Daß ich mich hier befinde, geschieht nicht etwa, um die Mode mitzumachen, oder diese lächerliche Cur zu brauchen.«[121]

Der Geheimrath biß sich in die Lippen – Schuhmacher stellte sich, als ob er das nicht bemerke und fuhr fort:

»Ich bin von Amtswegen hier, und Nichts konnte mir bei der wichtigen Angelegenheit, welcher ich mich schon seit längerer Zeit unterzogen habe, mehr zu Statten kommen, als daß in dieser Gegend, welche der geheime Schauplatz staatsgefährlicher Bewegungen ist.«

Der Geheimrath schrak auf: – »Staatsgefährliche Bewegungen! Hier! In der That, ich erstaune! Wie sollte hier der Sitz einer staatsgefährlichen Bewegung sein, wo es weder eine Universität, Akademie, noch irgend ein Institut giebt, in dessen Schoose sie keimen oder sich verkriechen könnte? Staatsgefährliche Bewegung hier, wo es keine gefährlichen Menschen giebt – weder Advocaten, noch Künstler, Literaten und andere unnütze Subjekte, aus deren rebellischen Köpfen demagogische Pläne kommen könnten – hier!«

»O, mein theurer Freund, Sie mißkennen die Zeit, Sie stellen sich auf den Standpunkt, welchen wir vor dreißig oder auch vor zehn Jahren einnahmen. Jetzt gilt es ja gar nicht mehr, vor den Burschenschäftlern mit ihren schwarz-roth-goldnen Tiraden auf der Hut zu sein, auch haben wir nicht den schäumenden Julirausch zu fürchten, welcher achtzehnhundertunddreißig auf ein Mal aus den[122] Bürgern ganz aparte Menschen machen wollte – nein, vor diesen Dingen fürchten wir uns nicht mehr. Die Deutschthümelei ist, wie Sie wissen, vollkommen erlaubt, denn die Majestäten sprechen ja selbst von einem einigen Deutschland und die Toaste auf dieses sind vollkommen offiziell. Auch die Julimänner machen uns Nichts mehr zu schaffen, es ist ihnen ja unbenommen, in den Ständesälen schöne Reden zu halten und einander Adressen zu schicken. Daß dies Alles ohne weiteren Erfolg bleibt, wird uns ergebenen Dienern der Regierung und der Polizei ein Leichtes zu bewerkstelligen – aber hier haben wir es mit einem ungleich gefährlicheren Feinde zu thun – und deßhalb – um meinen Satz von vorhin zu beenden, konnte mir Nichts erwünschter kommen, als die Anlegung dieser Wasserheilanstalt. Sie gab mir Gelegenheit, hier einen längern Aufenthalt zu nehmen, ohne mich irgend Jemand verdächtig zu machen, ohne den wichtigen Zweck meines Hierseins irgend wem zu verrathen.«

»Ich begreife jetzt immer noch nicht klar, wo Sie hinaus wollen – denn die Nachricht von den Unruhen der Eisenbahnarbeiter ist doch zu neu, bedarf noch der Bestätigung.«

Schuhmacher fiel dem Geheimrath in's Wort: »Unruhen, Eisenbahnarbeiter – was wollen Sie damit?«

»Also ist es nicht gegründet?« fragte der Andere gelassen.[123] »Daß Sie es hätten lange vorausahnen können, schien mir mindestens unglaublich.«

»Ich bitte Sie um Gottes willen,« rief Schuhmacher außer sich, »was wollen Sie mit den Eisenbahnarbeitern? Was wissen Sie?«

»Sie wissen also Nichts?«

»Foltern Sie mich nicht länger, reden Sie heraus.«

»Nun, da Sie es nicht wissen, ist es gewiß nur ein leeres Gerücht – meine Wirthsleute erzählten mir, die Arbeiter an der nächsten Bahn – Sie wissen, man arbeitet jetzt ungefähr sieben Stunden von hier – hätten ihre Arbeit eingestellt, um einen höhern Lohn zu erzwingen.«

»Das wäre ja entsetzlich! Und wenn soll das geschehen sein?«

»Ich glaube erst heute.«

»Sonst hätt' ich es wissen müssen – ich muß sogleich mit Ihren Wirthsleuten sprechen, die Geschichte von ihnen selbst hören. – Waren sie dort?«

