In solcher Nacht

[149] Es winkt der Mond aus blauen Fernen

Hernieder seinen Geistergruß,

Die Erde schickt den Himmelssternen

In duft'gen Seufzern Kuß auf Kuß.


In solcher Nacht war's, wo die Hülle

Mir von dem jungen Auge fiel,

Wo ich der Liebeswonnen Fülle

Zuerst geträumt als Lebensziel,

Wo ein gestaltlos heißes Ahnen,

Tief mit geheimnißreichen Mahnen,

Die Seele mir zuerst durchfacht

In solcher Nacht.
[150]

In solcher Nacht war's, wo ich, trunken,

Zuerst an deiner Brust geglüht,

Wo deine Schwüre Gottesfunken

In's tiefste Wesen mir gesprüht,

Wo, um im Herzen mir zu liegen,

Vom ew'gen Thron herabgestiegen

Der Seligkeiten reichste Macht

In solcher Nacht.


In solcher Nacht ist's nun, daß, trübe

Mein Geist der Schätze all gedenkt,

Des Glück's, des Hoffens und der Liebe,

Die längst ins Meer der Zeit versenkt.

Was ich geahnt, was ich empfunden,

Was ich besaß, es ist verschwunden

Bis auf den Schmerz, der einsam wacht

In solcher Nacht.

Quelle:
Betty Paoli: Neue Gedichte. Pest 21856, S. 149-151.
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