Einhundert und neunzigstes Sonett.

[22] O Luft, die, blonden Locken angeschmieget,

Sie hebt und regt und, hold von seinem Scheine

Bewegt, zerstreut des süßen Goldes Reine

Und sammelnd es in schöne Knoten füget!

Du bist in Augen, wannen mich besieget

Wohl manch ein Pfeil, daß noch ich's fühl' und weine;

Und wankend such' ich, ob mein Schatz erscheine,

Wie scheues Roß, das oft am Boden lieget.

Denn bald find' ich ihn nah, bald dann gewahre

Ich ihn so fern; bald muß ich stehn, bald fallen;

Bald seh' ich, was ich wünsche, bald das Wahre.

Du Luft mit lichtem Strahl', beglückt vor Allen,

O bleib'! – Und Welle du, o flücht'ge, klare,

Warum kann ich statt dein dahin nicht wallen?

Quelle:
Petrarca, Francesco: Italienische Gedichte. Band 2, Wien 1827, S. 22-23.
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