»Ich glaube, Ihr Sohn arbeitet dabei und ist eben zurückgekommen, um sich so aus der Schlinge zu ziehen.«

»Theuerster Freund! Erweisen Sie mir vor allen Dingen die Gefälligkeit, lassen Sie diesen Menschen unter irgend einem Vorwand zu sich kommen, fragen Sie ihn geschickt aus und erlauben Sie mir, im Nebenzimmer Ihr Gespräch mit anzuhören, es wird dies ungleich zweckmäßiger[124] sein, als wenn ich sogleich selbst mit ihm rede.« Schuhmacher rannte aufgeregt, bestürzt und nachsinnend zugleich in der Stube hin und her. Der Geheimrath maß ebenfalls das Zimmer, aber mit langsamen, abgemessenen Schritten. – Beide waren nachdenklich, jeder in seiner Sphäre und seiner Weise.

Der Geheimrath trat an's Fenster – drunten im Hof war sein Diener beschäftigt, Stiefeln zu putzen und schäkerte dabei mit einer muntern Bauerdirne, welcher er drohte, mit der Bürste voll Schuhwichse über ihr flachsblondes Haar zu fahren, wenn sie sich noch länger gegen einen Kuß sträube. In diesem allerliebsten Kriege war er eben nahe daran, Sieger zu werden, als der Ruf seines Herrn vom Fenster herab diesem ein unerwartetes Ende machte.

»Was steht zu Befehl?« schrie der Diener, mühsam seine üble Laune verbergend, als Antwort hinauf, während die Dirne kichernd und verschämt in den Kuhstall eilte.

»Ist unten der Sohn der Wirthin zu Hause, der vorhin angekommen ist?«

»Gnädiger Herr, ich werde zu Dero Befehl erst nachsehen,« war die umständliche Antwort.

»Was giebts?« rief mit Stentorstimme ein kleiner stämmiger Bursche aus dem Hause heraus – es war derselbe, von dem die Rede war, der Eisenbahnarbeiter Adam,[125] welcher das Frag- und Antwortstück von Herr und Diener mit angehört hatte und jetzt heraustrat.

»Wollten Sie wohl einmal zu mir heraufkommen,« rief der Geheimrath dem Burschen zu, »ich wünschte mit Ihnen zu sprechen.«

Der Bursche nahm ehrerbietig die Mütze ab und sagte höflich aber mit grober Stimme: »Ich komm gleich.«

Schuhmacher gab dem Geheimrath die Hand. »Die Regierung wird es Ihnen Dank wissen, wenn Sie auch dieser Angelegenheit sich annehmen!« sagte er feierlich. »Fragen Sie den Menschen geschickt aus – ich gehe in das Nebenzimmer,« und damit huschte er schnell zur Thüre hinaus, als er bereits schwerfällige Tritte auf der Treppe hörte.

Adam trat ein und drehte stumm die Mütze in der Hand.

»Man hat mir gesagt,« begann der Geheimrath, »daß Sie Arbeiter bei der Eisenbahn sind?«

»Ja,« war die kurze Antwort.

»Ist es wahr, daß die Leute dabei heute ihre Arbeit eingestellt haben?«

»Sie hatten's im Willen.«

»Sie wollten nur und es ist nicht geschehen?«

»Das weiß ich nicht so genau.«[126]

»Guter Freund, antworten Sie mir ordentlich und ohne Scheu – es liegt mir sehr Biel daran, über diese Sache Etwas zu erfahren – und es soll sein Schade nicht sein, wenn ich Wahrheit zu hören bekomme.«

»Der Herr haben wohl viel Actien dabei?«

»Nein – keine einzige – ich habe einige Leute, welche ich für zuverlässige und gute Arbeiter hielt, zur Arbeit bei dieser Bahn empfohlen, sie sind angenommen worden und es sollte mir leid thun, wenn sie sich mit bei den Unruhstiftern befänden, oder auch, wenn sie nicht mit zu diesen gehörten, aber mit unter ihnen, unschuldig mit den Schuldigen leiden müßten. Erzählen Sie mir also Alles aufrichtig und wie es kommt, daß Sie Sich heute hier befinden, da doch weder Feiertag noch Sonntag ist?«

