12. Calpurnia an Sulpicien.

[54] Rom, im März 301.


Zum erstenmal in meinem Leben setze ich mich mit rothgeweinten Augen, erschöpft von einer halbdurchwachten Nacht, nieder, um deinen Brief zu beantworten, den mir deine treue Chromis gestern in der Dämmerung verstohlen brachte, dein Schicksal mit dir zu beklagen, und, was mich selbst schmerzt, in deinen mittheilenden Busen auszugießen. Arme, unglückliche Freundin! Und durch wen unglücklich, als durch das boshafte Geschlecht, das, zu unserer Qual geschaffen, uns durch seine Fehler und Tugenden gleich empfindlich martert! O glaube mir, Sulpicia, ich fühle mit dir. Die Aussicht, einen Freund zu verlieren, dessen Vorzüge mich eine Weile verblendeten, zeiget mir, was es seyn muß, einen Geliebten zu vermissen. Agathokles ist im Begriffe fortzureisen. Du staunst? – So plötzlich, so unerwartet, so – wie soll ich sagen? ohne alle hinlängliche Veranlassung! Sein Eifer für die gute Sache deines Tiridates wurde auf einmal so brennend, und seine Pflicht, dem Wunsche seines Vaters entgegen zu kommen, so dringend, daß er sich auf der Stelle entschloß, Kriegsdienste zu nehmen, und den Feldzug wider, die Perser mitzumachen. Er, dessen[54] Charakter, dessen Denkart nie diesem Beruf günstig oder gemäß war, er, der in so Manchem, fast in allen Stücken von seinem Vater verschieden denkt; er hat nun nichts Angelegeneres zu thun, als sich zur Reise anzuschicken, und einen Ort bald zu verlassen, wo ihn nichts auf der Welt zurückhält. O! Er hat vollkommen Recht; aber diejenigen, die sich über seine Entfernung grämen wollten, hatten eben so vollkommen Unrecht.

Das weiß ich, das fühle ich, und doch, Sulpicia – wie muß ich mich meiner Schwachheit schämen – doch, gestern, als er es mir ankündigte! Ich war nicht vermögend, ihm sogleich zu antworten. Meine Kniee wankten, mein Blut schien auf einen Augenblick stille zu stehen, und ich empfand, daß auch meine Gesichtsfarbe, wenigstens zum Theil, die Bewegung verrathen mußte, die in meinem Innern vorging. Indessen – er war ja so gefaßt, so ruhig, so aus freiem Willen entschlossen! Was hätte ich für ein verworfenes Geschöpf seyn müssen, wenn ich mich nicht an dieser Kälte abgekühlt, an dieser bewunderungswürdigen Kraft gestärkt hätte! Ich wurde auch stark! Ich fand in ein paar Secunden, ja indeß er noch, ich weiß nicht mehr was, sagte – denn zum Verstehen war ich zu sehr, o gegen dich darf ich ja den Ausdruck brauchen! zu sehr betäubt – ich fand die Kraft wieder, ihm mit Gelassenheit, ja sogar scherzhaft zu antworten. Schnell, mit einer leichten Wen dung drehte ich das Gespräch auf Nebensachen, auf die Anstalten zu seiner Reise, die günstige Witterung u.s.w. Mein Vater und meine Brüder waren gegenwärtig. Es ward mir leicht, unter einem Vorwande das Zimmer zu[55] verlassen, und in der Einsamkeit die mühsam zurückgehaltne Erschütterung meines ganzen Wesens austoben zu lassen. Gern hätte ich auch den Thränen, die Schmerz und Zorn unaufgehalten hervorriefen, freien Lauf gegeben; aber das durfte ich nicht wagen, denn die Stunde des Abendessens war nahe, und Agathokles, wie immer, bei uns. Ich wendete also blos die einsame Viertelstunde an, um eine leidentliche Haltung anzunehmen; dann kam ich in's Speisezimmer zurück. Die Abreise, welche mein Vater und die Brüder recht aufrichtig bedauerten, war, wie du denken kannst, der Gegenstand aller Gespräche. Ich that mir Gewalt an, so viel Gewalt, daß mein Herz heimlich aus allen Tiefen zu bluten anfing; aber ich erstaunte selbst über meine Kraft, und schien von Allen die Ruhigste, die Kälteste, sogar kälter als er, und das wollte Viel sagen! Da bemerkte ich denn – o was sind diese Männer für schwache Geschöpfe! Wie reizt sie so gar nichts, als was ihnen verwehrt ist! Wie wird die unbedeutendste Sache ihnen, wie den kleinen Kindern, nur dann lieb, wenn sie sich ihnen entzieht! – ich bemerkte deutlich, daß Agathokles in eben dem Maaße stiller, nachdenkender, mißmuthiger schien, je heiterer und fröhlicher ich wurde. Das verdoppelte meine Kraft; denn es flößte mir ein Gefühl von Spott ein, und so gelang es mir, bis zu Ende der Mahlzeit die Rollen ganz umzutauschen. Wir schieden scherzend auseinander. Ich ging auf mein Zimmer – ich hoffte ruhig bleiben zu können. Da trat deine Chromis ein, und ich las deinen Brief. Auf einmal fiel die Erinnerung an meine Lage, vermischt mit dem, was ich für dich empfand, wie eine[56] Centnerlast auf mein Herz. An deinen Schmerzen erneuerten sich die meinigen, und meine Thränen fingen an so heftig zu fließen, daß der Morgen bereits zu dämmern begann, als endlich ein mitleidiger Schlaf meine Augen schloß. So sind es denn Männer, und immer Männer, die die höchsten Qualen über unser Leben ausgießen, sie mögen uns lieben oder hassen! Serranus liebt dich, dein Vater, so hart er scheint, nimmt doch gewiß innigen Theil an dir, und Agathokles? O wie oft las ich das Geständniß seiner Liebe in seinen Augen, seinen entschlüpften Worten! Und doch, doch können sie uns so grausam peinigen, so aller Rücksichten vergessen, und in der rohen wilden Kraft ihres Wesens auch nicht von fern ahnen, wie ein Weib fühlt, und was unsre Herzen bei diesen rauhen Berührungen leiden müssen!

