Meine Todten

[253] Ihr, meine Todten! kommt, o kommt

Zum Frieden mir das Herz zu wenden!

Die einz'ge Labung, die mir frommt,

Die habt nur ihr mir noch zu spenden,

Herauf! herauf aus eurer Gruft!

Laßt euern Blick mich still durchdringen!

Die starke Liebe, die euch ruft,

Sie muß des Grabes Bann bezwingen! –


Mit ernstem Gruß trittst du heran,

Du Freund aus meinen Jugendtagen.

An's lichte Endziel deiner Bahn

Hat frühe dich dein Flug getragen.[254]

O Gott! ich weiß kein Menschenbild,

Das groß und rein, wie deines ragte!

Kein Aug', in welchem Trost so mild,

So siegreich wie in deinem tagte!


Der mächt'ge Tod, der Alles bricht,

Hat deine Macht nicht überwunden!

Du strahlst, ein erdenfremdes Licht,

Herein in meine trübsten Stunden.

Und will mein Geist, vom Natterstich

Des Zweifels blutend, bang verzagen,

Dann rufst du: »Auf! besinne dich!

Dein Loos ist Wirken und Ertragen!«


Und wie mein Ohr dem Worte lauscht,

Kehrt auch die alte Kraft mir wieder!

Durch meinen Busen strömt und rauscht

Geheimnißvoll der Strom der Lieder.

Das Walten fühl' ich deiner Hand,

Den Trieb mich deinem Glanz zu einen!

Wie Märtyrer im Flammenbrand

Bekenn' ich froh mich zu den Deinen!
[255]

So bist du mein Befreier, drängst

Mich rastlos fort zu neuen Siegen,

So wirkst du noch durch mich, ob längst

Zum Todtenreich hinabgestiegen.

Von dir gestützt, getragen, ringt

Mein Geist sich durch des Kampfes Wehe,

Den Hauch wahrhaft'gen Friedens bringt

Mir deine ewig theure Nähe! – –


Du, And're! sprich! was stehst du scheu,

Wie im Gefühl der Schuld befangen?

Mahnt bang Erinnern dich auf's neu',

Daß du dich einst an mir vergangen? –

Die Thräne, die mein Auge trübt,

Sie sage dir, wie ich dich richte!

Ich weiß, du hast mich viel geliebt – –

Dein Schuldbrief, ward längst zu nichte! –


Und du, verklärte Lichtgestalt!

Geliebteste von ihnen allen!

Mich faßt der Sehnsucht Gramgewalt,

Auf meine Kniee möcht' ich fallen![256]

Du schwebtest, leuchtend, wie ein Schwan,

In's Reich der unbewölkten Wonnen!

Als ew'ge Lust für dich begann,

Hat ew'ger Schmerz für mich begonnen.


Und diese unermess'ne Pein

Den Menschen darf ich sie nicht klagen!

Nur dir, mein Alles! dir allein

Darf ich in meinem Liede sagen:

Daß von den Thränen, die es trank,

An jedem Morgen feucht mein Kissen,

Mein Leben an der Wurzel krank,

Mein Herz im tiefsten Kern zerrissen!


Daß auf dem weiten Erdenrund

Ich nichts als deinen Hügel sehe,

Daß ich in meiner Seele Grund

Ein ewig Schmerzenfest begehe!

Genug! die keinem Aug' sich zeigt,

Du deutest sie die Hieroglyphe,

Und was das arme Wort verschweigt

Lies es in meiner Wunden Tiefe! –
[257]

Du lächelst sanft und feierlich?

O wohl versteh' ich dieses Lächeln!

Als ew'gen Lenzhauch fühle ich

Es meinen Schmerzen Kühlung fächeln!

Der Strahlenschimmer, der dich krönt,

Scheint rosig mir die Nacht zu färben!

O, nur der heil'ge Tod versöhnt

Mit dieses Lebens stetem Sterben! – –


Ihr theuern Todten, die ihr lebt

In uns'rer Sehnsucht, uns'rer Trauer,

Den heißen Schmerz um euch durchbebt

Allew'gen Lebens Wonneschauer!

Wie glaubte an Vergänglichkeit,

An spurlos Schwinden und Verwehen

Die Seele, d'rinnen Lieb und Leid

In wandelloser Blüthe stehen?! –

Quelle:
Betty Paoli: Neue Gedichte. Pest 21856, S. 253-258.
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