»Ja sehen Sie,« sagte der Bursche treuherzig und durch die freundliche Art, mit welcher der Geheimrath zu ihm sprach, zutraulich gemacht, »das ist ein närrisches Ding – das Beil war mir auf den Arm gefallen, ich konnte nicht ohne große Schmerzen arbeiten, da dacht' ich: es ist besser, Du gehst jetzt für krank nach Hause – und so bin ich denn da. Feiertag steht heute freilich nicht im Kalender – auf der Bahn wird aber wohl welcher gewesen sein.«

»Wie so – die Leute mögen nicht mehr arbeiten? Ist denn der Lohn so gering?«[127]

»Nun, Viel setzt es freilich nicht, indessen, wir waren gerade nicht unzufrieden, wir hier aus der Gegend wußtens nicht anders. Aber da sind viel Ausländer unter uns, die hetzten uns auf und meinten, sie hätten bei andern Bahnen viel mehr gehabt. Nun wollten wir die und jene Erleichterung haben – wir kamen deshalb ein; Alles in Ordnung und Friede. Darauf hieß es, unsere Sache wäre verschickt und wir bekämen gewiß bald Erleichterung und manchen Vortheil. Ein paar Wochen vergingen – auf einmal hieß es: nun käme die Erleichterung – nein und wissen Sie, was das war?«

»Nun?«

»Es ist zu närrisch! Man machte uns bekannt, daß, wenn wir an unsre Angehörigen Briefe mit Geld schicken wollten, wir kein Porto zu bezahlen brauchten. Nun da schlag Einer ein Rad! Könnten wir so Viel Geld verdienen, daß wir welches wegschicken könnten, so würde gewiß Keiner klagen und das Porto würden wir da vielleicht auch noch zusammen bringen können.«

»Nun – und Ihr waret also damit nicht zufrieden?«

»Gnädiger Herr, wir, die wir vorher nicht gerade unzufrieden gewesen waren, wir lachten nur über so eine Verordnung und ließen es gut sein – die Andern aber murrten und sagten, sie ließen es nicht gut sein – – Da wird aber einem ehrlichen, ruheliebenden Kerle, wie ich[128] nicht wohl bei solchen Gesichtern, bei solchem tückischen Treiben. – Wie mir nun der Arm jetzt weh that, nahm ich's für ein Zeichen, 's sei wohl das Beste, jetzt wegzugehen. Nun calculirt' ich: Keiner von uns soll arbeiten, bis man ihm höhern Lohn verspricht – gut! Verspricht man den höhern Lohn und geht Alles vergnügt und lustig an die stehen gelassene Arbeit, so geh' auch ich vergnügt und lustig mit daran – läuft es aber schlecht ab – zwingt man uns, wieder wie erst um denselben Tagelohn zu arbeiten, hetzt' uns wohl gar mit Soldaten dazu und bestraft die, die es erst anders gewollt haben – muß man's wohl auch gut heißen, denn wer die Macht hat, hat das Recht, und das Recht muß wohl immer gut sein. – Dann, calculirt' ich, arbeit' ich auch wieder mit, aber Niemand kann mir Etwas anhaben, denn ich bin gar nicht da gewesen, sondern krank zu Hause wie der Teufel los ging.«

»War also etwas Bestimmtes beschlossen?«

»Weiter gar Nichts – als gestern, wie es von der Arbeit heim ging, sagt' es Einer dem Andern: Bruder, morgen machen wir gleich früh Feierabend – keine Hand rührt Etwas an – und wer doch an die Arbeit gehen will, dem soll's bald vergehen, wir werden keine großen Umstände mit ihm machen, er mag seine Knochen wahren – so hieß es, und so sagte man weiter: wenn sie dann kommen[129] und fragen, was das heißen solle, daß wir Feiertag machten, so antworten wir, daß wir für so geringen Lohn etwas Besseres thun könnten, als uns den ganzen Tag zu plagen; wenn man uns nicht verspräche, uns täglich wenigstens einen Groschen zum Lohn zuzulegen, so mögten die Herren Actionaire die Bahn mit eignen hohen Händen fertig bauen – wir fragten dann den Geier danach. So würden sie schon klein zugeben, hofften die Leute – – mir aber ward gar nicht wohl zu Muthe und wie ich schon sagte – da macht' ich mich in der Stille auf und ging heim – daß ich fortgelaufen, kann kein Mensch sagen, denn ich habe dem Aufseher meinen gelähmten Arm gezeigt und Urlaub genommen.«

