4. Agathokles an Phocion.

[16] Rom, im Jänner 301.


Ich bin in Rom. Daß ich dir seit meinem Aufenthalte von vierzehn Tagen noch nicht geschrieben, mag die Neuheit der Dinge, die mich umgibt, und ihre Einwirkung auf mich entschuldigen. Daß ich aber hier jene Heiterkeit und Fröhlichkeit nicht gefunden habe, und nicht finden werde, die man sich in Nikomedien für mich versprach[16] – das fühle ich. Auch ist Rom vielleicht unter allen Orten der Welt gerade derjenige, wo ich am wenigsten genesen werde. – Bin ich denn aber krank? Man bildet es sich ein, weil ich nicht leben kann, wie die Uebrigen um mich herum. Ihre Verkehrtheit macht mich seltsam – ihre Thorheiten mich streng und unverträglich erscheinen. Nicht, daß ich das Ungeheure, das Unmögliche fordere; aber daß Wahrheit und Tugend, Zucht und Sitte ihnen unmöglich scheint, das ist der eigentliche Grund unseres Streites. Das Jahrhundert ist krank, nicht der, der kühn genug ist, mit voller Kenntniß der bessern Vergangenheit es so zu nennen. Wie soll ich es unter diesen Menschen aushalten!

Mit der Beschreibung meiner Reise zu Wasser und zu Land will ich dich, aus Achtung für deine Zeit, verschonen. Dir genügt zu wissen, daß ich gesund und mit recht heitern offenen Sinnen in der Hauptstadt der Welt ankam. Der Genuß der unbeschränkten Natur, die Unendlichkeit des Meeres, die Freiheit meiner Muße hatte mich froh und für jeden guten Eindruck empfänglich gestimmt. Dir, dem Lehrer meiner Jugend, dem keine meiner Empfindungen fremd ist, darf ich gestehen, daß ein seltsames Gefühl mich ergriff, als unser Schiff in die Mündung der Tiber einlief, und nun bald der Schauplatz jener großen würdigen Scenen, die mein Gemüth von Kindheit an ergriffen hatten, vor mir erscheinen sollte. Es glühte in mir, meine Brust schlug stärker. So kam ich in Rom an. Von der Höhe des Kapitols schienen die Manen der großen Vorfahren herabzuschweben. Rund umher war heiliger Boden. Ueberall Erinnerung, – Würde, – Hoheit. Durch die menschenvollen Straßen[17] führte mich mein Wegweiser in das Haus unsers Gastfreundes Lucius Piso. An manchem Denkmal ehrwürdiger Vergangenheit, an manchem Weiser auf einen hellen Punkt der Geschichte, ging ich mit hochschlagendem Herzen vorüber, mit dem festen Vorsatz, sie alle nächstens zu besuchen. Am Vorhofe empfing uns eine Schaar reich gekleideter Sclaven. Man führte mich in's Atrium1. Die Bildsäulen des Pisonischen Hauses, viel merkwürdige Gestalten, dem Geschichtskundigen wohlbekannt, standen hier. Ihre erhebende Gegenwart hatte die Länge der Zeit getäuscht. Ich sah erst am Sonnenzeiger im Hofraume, daß man mich eine ziemliche Weile hatte warten lassen. Jetzt erschien ein zierlicher Sclave, der vorzüglich schön griechisch sprach – und führte mich durch viele kostbar geschmückte Gemächer, voll Vasen, Gemälden, Bildsäulen – zum Lucius Piso. Er ist ein würdiger Mann – an der Gränze des Greisenalters, kräftig, verständig, edel – weit edler aber ohne den Prunk, der ihn umgibt, und seinen innern Werth verhüllend mindert. Der Vater gefiel mir – minder die Söhne. Es sind Jünglinge, nicht ganz so von allen Vorzügen entblößt, wie die übrigen, die ich hier und zu Hause kennen gelernt habe; aber die Farbe des Zeitalters hat sich ihnen zu stark mitgetheilt, um sie wahrhaft achtungswerth zu lassen. Vor dem Abendessen stellte mich Piso seiner Tochter vor. Bei den Göttern, ein reizendes Geschöpf! Das Gerücht hatte mich bereits auf sie aufmerksam gemacht – ich fand dennoch in jedem Sinne mehr, als ich erwartet[18] hatte. So viel Schönheit, so viel unaussprechliche Anmuth des Körpers und Umgangs, und so viel Leichtsinn und Verkehrtheit der Gesinnungen! Die Tochter eines der ersten römischen Häuser – die Abkömmlingin so edler Matronen, im Anzug und den Umgebungen einer griechischen Hetäre2, und dennoch in Reden und Handlungen vollkommener Anstand und edle Weiblichkeit!

