36. Sulpicia an Calpurnien.

[92] Synthium bei Nikomedien, im Febr. 302.


Ich bin in Synthium, meine Geliebte! auf dem Landhause unsers, deines Freundes Agathokles. Eine angenehme Stille umgibt mich, und wiegt nach einer langen Zeit voll Zerstreuungen und Erschütterungen meine ermüdeten Sinne in eine wohlthätige Ruhe. Agathokles[92] besucht uns, so oft es seine Geschäfte erlauben, und mein Tiridates bringt alle Zeit, die er dem Hofe abmüssigen kann, bei mir zu. Ich bin frei, Galerius hat meine Scheidung bewilligt, und den Befehl darüber an den Senat von Rom und den Serranus Anicius gesandt. So sind denn alle Plane ausgeführt, alle Wünsche erfüllt, und ich kann ruhig dem Zeitpunkt entgegen sehen, wo keine Macht der Welt mich mehr den Armen meines Tiridates wird entreißen können.

Nichts stört den vollkommenen Genuß meines Glücks, als die noch fortdauernde Schwäche meiner Gesundheit, eine Folge den langen Leiden und Kränkungen. Sie sind verschwunden, aber ihre Wirkungen fühle ich noch. Auch die Jahreszeit hatte während der Seereise nachtheilig auf mich gewirkte. Ich kam krank in Nikomedien an. Aber, meine Calpurnia! um keinen Preis möchte ich die Erfahrung dieser Krankheit nicht gemacht haben. Sie hat mir Tiridates Liebe in noch glänzenderem Lichte gezeigt. Ich bin ganz glücklich. En ließ mich ohne weitere Vorbereitung, fest auf Agathokles Freundschaft rechnend, gerade in sein Haus führen, er trug mich auf seinen Armen aus der Sänfte in das Zimmer, das uns der freundliche Wirth selbst anwies. Agathokles bewährt sich auch jetzt, wie immer, als einen der besten Menschen, er empfing uns mit rührender Freude, und behandelt uns wie geliebte, Geschwister. Ich finde ihn sehr verändert – doch davon nachher. Jetzt laß mich dir nur erzählen, daß ich seinen Bemühungen für Alles, was er zur Erleichterung meiner Lage dienlich fand, und Tiridates zärtlicher Sorgfalt größtentheils meine Wiederherstellung verdanke.[93]

Das Geräusch, die Unruhe in der glänzenden Hauptstadt des Orients wurde mir bald zur Last. Agathokles errieth meinen Wunsch, und bot mir seine Villa Synthium, die einige Meilen von Nikomedien liegt, ein Erbtheil seiner Mutter, zum Aufenthalt an. Ich nahm es mit Vergnügen an. Das Einzige, was meine Freude störte, war die Bemerkung, daß Tiridates sich nicht eben so leicht, wie ich, aus der Hauptstadt entfernte; indessen brachte mir seine Liebe auch dieses Opfer, und ich lebe hier ganz nach meinem Herzen. Die Villa liegt einsam und verborgen zwischen waldigen Hügeln, die der Anfang des Gebirges sind, das weiterhin sich zum Berg Olymp aufthürmt. Obgleich die Landstraße nicht weit vor dem Garten vorbeigeht, so fällt doch das Haus, das halb zwischen Pinien versteckt und nicht groß ist, nicht sogleich in die Augen. Die Gärten sind weitläufig, und zeigen in manchen Anlagen Spuren eines düstern Geistes, der hier in der Einsamkeit seinen Gefühlen nachhing. Dieser Ausdruck des Ganzen gefällt mir ungemein, und ich belausche in ungestörter Einsamkeit hier das Erwachen des Frühlings, von dessen Einfluß ich viel für meine Gesundheit hoffe. Tiridates hat mich den Kaiserinnen Prisca und Valeria1 vorgestellt, auch mit dem Cäsar Galerius habe ich gesprochen, und alle haben mich mit Anstand und Guts empfangen. Bei Diocletian allein war es mir noch nicht möglich, Zutritt zu erhalten; er umgibt sich mit so[94] viel persischem Pomp und Ceremoniel, daß der Zugang zu ihm überaus schwer ist. Der Cäsar hat mir seinen Schutz versprochen, und Wort gehalten, wie du weißt; und so ist meine Zukunft freundlich erheitert, und jede Sorge verschwunden.

