Der Reformator

[186] Dem Affen kam es unbegreiflich vor,

Daß von dem ganzen Götterchor

Kein einziger so klug und so gerecht gewesen

Ihn für den Pfau, den Adler oder Spatz,

Und wenigstens doch an der Eule Platz,

Zu seinem Günstling auszulesen.

Er schüttelte den Kopf, ward erst ein Pyrrhonist,

Und endlich gar ein Atheist.

Ein langer Umgang macht auch mit Chimären

Den Geist vertraut. Er ordnet seine Lehren

In ein System und fasset mit der Zeit

Den edeln Vorsatz, aus Barmherzigkeit

Das ganze Thierreich zu bekehren.

Schon kam der neue Philosoph

Mit ernstem Schritt an des Monarchen Hof.

Er wußte wohl, daß sich in Moden und in Pflichten

Die Völker nach den Fürsten richten,

Und daß den goldnen Spruch: »Kein Ding ist unerlaubt«

Ein Potentat am ersten glaubt.

Der Löwe wollte gleich ein großes Bußfest halten,

Weil Gras und Korn mißrathen war;[187]

Mit tiefgesektem Haupt, umringt von Jung und Alten,

Bracht er dem Zevs ein Opfer dar.

Der Philosoph ergrimmt und will es muthig wagen

Mit seinem großen Schwert den ersten Streich zu schlagen;

Er drängt mit stolzem Blick sich in die bunte Schaar

Und macht ein Dutzend freche Glossen

Auf diese frommen Kinderpossen.

Der Bär brummt in den Bart, der Tiger lacht ihn an,

Allein der Elephant, ein alter Feind der Affen,

Erhascht den aufgeblasnen Laffen

Und schleppt ihn als Vezier zum Großsultan.

Itzt höret man den kecken Pavian

Gleich einem Cicero vor dem Monarchen sprechen;

Er wünschet als ein Philosoph

Dem König und dem ganzen Hof

Den Staar des Vorurtheils zu stechen.

Noch mehr: der Held verspricht dem dummsten Rind

Flugs darzuthun, daß keine Götter sind.

Nun redet er in abgezognen Schlüssen

Vom ersten mystischen Atomenmeer,

Aus dessen schwangern Finsternissen

Uns blos ein blindes Ungefehr

Und kein erträumter Zevs gerissen;[188]

Ein Meer, auf welchem uns ein Wirbel oben hält,

Bis wir nach kurzer Frist wie Seiffenschaum zerrinnen,

Um, fern von Tartarus und Elisäerfeld,

Den Todesschlaf von neuem zu beginnen.

Er schweigt. Monarch und Volk, bis auf die Clerisey,

Die stets die freye Wahrheit tadelt,

Stimmt ganz entzückt, mit gräßlichem Geschrey,

Dem so bequemen Glauben bey.

Kurz, Meister Affe wird geadelt

Und des Monarchen milde Hand

Schwingt schon dem trauten Gast ein blaues Ordensband,

Beschwert mit einem goldnen Schlüssel,

Um seinen Hals. Doch schnell ergreift der Elephant

Den neuen Kammerherrn mit seinem Rüssel

Und eh er noch um Hülfe ruft,

So schwebt er schon ein Haus hoch in der Luft:

Reif ins Atomenmeer zurückzufließen,

Stürzt er zerfetzt zu seines Feindes Füßen.

Hilf Jupiter, wie rast des Löwen Majestät,

Wie sträubt sich seine falbe Mähne!

Sein Auge flammt als ein Comet,

Er fletschet die geschärften Zähne[189]

Und brüllt dem Staatsminister zu:

Was, Bösewicht, so frech bist du

Dich an dem Freund, auf den wir unsre Gnade häufen,

Vor unsern Augen zu vergreifen?

Itzt fällt er knirschend auf ihn her;

Allein der Großvezier setzt lachend sich zur Wehr

Und ruft aus vollem Hals, daß es die Völker hören:

Du glaubest keinen Zevs, ich keinen König mehr.

Der Sultan schäumt und winkt dem Tiger, Wolf und Bären,

Den Erzrebellen zu verzehren.

Doch jeder merkte sich des Elephanten Spruch

Und lacht den König aus und schwört bey seiner Ehre,

Daß er so gut als dieser Löwe wäre.

Der Wolf erfrechet sich mit einem schweren Fluch,

Der Majestät zum Trotz den Widder zu zerreißen,

Und sein Gevatter Fuchs die Henne todt zu beißen.

Kurz, dieser Tag gebahr die Anarchie,

Das Faustrecht und den Krieg, der noch im Staate wütet.

Und so hat die Philosophie,

So gut als die Theologie,

Schon manches Unheil ausgebrütet.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 186-190.
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