»Das ist eben so pfiffig gehandelt, als treuherzig gesprochen,« sagte der Geheimrath – »eigentlich hätten Sie aber den Aufsässigen Gegenvorstellungen machen sollen.«

»Habe wohl – aber was nutzt das? Da schimpfen sie Einen gleich einen feigen Lumpenhund, eine Schafnatur und was der Ehrentitelchen mehr sind, und was man zum Frieden redet, das hilft nicht das Geringste. – Wer am Meisten schreit, schimpft und flucht, der ist ihnen dann der rechte Mann, vor dem haben sie Respect, auf den hören sie, den machen sie zum Führer – und sonst Keinen.«[130]

»Und das waren Ausländer oder –«

»Herr!« fiel ihm Adam in's Wort und seine Stirn ward plötzlich zornroth – aber eben so schnell, als er das eine Wort gesagt, brach er auch ab und schwieg wieder. – Der Geheimrath hatte Recht; Adam war wirklich so pfiffig als treuherzig; bei der letzten Frage errieth er plötzlich, daß man ihm zum Angeber machen wollte, und dagegen empörte sich seine redliche, Deutsche Natur. Adam war ein echter Typus Deutschen Charakters. Er war nicht gerade unzufrieden, aber da man ihm gesagt hatte: er verdiene es eigentlich, bessere Arbeit zu haben, als eben diese, so dachte er, ein höherer Lohn sei freilich mitzunehmen und eine schöne Sache – aber er fürchtete sich, dazu einen entscheidenden Schritt zu thun, ein Mal, weil er überhaupt träge zur That war und lieber geduldig wartete, bis, wie ihm die Ausländer höhnend zuriefen: die gebratenen Tauben ihm einmal aus der Luft in den Mund geflogen kämen; – und dann aus angestammter Liebe zu Frieden und zur Ordnung, aus christlicher Ergebung in die einmal bestehenden nothwendigen Uebel, aus angeborner Unterwürfigkeit und treuem Gehorsam gegen Vorgesetzte, aus Achtung einmal übernommener Pflichten. Dazu gesellte sich ihm die Furcht der Erfahrung, daß eben, wer die Macht habe, immer Recht behalte, und daß einige arme Arbeiter gegen diese Macht, welche sie beherrschte,[131] nicht das Geringste würden ausrichten können, weder im Guten, noch im Bösen. Deßhalb also mogte er nicht gemeinschaftliche Sache mit den Widersetzlichen machen und zog sich deshalb mit guter Art ganz von dem Schauplatz zurück, auf welchem jene wahrscheinlich ein elendes Trauerspiel aufführen würden; – und weil er sich sagte, daß er darin ganz verständig und nach seinem besten Gewissen handle, so war er unbefangen genug, dem fremden Geheimrath den wahren Sachverhalt zu sagen. Als aber dieser nach den Führern zu fragen begann, begriff Adam plötzlich, daß nun seine fernere harmlose Aufrichtigkeit häßliche Angeberei sein würde, daß man ihm nun, weil er mit den Kameraden nur keine gemeinschaftliche Sache habe machen mögen, zu deren heimlichen Feind machen wolle, und daß er vielleicht zu ihrem Verderben beitrage, wenn er die Fragen, welche man nun ihm vorlegen mögte, eben so offen und arglos beantworte wie die früheren. Gegen diesen Gedanken schon empörte sich die Deutsche Ehrlichkeit und biedere Freundestreue so heftig in seiner redlichen Brust, daß er den Geheimrath auf die erste verfängliche Frage mit einem plötzlich herausgestoßenen: »Herr!« förmlich anfuhr. Aber sich sogleich im Innern unwillkürlich selbst zurechtweisend, daß eine solche Heftigkeit wider den ihm doch eigentlich zur andern Natur gewordenen Respect gegen vornehme Leute und Beamte sei und in dem[132] Gefühle, daß Vorsicht zu allen Dingen gut, fügte er dem aufgebrachten »Herr!« höflich hinzu:

»Führer gab es eigentlich ja gar nicht, denn das Ganze war doch nur so ein schnelles Vorhaben und keine lange vorher abgeredete Sache. Einer raunte es dem Andern zu, wie ich schon gesagt: morgen arbeiten wir nicht und das war Alles. Und wie ich sah, daß sie fest entschlossen waren und Gegenrede nur Drohungen hervorrief, so macht' ich mich aus dem Staub.«

