5. Derselbe an Denselben.

[21] Rom, im Februar 301.


Mein Vater war krank, schreibst du mir, aber er ist wieder auf dem Wege der Besserung. Dank den himmlischen Mächten, die unser Schicksal leiten! Es würde Mich sehr geschmerzt haben, ihn in den letzten Augenblicken nicht gesehen, und seinen Segen, seine volle Verzeihung nicht erhalten zu haben. Er ist doch mein Vater, und was auch zwischen uns obwaltet, so behauptet die Natur in ernsten Momenten ihre vollen Rechte, und ich fühle an der Freude, welche mir seine Genesung verursacht, was für Bitterkeit sein entfernter einsamer Tod durch mein Leben gegossen haben würde.

Sein Betragen während der Krankheit ist dir so sehr aufgefallen? Mir nicht. Seine Philosophie ist, wie bei vielen Menschen unsrer Zeit, nie Wirkung von Grundsätzen, sondern Folge der Bequemlichkeit gewesen. Er hat dem Tempel zu Delphi einen Dreifuß gelobt, und dem Aesculap einen Hahn geopfert1, er, der sonst Götter[21] und Götterdienst als leere Schattenbilder verachtete, hingestellt, um einen blinden Pöbel in Hoffnung und Furcht zu erhalten? Was er gethan hat, werden Tausende thun. Das ist das Verderben der Zeit, daß sie in den Staub tritt, was der Vorwelt heilig war, und nichts hat, den ungeheuren Verlust zu ersetzen. Was auch die Meinung des Pöbels von seinen Göttern ist – laß sie ihm, wenn du ihm nichts Besseres zu geben hast. Und wer hat das? Das Licht, das uns in den eleusinischen Geheimnissen leuchtete, ist Etwas; aber immer wenig für den dürstenden Geist, der hier an der Quelle zu trinken sich sehnt und ängstet. Es ist kein kleiner Theil des Kummers, der oft meine einsamen Stunden verdunkelt, hier so ganz in Nacht zu tappen. Ich sinne und strebe und kämpfe meinen Geist müde; und versinke ich in eine Art von Betäubung, dann ist der Gedanke, daß so viele große Männer der Vorzeit nicht mehr wußten, dem ermatteten Sinn Beruhigung, bis eine neue Anregung meine Zweifel auf's Neue stürmisch emportreibt, und die Stille meiner Seele stört.

Wenn nur irgend eine Leidenschaft, ein würdiger Gegenstand des Ehrgeizes, der Liebe oder Freundschaft meinem unstäten Willen eine bestimmte Richtung, meinen Kräften einen angemessenen Zweck darböte! Du bist entfernt, du, der allein mich versteht. Hier bin ich ganz[22] einsam. Tiridates ist unstreitig liebenswürdig, und ich glaube – hätten wir uns jünger gekannt – wir wären vielleicht Freunde geworden. Das, was uns jetzt trennt, und unsre vollkommene Vereinigung hindert, liegt nicht sowohl in unserm Innern, als es von Außen angebildet worden ist. Denn über Alles, was dem Menschen, als solchem werth, unschätzbar, heilig ist, denken wir ganz gleich. Aber der frohmüthige Königssohn, am orientalisch-prächtigen Hof Diocletians, in der Gunst des Cäsar Galerius, in Hoffnungen auf den Thron seiner Väter erzogen, kann niemals mit dem unberühmten Sohn des Privatmannes, den Erziehung und Umstände auf einen ganz andern Standpunkt gestellt haben, die Dinge der Welt in einem gleichen Lichte sehen. Wir lieben uns, das ist viel, aber nicht genug für mein Herz, nicht genug für seines, das außer mir noch Manches bedarf, und auch gesucht und gefunden hat. Er liebt Sulpicien, das unglückliche – aber bis dahin tugendhafte Weib eines Andern.

Calpurnien lerne ich täglich näher kennen, und täglich entfaltet sich ihr Charakter mehr der ersten Ansicht gemäß, unter der er mir sogleich erschienen war. Sie ist nicht ohne Verdienst, aber sie ist unbeschreiblich leichtsinnig, und das Größte und Würdigste muß, wenn sie die Laune anwandelt, ihrem Witze eben sowohl zum Spielwerk dienen, als das Gemeine und Lächerliche. Wir sind in ewigem Streite mit einander, wir scheinen uns zu hassen, doch weiß ich wohl, daß wir uns im Grunde Beide achten, aber nie – nie nähern werden.

