Der achte Auftritt

[231] Die Vorigen und Karl Southwell.


WILLHELM. Rede, mein Sohn, ist Lucie ruhig? Ist sie es wirklich?

KARL. Sie ist es und noch mehr, sie ist so glücklich als ihr Karl Southwell der Glücklichste auf dem ganzen Erdboden.

ROBERT. Zweifle an deiner Glückseligkeit, Willhelm, sie ist ein Schatten, sie ist Erdichtung.

WILLHELM. Lucie und mein Sohn glücklich! Gütiger Himmel! So sind denn deine Wohltaten die Strafen, dadurch du dich rächest? Wie wird meine Seele ihre Freude ausdauern können?

KARL. Bester, gütigster Vater! Soviel Liebe, soviel Zärtlichkeit! Kann ich es ausdrücken, was mein Herz fühlet? Wie konnte doch Karl nur einen einzigen Augenblick unwürdig sein, Ihr Sohn zu heißen.

WILLHELM. Nie warst du es, mein Sohn. Bloß dein Mitleiden gegen Lucien verdienet schon diesen Namen. Derjenige, der das Unglück nie sieht, ohne ihm sein Mitleid und seine Träne zu schenken, verdienet der Sohn eines jeden rechtschaffenen Mannes zu sein. Fahre fort, der Menschlichkeit durch dein Mitleid Ehre zu machen. Tue noch mehr! Liebe Lucien. Dein Vater würde sich kränken, wenn du sie nicht lieben solltest.

KARL. Mein Vater würde sich kränken, wenn ich sie nicht lieben sollte? Gütigster Sir! Ich liebe sie. Sollte ich sie nicht bloß deswegen lieben, den besten Vater, den die Natur jemals gegeben hat, nicht zu kränken?

WILLHELM. Vollkommen edel! Ich erkenne und umarme meinen Sohn.

KARL. Und Sie wollen es also, daß ich sie liebe?

WILLHELM. Wer kann es nicht wollen, ohne ein Feind der Tugend zu sein? Selbst Amalie wird deinem Herzen ihren Beifall –

KARL. Amalie, die erhabene Amalie hat mir diesen Beifall bereits erteilet. Sir, sie allein ist es, durch die ich glücklich bin.

WILLHELM. Ja, ich weiß, du bist glücklich, und du bist es durch Amalien. Heute noch sollen alle deine Wünsche gekrönet werden.

KARL. Heute noch! Weniger Gütigkeit, wenn ich mein Glück überleben[231] soll. Sie wissen es also, daß ich glücklich bin? Wer hat es Ihnen entdecket? Eitler Verzug! Lassen Sie mich Lucien holen, daß ich mich mit ihr zu Ihren Füßen werfen und sie von Ihrer Hand als meine Gemahlin erhalten kann –

WILLHELM. Wen? Lucien als deine Gemahlin?

KARL. Wie, mein Vater, Sie erstaunen? Ja, diese Lucie, die Sie mir diesen Augenblick zu lieben befohlen haben, und die ich nach Ihnen mehr als alle Welt liebe!

WILLHELM. Fürchtete mein Herz vergeblich, Robert?

KARL. Mein Vater und sein Freund, beide vor Schrecken sprachlos! Und dies, weil ich Lucien liebe? Ach wie sehr betrog mich meine Einbildung. Ich sehe, Sie wissen noch nicht, wie glücklich ich bin. Erlauben Sie, gütigster Vater, daß ich Ihnen die Vergehung Ihres Sohnes gestehe, der Ihnen noch nie eine gestand, ohne dafür Verzeihung zu erhalten. Ich habe Ihnen meine Neigung für Lucien verborgen. Ich liebete sie, sobald ich sie sah, und mein Herz hatte das Glück, wieder geliebet zu werden, ohne es zu verdienen. Verzeihen Sie es der Zärtlichkeit zweier Herzen, die sich vor der Strengigkeit einer erhabenen Tugend fürchteten, ihr diese gemeinschaftliche Leidenschaft sehen zu lassen. Wie hätte Ihr unwürdiger Sohn nur den Beifall dieser Tugend bitten können, da ihn der Anblick der liebenswürdigen Amalie wankend machete. Aber nimmermehr, da ihn diese vortreffliche Amalie wieder zu seiner Pflicht zurückgeführet und alle ihre Rechte an Lucien abgetreten hat. Nunmehr, da er von der zärtlichen Lucie Verzeihung erhalten hat, nunmehr suchet er ebendiese Verzeihung und die Einwilligung dieser Verbindung zu den Füßen eines Vaters, der noch niemals die Verzweiflung seines Sohnes gewollt hat, und der ihm also diese Einwilligung nicht abschlagen kann. – Aber ach! Nicht eine Silbe von Ihnen? Dieser schweigende Gram, diese Tränen in Ihren Augen! Was verkündigen sie mir? Daß Ihr Sohn unglücklich und durch den zärtlichsten Vater selbst unglücklich sein soll? Vergessen Sie, daß ich strafbar war. Unterdrücken Sie Mitleid und Verzeihung, diese Eigenschaften, dadurch Sie so oft sich über andere Menschen erhoben haben, nicht zum erstenmal gegen Ihren Sohn. Lehren Sie mich, wie ich meinen Fehler verbessern kann, und die schwersten Pflichten sollen mir leicht sein.

WILLHELM. Vergiß Lucien. Dies ist der einzige Weg, ihn zu verbessern.

KARL. Gott! Lucien vergessen? Kann ich, können Sie selbst dies wollen? Unmöglich können Sie es.[232]

WILLHELM. Ich will, und dein Gehorsam allein wird mir meinen Sohn wiederschenken.

KARL. Erinnern Sie sich, es ist diese Lucie, die ohne mich ewig unglücklich sein wird, und die Sie selbst nur noch vor wenig Augenblicken so sehnlich glücklich zu sehen wünscheten. Wie kann ich sie vergessen, ohne sie zu hassen? Und wenn ward ich von Ihnen gelehrt, einen einzigen Menschen zu hassen?

WILLHELM. Liebe sie als deine Freundin und Amalien als deine Gemahlin. Kannst du deinem Vater ohne Errötung die Wankelmut gestehen, die Amaliens Seele mit Verachtung gegen dich erfüllen muß.

KARL. Lucie und Amalie, beide haben sie mir verziehen, sollten Sie weniger gütig sein können? Mein Herz verdienet Amalien nicht. Lassen Sie es der armen Lucie. Sie werden es ihr niemals entreißen können, ohne das ihrige und das meine zugleich mit den tödlichsten Martern zu zerreißen.

WILLHELM. Verlaß mich und hoffe nie, Lucien als deine Gemahlin zu umarmen.

KARL. Hoffen Sie nie, daß Karl Southwell eine andere Gemahlin wird umarmen können. Unnütze Tugend, ich war glücklich, solange ich lasterhaft war; und jetzt, da ich für dich zu empfinden anfange, bin ich elend.


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 231-233.
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