Franz und Nantel

[145] Ein Manuscript aus der Verlassenschaft eines bayrischen Handwerkspurschen.


Ein junger Pilgrim, Franz genannt,

Zog baarfuß durch das Bayerland.

Auf seiner rechten Schulter lag

Ein schweres Kreuz; den ganzen Tag

Bat er sein Paternoster her,

Als ob er schon im Himmel wär.

Auf einer schmalen Rasenbahn

Traf er ein frisches Mägdlein an,

So lieblich wie Sanct Dorothe,

So schlank wie Genovevens Reh.

Ein Schäferstab ziert ihre Hand,

Den Kopf ein Hut mit grünem Band.

Ihr Anblick so den Franz betäubt,

Daß er im Ave stecken bleibt.

Sein Herz kocht auf, sein Fuß wird lahm,

Und als die Dirne näher kam,

Spricht er, indem sein Aug sie mißt,

Halbleis: Gelobt sey Jesus Christ.

Das Kind versetzt nach Gotts Gebot:

In Ewigkeit, ward blaß und roth[146]

Und schlug die schwarzen Aeugelein

Stracks auf das Agnus Dei fein,

Das warm auf ihrem Busen wallt.

Woher? sprach Franz. Ich komme halt

Von Sanct Gaßner, (hier neigt sie sich)

Der mir vertrieb den Seitenstich,

Und meiner Mutter Kunigund

Die Hühneraugen aus dem Grund.

Es ist fürwahr ein Wundermann,

Der selbst die Teufel meistern kann.

Und ich, sprach Franz, mein trautes Kind,

Büß' eine große, große Sünd.

Ich liebt die junge Brunehild,

Schön wie ein Muttergottes-Bild

Und freundlich wie Theresia,

Wenn sie im Schlaf den Heiland sah.

Wir liebten uns ein halbes Jahr

Und wären jetzt ein Ehepaar,

Ach hätte nicht der grimme Tod

Sie abgemäht. In dieser Noth

Lief ich voll Angst und voll Verdruß

Und warf mich in den Iserfluß.

Ein Fischer holte mich heraus;

Dann fühlt ich erst mit bangem Graus

Wie weit der Satan mich verführt,[147]

Trat vor den Beichtstuhl tief gerührt

Und ward vom Pater Januar

Verdammt, dieß Kreuz ein ganzes Jahr

Zu schleppen, und zur Pönitenz

Alltäglich hundert Rosenkränz

Zu beten. Gott sey Lob und Dank,

Heut Abend werd ich frey und frank.

Ihr habt sie also recht geliebt?

Sprach Nantel, inniglich betrübt,

Zum hübschen jungen Pilgersmann,

Und eine warme Thräne rann

Aus ihrem Aug. Ihr Seraphim!

Rief Franz mit sanftem Ungestüm,

Was seh ich? ach sie weint um mich!

Der ganze Himmel segne dich,

Du liebes Mägdlein! Weißt du was?

Laß uns hier sitzen in das Gras.

Sie setzten sich, der gute Franz

Vergaß bey ihr den Rosenkranz.

Sein Kreuz pflanzt er in kühlen Grund,

Daraus ein Myrthenstrauch entstund;

In dessen Schatten sprach er viel,

Das sich nicht reimen lassen will,

Und als die Zung ihm wurde laß,

So schwatzten Aug und Herzen baß.[148]

Kurz eh noch klang das Angelus

Gab Nantel ihm den ersten Kuß.

Itzt führt er sie am Arm nach Haus,

Da hinkte Kunigund heraus;

Die Hühneraugen waren fort,

Doch sproßten Warzen an dem Ort.

Die gute Mutter freut sich fast

Ob ihrem Kind und ob dem Gast:

Sie tischt ihm Butterbrod und Wurst

Und Wabben auf, und für den Durst

Nahm er ein Glas Tyrolerwein

Auf Sanct Gaßners Gesundheit ein.

Er ward in ein Gemach geführt,

Mit lauter Heil'gen tapeziert,

Und schlief im grünen Bettgezelt,

In welchem Nantel kam zur Welt.

Was ihm in diesem Paradies

Geträumt hat, weiß man nicht gewiß.

Des Morgens als die Sonn aufstund,

Erschien ihm Mutter Kunigund

Und sprach: Mein Kind hat mir erzehlt,

Was Euch für eine Marter quält.

Wolan, ich hab nur dieses Kind,

Bin reich an Bienen, Schaf und Rind

Und möchte gern zum Tochtermann[149]

Solch einen frommen Jüngling han.

O Wunder! rief hier Franz und schoß

Zum Bett heraus, halb nackt und bloß.

Gebt ihr mir euer Töchterlein,

So endigt sich all meine Pein;

Do will sie mich? – Zieht Hosen an,

Sprach Kunigund und fragt sie dann.

Im Hui war unser Franz geputzt

Und trotz Sanct Görgen aufgestutzt,

Und als ihn Nantel kommen sah,

Sprach schon ihr Aug von ferne Ja.

Ein grauer, heiliger Dechant

Knüpft Tags darauf das Eheband.

Das ganze Dorf zur Hochzeit kam

Und aß mit Braut und Bräutigam,

Bis auf des Lammwirths Dominik,

Der sich erhieng an einem Strick.

Ich Küster Anton war auch da

Und habe die Historia

Bey zehn Maas Bier in einer Nacht

Mit Gottes Hülf in Reime bracht.

Dafür gab mir das junge Paar,

Traun! einen blanken Gulden baar.

Gott segne sie in dieser Zeit

Und in der frohen Ewigkeit.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 145-150.
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