Von Schimpff das 576.

[328] Der Priester sang wie ein Esel.


Es was ein Priester, der het ein ruhe, böse Stim und wolt alwegen lut schreien und hoch singen. Und wan er also Meß sang und so hoch sang, so was ein Frau, die saß in der Kirchen und weint. Der Priester meint, sie weint darumb, das er so süß süng; so sang er dan noch vil höher, und je höher er sang, je übler es lut. Und uff einmal wolt er es selber erfaren und kam zů der Frawen und sprach zů ir: ›Liebe Frau, warumb weinen ir, wan ich also hoch sing?‹ Die Frau sprach: ›Es ist nit lang, da haben mir die Wölff ein Esel gesen, der sang eben wie ir. Und wan ich euch hör singen, so gedenck ich an mein Esel und můß dan weinen.‹

Also kumpt es offt, das einer fragt und meint zů hören, das er gern hört; so hört er alsbald etwas, das er ungern hört. Also geschahe dem Priester auch. Es ist ein Sprichwort: (Nil stulcius dici potest, quam quod anima falsa opinione decipiatur.) ›Es ist nichtz Dorechters, dan das einer meint, und nit ist.‹ Er meint, er sei hübsch, und ist leicham ungeschaffen; er meint, er sing wol, so singt er blůtübel. Und wer ein Ding nit kan, das stot im übel an, der wil es alwegen treiben, es sei Reden, Dantzen, Schimpff oder Ernst.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 328.
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