Der Reiger und der Schwan

[180] An eines Teiches Ufer schlich

Ein wilder Reiger; er bekriegte

Die frommen Fische; während sich

Ein Schwan im Schoos der Fluthen wiegte

Und freudig seinen Päan sang.

Ey! rief der Dieb, seit wann ists Mode,

Daß Schwäne singen? wem erklang

Dein süßes Wonnelied? Dem Tode,

Sprach jener, und sein Jubelton

Ward festlicher. Herr Meistersänger,

Du bist ein alter Grillenfänger,

Erwiederte der Lestrigon,

Wer wird den Tod mit Hymnen grüßen?

Mich käme, traun! die Lust nicht an;

Weit eher würd ich weinen müßen.

Und das mit Recht, versetzt der Schwan:

Der Böse muß vor ihm erbeben.

Nach einem unschuldvollen Leben

Sieht man getrost sein Ende nahn.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 2, Tübingen 1802, S. 180-181.
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