Ehrenstellen zu suchen, bei dieser Entartung des Gemeinwesens, bei dieser Auflösung aller heiligen Bande, kann nur Eigennutz oder Ruhmsucht anreizen. Vaterlandsliebe[23] ist ein leerer Schall, und Wirken zum Besten des Ganzen, ein kindischer Traum geworden, seit ein Einziger mit unausweichbarer Gewalt alle Macht in Händen hat, und Senat, Patricier und Volk eine folgsame Heerde Sclaven ist, dieser Senat, der mit derselben Bereitwilligkeit die Mörder des Caligula belohnt, und die Vergötterung eines Caracalla2 unterzeichnet! – O Tiber hat ihn wohl gekannt und verachtet! Und wie tief unter jenem steht noch der jetzige, dieses willenlose Spielwerk der Laune eines Einzigen, oder des rohen Uebermuths der Prätorianer!

Ich hasse die Tyrannei, ich fühle mit Schmerz, daß mich das Schicksal um vier oder fünf Jahrhunderte zu[24] spät geboren werden ließ. Dennoch muß ich Diocletian bewundern, dessen Riesengeist und vorzügliche Herrschergaben nicht allein den ganzen Erdkreis, so weit ihn gebildete Nationen bewohnen, sondern, was noch mehr ist, die Leidenschaften derjenigen im Zaum hält, denen Nähe des Throns und oft wiederholtes Beispiel eine ewige Anreizung zu kühnen Versuchen seyn könnte. Doch scheint mir, die Würde der römischen Macht, die der außerordentliche Geist dieses Mannes aus zerfallenden Trümmern herrschend hervorrief, wird wohl mit diesem Geiste stehen und sinken. Nicht Maximians rohe Kraft, nicht Galerius düsteres Gemüth, nicht der weiche Constantius sind der ungeheuren Last gewachsen. Jetzt behauptet Jeder, von des Herrschers Klugheit wohl gewählt, den angewiesenen Platz mit Ehre, und benagt sich leicht und kräftig in seinem Kreis. Doch das ist Täuschung. Es sind nicht sowohl zwei Auguste und zwei Cäsaren, die die römische Welt theilend regieren: es ist ein gewaltiges Genie, das durch die Andern, wie die Seele durch Organe, wirkt. Was entstehen wird, wenn einst diese Seele entweicht, liegt im Dunkel der Zukunft verborgen. Erfreulich kann es auf keinen Fall seyn.

Sieh, das ist unser Unglück, daß wir – Bewohner eines Freistaates – so weit gekommen sind, den Tod eines Alleinherrschers fürchten zu müssen; daß an Einem Geiste das Schicksal der Welt hängt, und in dem von Grund aus verderbten Volke, das einst den ganzen Erdkreis durch seine Helden eroberte, durch seine Staatsmänner regierte, ein solcher Verlust unersetzlich ist. Sein Tod wird das künstliche Band zerreißen, womit er die zerfallenden Glieder des Riesenkörpers wider den Geist[25] der Zeit und der Umstände gewaltsam zusammenhielt, und den Barbaren, die neidisch und gierig unsere Grenzen umlauern, scheue Ehrfurcht gebot. Trüb und düster liegt die Zukunft vor mir, die Gegenwart ist schaal, die Vergangenheit ohne Freuden; denn meine Kindheit und erste Jugend schwand unter feindlichen Umgebungen hin. Wo soll mein Geist sich hinwenden?

Phocion! Ich bin nicht glücklich, und mit unendlichem Schmerze fühle ich, daß die Quelle meines Unglücks nicht sowohl in der Welt um mich, sondern in nur selbst liegt. Tausende an meinem Platze würden vergnügt seyn, sind es wirklich. Ich trage Begriffe, Forderungen, Gestalten in meiner Brust, die nimmermehr zu dem passen, was um mich vorgeht. Ich bin in ewigem Kampfe mit der Wirklichkeit, und sie rächt sich nur zu bitter an dem, der ihre Freuden verschmäht. Und wie soll ich's ändern? Kann ich mich umgestalten? O warum ward mir nicht ein kleiner Theil des holden Leichtsinns zum Loose, der die reizende Calpurnia so sanft über alle Unannehmlichkeiten des Lebens hinwegführt?

Dem trüben Geist, in quälenden Gedanken versunken, erscheint nur zuweilen ein einziges Bild aus der Nacht der Vergangenheit, das ihn sanft und freundlich anlächelt, dann schnell verschwindet, und den brennenden Schmerz in süße Wehmuth löset.

