Stimme der See

[225] O wie mein Herz so gern

Der großen Stimme lauschet,

Die, wie ein Gruß des Herrn,

Aus Meerestiefen rauschet!


Sie nennt den Heimathsport,

Dem bang verirrten Kinde,

Sie hat das rechte Wort

Für das, was ich empfinde;


Sie ruft mir tröstend zu:

»Du sturmverschlag'nes Leben!

Die hingeschied'ne Ruh

Will ich dir wiedergeben.
[226]

Vertrau' dich meiner Huth!

Ich löse deine Kette.

Des Friedens Kleinod ruht

In meinem Wogenbette.


Der Lenz mit seiner Zier

Mahnt dich mit seinen Prangen,

An den nur, der in dir

Auf ewig hingegangen!


Und wenn zu Lust und Leid

Die Menschen sich verbinden,

Wirst deine Einsamkeit

Du bitt'rer nur empfinden.


Drum flieh' mit deinem Müh'n,

Wenn Schmerz in dir entbrennet,

Zu mir, die zwar kein Blüh'n,

Doch auch kein Welken kennet! –


Bei mir verstummt die Pein!

Sanft will ich dich umgleiten,

Du wirst nicht einsam sein

In meinen Einsamkeiten.
[227]

Mein Haus erhebet sich

Aus schimmerndem Kristalle,

Ich wölbe über dich

Die schattende Koralle!


Statt mit dem Rosenpaar

Von euern flücht'gen Lenzen

Will ich dein dunkles Haar

Mit Perlen licht bekränzen!


Ich will in meinem Arm

Dich fest und liebend pressen,

Bis daß du deinen Harm

In sel'gem Traum vergessen!


Befreit, wirst du die Gluth

Der Erde hier verlernen,

Und sehnend, wie die Fluth,

Aufrauschen zu den Sternen!«

Quelle:
Betty Paoli: Neue Gedichte. Pest 21856, S. 225-228.
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