Was ist es bei Agathokles? Philosophischer Stolz, keiner Leidenschaft zu unterliegen? Spiel mit einer wachsenden Empfindung, oder lächerliche Treue gegen ein Schattenbild? Was es immer sey – er befolgt seinen Plan, weil er ihn einmal entworfen hat, ohne Rücksicht auf die, die Antheil an seinem Schicksal nehmen, die ihn in jedem Zimmer, bei jedem einsamen Mahle, bei jeder reizlosen Freude schmerzlich vermissen werden. Er denkt nicht daran. Er will reisen, und so thut er es. Und ich sollte ihm nachweinen? Nein, Sulpicia, diesen Triumph soll der kalte ernste Censor1 nicht erleben.[57] O! ich will fröhlich und heiter seyn, und lächeln, wenn er sein Pferd besteigt, und zum letztenmal aus dem Thore unsers Hauses sprengt. Ich will – denn er verdient es nicht anders!

Sieh doch, Sulpicia, was Stolz und Unmuth für eine Gewalt über den Menschen haben! Ich habe mit Thränen zu schreiben angefangen, sie sind während des Briefes noch häufig geflossen; jetzt sind sie getrocknet. Ich weine nicht mehr, denn ich zürne, und finde in meinem Zorn eine Stütze gegen die unzeitige Weichheit meines Herzens. O man tadle mir den Zorn nicht! er ist eine erhebende, eine heldenmüthige Empfindung, er hält der lähmenden Wehmuth das Gleichgewicht, und stärkt uns, wenn mir zu unterliegen befürchten müssen.

Mit deinen zwei Peinigern wollen wir schon auch noch fertig werden. Sie sollen uns nicht über die Köpfe wachsen. Sind sie hart, wir wollen es noch härter; sind sie schlau, wachsam, wir wollen es noch mehr seyn. Es soll ihnen nicht gelingen, uns zu trennen. Wir sehen uns bald und ungestört wieder. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Censor war eine obrigkeitliche Person in Rom, unter deren Aufsicht die Sitten und das Vermögen der römischen Unterthanen standen.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 54-58.
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