Ich habe dir gesagt, daß ich Agathokles sehr verändert gefunden habe. Der Verlust, den er erlitten, und die Art desselben werden dir bekannt seyn, so wie sie es mir waren, noch ehe ich in Nikomedien ankam. Ich war folglich vorbereitet, die Spuren dieser Begebenheit in seinem Aussehen zu finden; dennoch fand ich mit Trauer weit mehr, als ich erwartet hatte. Seine Züge, die nie den Ausdruck der Jugendblüthe trugen, sind jetzt tief verfallen, sein Blick ist erloschen, und Alles kündigt ein ganz niedergebeugtes Gemüth an. Ich vermeide von seinem Unglücke zu sprechen, und er hat Larissens Namen noch nicht genannt, seit ich hier bin; doch sehe ich vor, daß der Zufall vielleicht einst ein solches Gespräch herbeiführen wird, und zittere dafür.

Auch in dieser Rücksicht wäre mir die Beschleunigung deiner Ankunft, nachdem nun einmal die Bestimmung deines Vaters als Proconsul entschieden ist, sehr erwünscht, nicht als ob ich eine so geringe Meinung von Agathokles Festigkeit hätte, um zu glauben, daß dein bloßer Anblick hinreichen würde, diese tiefen Wunden schnell zu heilen, aber ich hoffe viel, und mit der Zeit Alles von deinem heitern Sinn, von deiner freundlichen Güte, von deinem Verstände, und – von deiner Schönheit. Wie empfindlich das starke Geschlecht gegen äußerliche Reize ist, lerne ich immer mehr und mehr einsehen; es wirkt[95] nichts so schnell, so stark, so bleibend auf sie, und auch die Besten sind hierin bis zum Erstaunen schwach.

Nikomedien wird dir gefallen. Es herrscht hier ein geselliger Ton, man liebt Pracht und Zerstreuung, aber man liebt es mit Geschmack und ziemlichen Anstand. Dies scheint eine Wirkung des ceremoniösen Hofes und der Denkart der beiden Kaiserinnen zu seyn, die in ihren Grundsätzen sehr streng, und, wie Manche glauben, heimliche Christinnen seyn sollen. Genug, der Schein wird gerettet, aber im Innern der Häuser hat eine übermäßige Ueppigkeit nicht allein auf den Genuß des Lebens, sondern auch auf die Sitten unsers Geschlechts einen nachtheiligen Einfluß. Die Weiber des Hofes und der Stadt sind fast alle locker in ihren Grundsätzen und von zweideutigem Rufe; aber sie sind schön! – Ich habe bei einem Feste eine Versammlung von Gestalten gesehen, über deren Reize, durch den sinnreichsten Putz, und die geschmackvollste Pracht erhöht, ich wirklich erstaunte, deren Anblick mir – nicht Neid, dessen hält dein Herz mich nicht fähig – aber ein Gefühl von Trauer über meine so schnell verwelkte Jugend einflößte. Ich bin nicht mehr, was ich war, und hier ist Alles so bezaubernd, so verführerisch, so zudringlich!

Schreibe mir doch noch, meine Geliebte! ehe du Rom verlässest, und suche deine Reise zu beschleunigen! Mein Herz schlägt dir mit Sehnsucht und Ungeduld entgegen. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die Häuser der Alten, sowohl in Italien, als vorzüglich im Morgenlande, hatten selten Fenster auf die Straße. Man trat durch den Thorweg in den Hof, um welchen herum die Zimmer gebaut waren, deren Fenster und Thüren gleichfalls auf den Hof gingen.
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Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 33, Stuttgart 1828.
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