Melancholie

[130] So ist denn Alles hingeschwunden

Als wie ein schnell verklungner Laut!

Die Zeit hat über schön're Stunden

Ihr Pyramidengrab erbaut.


Die heitern Strahlen sind erblichen,

Die meiner Jugend Pfad erhellt,

Die Schmerzen, die einst Wonnen glichen,

Sie zeigen sich nun unverstellt.


Und wie ein Schiff auf fremden Meeren

Der Wuth der Wogen preisgestellt,

So schiffet unter blut'gen Zähren

Mein Herz durch's Wogenmeer der Welt.
[131]

Und wie auf hohem Felsenthurme

Die Möwe ihre Rettung sucht,

So lenket im Gedankensturme

Mein Geist zu dir hin seine Flucht;


Und klagt mit Tönen schmerzgebrochen

Wie ewig theuer du mir bist,

Und spricht es aus, was ich verbrochen

Und nennt dir auch, wie ich gebüßt.


Daß ich noch lebe, sagt mein Leiden,

Daß ich dich liebe, sagt mein Schmerz,

Daß schwer ich büße, sagt mein Scheiden,

Daß ich dein würdig, sagt mein Herz.

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Pest; Leipzig 21845, S. 130-132.
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