»Und wie es nun wirklich abgelaufen, davon wissen Sie Nichts?«

»Wie sollt' ich auch? Weil ich eben fort ging, ehe der Teufel los war – gleich gestern Abend. Die Nacht blieb ich dann im nächsten Dorf und heute Mittag bin ich vollends hierher gegangen.«

Der Geheimrath ging aufgeregt im Zimmer hin und her, Adam wünschte je eher je lieber von ihm loszukommen, und da er wohl merkte, daß, da Jenem so sehr Viel daran zu liegen schien, über die Sache mehr zu wissen, er wohl noch manche Frage würde beantworten sollen, wie er's vielleicht nicht ohne Verlegenheit konnte, so kam ihm ein guter Gedanke, um fort zu kommen, und er sagte: »Heute ist gerade der Tag, wo der Bote Martin von hier nach dem der Eisenbahn nächst gelegnen Flecken geht und Abends wieder zurückkommt, von dem[133] könnte man wohl Etwas erfahren, ich will doch zusehen, wo er steckt, zurück kommt er immer um diese Stunde und dann kann ich Ihnen wohl mehr erzählen.«

Dies Mal kehrte sich das Verhältniß um; die Maus hatte die Katze gefangen. Der Geheimrath ging glücklich in die Falle – er entließ nach diesem Vorschlag Adam gern. Dieser wußte recht gut, daß Martin immer erst einige Stunden später zurückzukommen pflegte – unterdeß kam die Nacht und er selbst war des Verhörs enthoben.

Schuhmacher trat nun wieder aus dem Nebenzimmer.

»Was sagen Sie – Freund?« sagte der Geheimrath mit einer vielsagenden Miene.

»Freund! Das ist ein furchtbares Complot! Gewiß ein sehr weit verzweigtes, dem auf den Grund zu kommen wir Alles aufbieten müssen!« rief Schuhmacher.

»Und Sie wußten davon Nichts?«

»Davon?! Mein Gott im Himmel, nein! Das ist Alles ganz heimlich gekommen – wie der Dieb in der Nacht!«

»Und was führte Sie sonst zu mir? Und was ließ Sie sonst von staatsgefährlichen Bewegungen in unsrer Nähe sprechen? Von gefährlichen Feinden der Regierung und der bestehenden Ordnung, die Sie mich wollten nicht unter Studenten, Schriftstellern und Bürgern, sondern in den untersten Classen der Gesellschaft kennen lehren – wenn Sie mich an die Eisenbahnarbeiter –«[134]

»Eisenbahnarbeiter, Eisenbahnarbeiter!« fiel ihm Schuhmacher hitzig in's Wort. »Wer hat an Eisenbahnarbeiter gedacht! Durch diese Entdeckung tritt die ganze Sache in ein neues Licht, in eine neue Phase! – Fabrikarbeiter – so hieß meine Loosung und das haben Sie übersehen können! Und ich habe die Eisenbahnarbeiter übersehen – – o, da sind ungeheuere Fehler geschehen – es ist himmelschreiend –« und in hitziger Wuth wie ein Mensch, der mindestens ein verlorenes Königreich bejammert, rannte er in der Stube auf und nieder – endlich warf er sich erschöpft in einen Lehnstuhl – athmete tief auf, fuhr sich mit dem seidnen Schnupftuch über die Stirn, auf welcher große Schweißtropfen standen – athmete tief auf – und hatte die verlorne Fassung wieder. – Gewohnt, sich immer zu beherrschen, im Leben oft die verschiedensten Rollen durchzuführen, die unähnlichsten Masken vorzunehmen, war es ihm eine ordentliche Wohlthat, wenn er sich einmal ohne Zeugen sah, vor welchen er nöthig hatte, seinen innern Bewegungen zwängende Hemmketten anzulegen – dann überließ er sich denselben ganz, ließ sie eine Weile toben, bis er dann nach diesem Aufruhr, sobald er einmal den Entschluß faßte, wieder gefaßt zu sein, gleichsam zu sich selbst sagte: Nun ist's genug, und im Moment all' seine Ruhe wieder hatte.