Besser als alle übrigen Menschen, die ich in Rom kennen gelernt habe, würde mir Sectus Sulpicius, ein Römer aus einem altadeligen Geschlechte, gefallen, wenn nicht ein Zug von Härte, und ich fürchte zu sagen, Eigennutz, diesen Charakter befleckte. Eine liebenswürdige Tochter hat er, ohne auf ihr Glück Rücksicht zu nehmen, seinen Planen geopfert. Sulpicia soll schön, tugendhaft, und in der Verbindung mit einem armseligen Weichling aus dem Anicischen Hause sehr unglücklich seyn. Ich freue mich, sie bald kennen zu lernen. Unser Freund Tiridates ist auch der ihrige. – Ob er ihr noch mehr ist, mag ich nicht erforschen, weil ich mir die Achtung für sie gern rein erhalten möchte.

Meinem Vater habe ich bereits zweimal – einmal aus Corinth mit einem zurückgehenden Schiffe, und vor mehreren Tagen aus Rom geschrieben. Die Ehrfurcht, die ich ihm als Sohn schuldig bin, will ich wissentlich nie verletzen. Uebrigens kann ich leider von dem, was er wünscht, nichts thun. Ich kann nicht leben und handeln wie er; denn ich kann nicht denken und fühlen wie er, und eines festen Gemüthes gänzliche Umstimmung ist nicht das[19] Werk der Ueberredung oder des Zwanges. Umstände, Zeit, Verlockung könnten etwas thun; aber wo die Ueberzeugung des Rechts so unerschütterlich gegründet ist, wie in mir, ist auch von dieser nichts für mich zu fürchten, für ihn nichts zu hoffen. Er hat mich aus Nikomedien fortgeschickt, um in andern Ländern durch Erfahrung zu lernen, daß meine Denkart abenteuerlich, meine Forderungen an die Menschheit überspannt, meine Begriffe von öffentlichem Wohl thöricht seyen. Ich habe ihm gehorcht. Laß mich gestehn, daß mich dieser Gehorsam nichts kostete; denn in meinem Innern war eine Stimme, die mir sagte, daß Vater und Sohn nicht so von einander denken, und wenn sie so denken, nicht beisammen leben sollten. Meine Ansicht aber wird ewig dieselbe bleiben. Rom wenigstens wird nichts daran ändern. Wie widerlich mir diese Stadt mit ihren Einwohnern ist, kann ich dir nicht sagen. Auch glaube ich gern, was schon Tiridates (mit dem ich allein hier in diesem Sammelplatze von Lastern und Thorheiten leben und reden mag) gegen mich behauptete, daß gerade der scharfe Gegensatz des Einst und Jetzt, der in diesen verächtlichen Nachkommen würdiger Väter so grell in die Augen springt, meine Abneigung gegen sie noch vergrößert. Nein, wahrlich, Phocion! mein Vater hätte mich nicht nach Rom schicken sollen!

Indeß bin ich, im Ganzen genommen, doch nicht ungern hier. Ich lerne viel, sammle Erfahrungen, sehe manches Denkmal der Kunst und bessern Zeit, und gehe mit vielen unterrichteten Männern um. Meine Stunden sind regelmäßig unter Geistes- und Körperübungen, Genuß und Anstrengung getheilt. Du weißt, ich brauche nur Muße, und Freiheit, um zufrieden zu seyn. Zufrieden![20] Mehr kann und soll ja der Mensch nicht verlangen. Und ist nicht jeder nur so glücklich, als er sich selbst dafür hält? Wenn auch manchmal trübe Gedanken in meiner Seele aufsteigen, so ist es Uebung der innern Kraft, sie zu bekämpfen. Der Mensch ist nicht zum Glück geboren, seine Bestimmung ist, gut zu seyn. Zur Güte führt die Weisheit, zur Weisheit Freiheit von Bedürfnissen. Das laß uns nie vergessen, daran laß uns festhalten, und was dann über uns ergehen mag, mit muthigem Sinn und heiterer Stirn erwarten.

Fußnoten

1 Atrium war eine Art Vorhaus oder Vorsaal, in welchem bei den adeligen Familien die Bildnisse der Vorfahren aufgestellt waren.


2 Hetäre, ein griechisches Wort, das so viel als Freundin oder Gefährtin bedeutet, und eine anständige Benennung für eine unanständige Lebensart war.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 16-21.
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