Holien

[68] In China lag beym Sternenlichte

Ein Jüngling – Dank sey der Geschichte

Für seinen Namen – Holien

Lag müd auf seiner Binsenmatte

Und sah vom Räuber ungesehn,

Der sein Gemach erstiegen hatte,

Wie hurtig er, was ihm gefiel,

In seinen weiten Schnapsack steckte.

Er regt sich nicht auf seinem Pfühl

Und blinzt die Augen zu. Nun streckte

Der Gaudieb die versuchte Hand

Nach einem Topf von Siegelerde,

Der leer in einem Winkel stand.

Laß, rief mit flehender Geberde

Itzt Holien, laß, armer Mann,

Mir diesen Topf, damit ich morgen

Für meine Mutter kochen kann.

Der Räuber bebt: Schlaf ohne Sorgen;

Solch einen Sohn bestehl ich nicht,

Lallt er, legt all die Beute nieder

Und wischt sich Thränen vom Gesicht.

Seit diesem Tag stahl er nicht wieder.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 2, Tübingen 1802, S. 68-69.
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