Als ich ein Kind war – lange ehe mein Vater mich deiner Leitung übergab – wohnte dicht an unserm Hause Timantias, ein edler Nikomedier, der eine der ersten Würden im Staate bekleidete. Mein Vater und er waren Freunde, wenigstens was man gewöhnlich so nennt, seine Kinder unsre Spielgefährten. Mich hielt ein schwächlicher[26] Körperbau, das Erbtheil einer früh verblichenen Mutter, und meine Gemüthsstimmung von wildern Spielen ab, in denen meine früh verstorbenen Brüder mit Timantias Söhnen die Jugendkräfte freudig übten. Larissa, Timantias Tochter, blieb dann bei mir, ihr sanftes Gemüth fand Vergnügen darin, mich nicht zu verlassen. Wir spielten zusammen, oder sie beredete mit der unwiderstehlichen Macht der Güte die Uebrigen, ein Spiel ruhigerer Art zu wählen. So sorgte sie für mich, liebte mich, und erfüllte mein Herz mit süßen Empfindungen. Wir wuchsen heran, unsere Neigungen wuchsen mit uns. Da trat das Schicksal kalt und feindlich zwischen uns. Timantias wurde eines Verbrechens wegen angeklagt. Ob wirkliches Vergehen, oder feine großen Reichthümer (eine mächtige Versuchung für den habsüchtigen Proconsul Sisenna Statilius) daran Ursache waren, ist nie bekannt worden. Er wurde in's Gefängniß geworfen. Mein Vater brach allen Umgang mit der geächteten Familie ab. Ich und Larissa sahen uns nur verstohlen, und mit desto größerer Sehnsucht an den Hecken, die unsre Gärten schieden. Endlich nach vierzehn Monden gefänglicher Haft wurde Timantias – aus Schonung, wie es hieß, indem er des Todes schuldig befunden worden – mit seiner Familie verbannt, seine großen Güter eingezogen. Sisenna Statilius brachte sein Haus, das neben dem unsern lag, um einen geringen Preis an sich, und mein Vater unterhielt dieselbe Freundlichen mit ihm, die er mit Timantias gepflogen hatte. Ich war nicht zu bereden, das Haus wieder zu betreten, wo mir die Geister der Vertriebenen Rache fordernd zu schweben schienen. Dieser Eigensinn des achtzehnjährigen Jünglings war eine[27] von den Hauptquellen des ewigen Zwistes zwischen meinem Vater und mir. Acht Jahre sind verstrichen, keine Spur von Timantias Schicksal ist mehr zu erforschen gewesen. Ob Larissa glücklich, ob sie vermählt, ob sie überhaupt noch am Leben sey – so wichtig mir diese Fragen oft erscheinen, – Niemand weiß sie zu beantworten. Alle Nachforschungen, die ich anstellte, waren fruchtlos. Doch lebt ihr Andenken in meiner Brust, als der einzige helle Punkt in meinem Schicksale. Und auch der mußte verschwinden? – Leb' wohl.

Fußnoten

1 In Delphi war der berühmteste Tempel des Apoll, und ein Orakel. Die Dreifüße waren eine Art von Gefäß oder Schaale, welche auf drei Füßen stand, und dazu diente, um Rauchwerk darin anzuzünden. Es war eines der gewöhnlichsten Opfer, das die Frömmigkeit, die Furcht oder die Prachtliebe den Göttern brachte. Dem Aesculap, dem Gott der Aerzte, pflegte man bei der Genesung einen Hahn zu opfern.


2 Valerius Asiaticus, dessen Werk vorzüglich der Tod des Caligula war, rühmte sich seiner That im Senat, und forderte eine Belohnung dafür Caracalla wurde von Macrin getödtet, und die Soldaten, welche unter seiner grausamen Regierung sich alle Ausschweifungen erlauben durften, und seinen Verlust betrauerten, trotzten dem Senat seine Vergötterung ab Ueberhaupt war die Macht des Reiches in jenen Zeiten in der Hand der Armee, oder vielmehr der Prätorianer, der k. Leibwache, welche von dem Zelte des Imperators, Prätorium genannt, das sie zu bewachen bestimmt waren, ihren Namen hatten. Wer ihre ungeheuren Forderungen an Ausgelassenheit und Geld zu stillen versprach, oder ihnen geneigt schien, wurde von ihnen auf den römischen Thron gesetzt, und durch sie ermordet oder herabgestoßen, wenn er jene Versprechungen nicht erfüllen konnte oder wollte. Der Senat, diese einst so ehrwürdige und mächtige Versammlung, war zu einem bloßen Schattenbild und Werkzeug der Tyrannei und Anmaßung herabgesunken. Der Präfekt Prätorianer, ihr Anführer oder Kapitän, war die wichtigste Person im Staate, und sehr oft der Cand dar zur Kaiserwürde, wie denn auch Diocletian von diesem Posten auf den Thron stieg.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 21-28.
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