Mit dieser begann er jetzt: »Es sind die Arbeiter in[135] Felchners Fabrik, auf welche ich schon seit einem halben Jahr ein wachsames Auge geworfen habe. Einer von ihnen, Franz Thalheim genannt, hatte ein Buch geschrieben: ›Aus dem armen Volk – Allen Menschenfreunden gewidmet.‹ Dieses Buch war mir in die Hände gefallen – es enthielt die allerübertriebensten Schilderungen von der Noth der arbeitenden Classen. Ein Arbeiter derselben Fabrik hatte mir dies Buch gegeben. Sie wundern sich, wie ich mit einem solchen Menschen zusammenkam? – Nun wohl, es war schon längst von communistischen Verbindungen in Deutschland unter dem Fabrikvolk die Rede gewesen – man hatte sie aber noch nie entdecken können – ich hatte mich verbindlich gemacht, daß ich, wenn und wo solche existirten, sie auch würde ausfindig zu machen vermögen. Aber ich wußte. wie ich es anzufangen hatte. Ich begab mich hier in die nächste kleine Stadt – unter einem andern Namen – ich nannte mich Stiefel – und mit einer falschen Haartour unkenntlicher gemacht, begab ich mich in die Vierstuben und Schänken und suchte Verkehr mit diesen Leuten, um ihre Stimmung zu erforschen. Endlich gelang es mir, einen der Fabrikarbeiter bei Felchner mir ganz dienstbar zu machen. Von ihm hab ich immer die gewissenhaftesten Berichte erhalten über das, was seine Kameraden vornahmen. Nachdem ich ihn geworben, kehrte ich wieder in die Residenz zurück und[136] durchspähte andre Distrikte, wenn auch nicht mit gleichem Erfolg. Eines Tages entdeckte ich, wie jener Franz Thalheim einen Bruder als Gelehrten in der Residenz habe, welcher sich plötzlich auf eine auffallende Weise von Weib und Kind trennte und seine Stelle aufgab – Niemand wußte so eigentlich, weshalb? – Daß er sich auch mit Schriftstellerei beschäftige, war längst bekannt – und solche Menschen sind immer verdächtig. Ich erfuhr, daß er später, bevor er mit einem jungen Grafen eine weite Reise angetreten, sich hier bei seinem Bruder aufgehalten habe. Nach allen Erkundigungen, die ich einzog, erschien mir dieser Mensch als ein Radicaler von der gefährlichsten Sorte. Verdacht häufte sich auf Verdacht – ich stellte bei seiner Frau eine Haussuchung an. Sie wollte sich widersetzen – denn sie mogte fürchten. Leider schien ihr Mann sehr vorsichtig gewesen zu sein – er mogte alle Papiere, Korrespondenzen und Mannscripte, welche gegen ihn zeugen konnten, mitgenommen haben. Aber aus einigen Stellen in den Briefen, welche er an seine Frau geschrieben, wurden doch alle meine Vermuthungen bestätigt. Dieser Thalheim reiste jedenfalls als ein communistischer Missionair – er reiste nach der Schweiz, Belgien und Frankreich – vermuthlich, um sich dort am Heerde des Communismus neue Funken und Feuerbrände zu holen, welche er in den unterirdisch ausgehäuften Zündstoff werfen könnte. Aber[137] welch' überraschende Entdeckung mußte ich noch machen! Der freimüthige und berühmte Schriftsteller: Graf Jaromir von Szariny war ebenfalls in Verbindung mit diesen Thalheims! Ich fand Briefe von ihm aus früherer Zeit – die Gattin wollte es zwar leugnen, daß diese Verbindung noch bestände – allein wie fand ich es bestätigt, als ich diesen Szariny hier traf. Er hat sich hier angesiedelt, um sich nun in unmittelbare Verbindung mit den Fabrikarbeitern zu setzen. So eben berichtete man mir, daß er gestern den Muth gehabt, sich in der ganzen Fabrik herumführen zu lassen, die Arbeiter aufzuhetzen, Geld unter sie, besonders unter die Kinder zu vertheilen, und – –«

In diesem Augenblick hörte man das Rauschen eines Seidenkleides – die Geheimräthin kam zurück. Die Unterhaltung unter vier Augen war abgebrochen.

»Kommen Sie morgen früh zu mir, ich – oder viel mehr die Regierung bedarf Ihrer Dienste,« sagte Schuhmacher zum Geheimrath, als er sich entfernte.[138]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 2, Leipzig 1846, S. 118-139.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schloß und Fabrik
Schloss Und Fabrik (2); Roman
Schloß und Fabrik
Schloss und Fabrik
Schloss und Fabrik
Schloss und Fabrik

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon