113. Apelles an Junia Marcella.

[75] Nikomedien, im Mai 305.


Ein Brief des Königs von Armenien hat mich schnell hieher beschieden, um deiner unglücklichen Freundin den kleinen Trost zu bringen, dessen sie fähig ist, den Trost des Umgangs mit einem Glaubensgenossen. Ich habe sie sehr gebeugt, aber ganz in den Willen der Vorsicht ergeben gefunden. Vorgestern gab sie wider alles Vermuthen – denn Jedermann fürchtete für sie und ihr Kind – einem gesunden, schönen Mädchen das Leben, und befindet sich so wohl, als es in ihrer Lage möglich ist. Sie folgt mit kindlichem Zutrauen jeder Vorschrift des Arztes, jedem Wunsch, den ihre Freunde für ihre Gesundheit äußern. Du kennst die Quelle dieser Sorgfalt, und wirst die Gewalt, die sie über sich selbst hat, in diesem sonst so zarten Wesen mit mir bewundern.

Gestern war der merkwürdige Tag, wo endlich, nachdem der abgegangene Augustus, Tiridates, der Präfekt der Jovianer, und viele andere Menschen von Bedeutung sich bei dem Galerius verwendet hatten, dem Gefangenen die Erlaubniß zu bewirken, daß er seine Frau[75] noch ein Mal sehen dürfte – dieser traurige Besuch Statt hatte. Theophania begehrte am Morgen zu beichten. Ich fand dies Begehren etwas seltsam, da ihr körperliches Befinden nicht die mindeste Veranlassung dazu gab; doch wollte ich ihr die Beruhigung nicht versagen. Sie verrichtete die heilige Handlung mit Heiterkeit und Stärke. Als die Stunde nahte, wo sie ihren Gemahl erwartete, sah ich sie unruhig werden, sie erblaßte bei jedem Geräusch, wurde zerstreut und immer ängstlicher und ängstlicher. Da trat die Königin ein. Ein kleines Zittern, das ich trotz ihrer gehaltenen Fassung an ihr bemerkte, eine ungewöhnliche Blässe in ihrem blühenden Gesichte kündigte mir den gefürchteten Augenblick an. Sie näherte sich Theophanien, und sagte mit mühsam erzwungener Gelassenheit, daß Agathokles wahrscheinlich bald kommen würde. Er kommt! rief Theophania jetzt mit einer fürchterlichen Heftigkeit, die ich nie von ihr gesehen hatte – er kommt! O mein Gott! – Calpurniens Zittern nahm immer mehr zu. Du kennst, meine Freundin, fuhr sie langsam fort, die armselige Furcht des Tyrannen, er glaubt sich seines Opfers nicht sicher genug. Es sind zwei Offiziere vorausgekommen, die Befehl haben, zu untersuchen, ob hier keine Möglichkeit, kein Anschlag zur Befreiung vorhanden sey. O laß sie kommen, rief Theophania – sie sollen thun, was sie wollen, was sie müssen, aber mich laß nur nicht lange auf ihn warten! Calpurnia ging, und kam sogleich mit zwei Centurionen wieder, die mit größter Achtung die Kranke um Entschuldigung ihrer schweren Pflicht baten, und dann das Zimmer und die Umgebungen schonend, aber aufmerksam untersuchten. Hierauf stellte sich der Eine außerhalb der zweiten Thüre,[76] die in ein andres Gemach führte, der Zweite ging zurück, um Agathokles herein zu führen. Jetzt richtete sich Theophania auf, sie zitterte, daß ihre Hände zusammenschlugen, eine Leichenblässe bedeckte ihr Gesicht, während ihr Auge vor Freude strahlte. Beinahe eben so zitternd hielt die Königin sie umfaßt. Nun hörten wir außer der Thüre eine Kette fallen, dann noch eine, die beiden Frauen schrieen laut auf – und Agathokles trat ein. Theophania nannte seinen Namen mit einem heftigen Schrei, und beugte sich mit ausgebreiteten Armen gegen ihn; er stürzte auf sie zu, und schloß sie fest an seine Brust. Nun riß sich die Königin laut schluchzend von der Gruppe los, und eilte in's andere Zimmer. Ich folgte ihr, sie warf sich auf das Ruhebette, und weinte heftig, ohne zu sprechen, ohne etwas anzuhören, was ich ihr zu sagen versuchte.

Im Zimmer der Gatten war Alles still und ruhig. Nach einer Stunde ungefähr rief mich ein Sclave, ich ging hinein. Welche Veränderung in der kurzen Zeit! Still, gefaßt saß Theophania an die Brust ihres Mannes gelehnt, eine himmlische Freude war über ihre Züge ausgegossen, das jüngere Kind lag in ihrem Arm, das ältere hing an des Vaters Hand, und spielte mit seinem Gewande. Agathokles Gesicht trug neben den Spuren eines mühsamen Kampfes alle Zeichen erstrittener Ruhe, und männlicher Kraft. Nur wenn sein Blick auf die Kinder fiel, durchzuckte ein wehmüthiger Zug sein Gesicht, und er sah mitleidig auf seine Frau. Er reichte mir die Hand entgegen. Wir sehen uns zum zweiten Mal in einer wichtigen Minute, sagte er, und ich werde dir dies Mal, wie das erste, hoch verpflichtet seyn. Theophania[77] ersuchte mich, ihr und ihrem Gemahl das heilige Abendmahl zu reichen, das sie noch nicht empfangen hatten. Er ist vorbereitet, fügte sie hinzu, als ich sie etwas befremdet ansah. Die Kinder wurden entfernt, und die beiden Gatten empfingen mit Rührung und allgemeiner Fassung die heilige Speise. Agathokles stand vom Boden auf, wo er gekniet hatte, und jetzt sah ich, daß er zitterte, und sich an dem nebenstehenden Tisch anhalten mußte, sein Gesicht wurde zusehens blässer, sein Auge war starr auf die Wasseruhr1 geheftet, die ihm gegenüber an der Wand stand. Der Offizier trat ein, und erinnerte ihn, daß die Zeit, die ihm vergönnt war, vorüber sey. Vorüber! rief Theophania, und alle Unruhe und Heftigkeit der vorigen Stunden kam wieder in ihr Gesicht. Vorüber! wiederholte er mit dumpfer Stimme: »Ich komme den Augenblick!« Er verneigte sich gegen den Centurio, der das Zimmer alsogleich verließ, und ich ging aus der andern Thüre, um es der Königin zu melden, wie sie mir befohlen hatte. Ich sah sie erstarren, sie stand auf, aber sie bedurfte meiner Unterstützung, um den Porticus hinab bis in's Atrium zu gehen, wo wir Agathokles bereits wieder gefesselt an einer Säule gelehnt fanden. Dumpfe Laute, halb Seufzer, halb Schluchzen, tönten einzeln und heftig aus seiner Brust. Calpurnia winkte uns, sie einen Augenblick mit ihm allein zu lassen – ich ging mit den Centurionen, die ihr ehrfurchtsvoll gehorchten, hinaus. Bald darauf kam Agathokles mit[78] bleichem verstörten Gesicht aus dem Atrium, er trat zu mir, bot mir die Hand, und empfahl mir seine Frau, seine Kinder. Die Offiziere naheten sich ihm, er eilte rasch in ihrer Mitte fort.

Theophania fand ich ohne Bewußtseyn, und sie hat seitdem nur wenig helle Augenblicke gehabt. Wenn es erlaubt wäre, so etwas zu wünschen, so würde ich ihr vom Himmel zu erbitten suchen, daß dieser Zustand der Bewußtlosigkeit bis über jenen fürchterlich-ernsten Augenblick dauern möge, dem Agathokles in der künftigen Nacht entgegen geht; denn längern Aufschub von Galerius zu erhalten, war unmöglich. So bald ich dir etwas Besseres oder Bestimmteres zu schreiben habe, sollst du Nachricht erhalten.

Fußnoten

1 Die Alten hatten, um die Zeit zu messen, keine Uhren wie die unsrigen, sondern bedienten sich der Sonnen-, Wasser- und ähnlichen Uhren, in welchen eine bestimmte Quantität Materie in einer bestimmten Zeit ablief, wie z.B. in unsern Sanduhren.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 75-79.
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