Von Schimpff das 290.

[183] Der Adler sach den Fogler nit.


Uf einmal kamen vil Vogel zůsamen, und gloriert jeglicher in einer Tugent und Gab, dy er an im het. Ein Adler sprach: ›Ir armen blinden Fogel, ich übertriff üch alle in dem Gesicht. Ich wil als hoch fliegen, das euwer einer kum das Ertreich mag sehen, und ich wil doch mein Speiß sehen. Das wil ich beweren, und sitz einer uff mich!‹ Das Küniglin oder Zunschlipflin das saß uff in, und der Adler fůr in die Lüfft hinuff, als hoch als er mocht, und sprach zů dem Föglin, das uff im saß: ›Was sichstu insunderheit uff dem Erdtreich?‹ Das Vöglin sprach: ›Ich sih nichtz.‹ Der Adler sprach: ›Ich sihe mein Speiß, ein Schaff, und sihe alle Glider, die in im sein. Und das es war sei, so wil ich jetzundan gleich daruff fallen und wil mich ersettigen. Und du armes Thier můst Hunger leiden.‹ Und flügt uff das Lůder und wolt essen. Da[183] was der Fogler da und zohe das Garn, da was er gefangen. Da saß das Zunschlipflin uff einem Zunstecken und sahe es und spottet sein und sprach: ›Wa ist jetz dein gůt Gesicht, daruß du gloriert hast? Oder du groser Nar, hastu alle Ederlin in dem Schaff gesehen, und hast den grosen Fogler und das Garn nit gesehen? Sein mir und meiner Gesellen Augen nit jetz besser, dan dir die deine? Du armes Thier, du můst jetz sterben.‹

Also sein vil witzig nach der Welt, die nach der Geistlicheit grose Narren sein. Sie künnen einer Luß ein Buntschůhe machen und sehen nit den grosen Tüffel, der sie in der Welt anficht und sie in grose Sünd verstrickt, und wöllen nit Penitentz leren thůn, das sie ledig werden.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 183-184.
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