6. Calpurnia an Sulpicien.

[28] Rom, im Februar 301.


Nach gerade wird mir dein Aufenthalt in Bajä und deine lange Abwesenheit unerträglich. Ich hätte dir so viel zu sagen, so viel zu erzählen, und muß mich mit Schreiben, diesem armseligen Behelf für ein volles Herz, begnügen. Auch Serranus fängt an, über dein Außenbleiben unmuthig zu werden. Zwar weiß er wohl, daß du weit mehr Geschäfte gefunden hast, und der Zustand eurer Villa weit zerrütteter ist, als ihr anfänglich glaubtet: dennoch, meint er, könntest du jetzt fertig seyn, oder was allenfalls noch zu thun übrig ist, auf ein andermal lassen. Es ist doch ein gutes Wesen, dieser Serranus, und dir von Herzen zugethan. Er weiß, daß du den Prinzen oft in Bajä gesehen hast, und – es scheint, er freuet sich darüber, daß du doch in deiner Einsamkeit nicht ohne Umgang warst. Auch schätzt er dich viel zu sehr, um nicht den Gedanken, dein Verhältniß zu Tiridates könnte etwas mehr als Freundschaft seyn, für Hochverrath an dir zu halten. Wir haben gestern, als er zu mir kam[28] um sich mit mir über deine Abwesenheit zu berathen und zu beklagen, recht viel mit einander von dir gesprochen. Er wird dir nächstens schreiben, und dich recht dringend bitten, nach Hause zu kommen; denn seine Sulpiciola, wie er dich nennt, mangelt ihm überall.

Auch mir mangelst du recht sehr. In mir ist eine Art von Veränderung vorgegangen, über die ich gern mit dir sprechen möchte. Es ist nicht mehr Alles, wie es war. Ich ärgere mich darüber, und kann doch nicht wünschen, daß es nicht geschehen seyn möchte. Ich bin jetzt manchmal sehr ernst, ich kann stundenlang über tiefsinnige Dinge recht tiefsinnig sprechen. Ich lache seltener, und finde sogar Vergnügen an manchen Ideen, die ich sonst, als ich noch ganz Calpurnia war, als excentrisch und überspannt verspottete. Das macht blos der Umgang. Man achte ja diese leise und langsame Gewalt, eben weil sie unbemerkt wirkt, nicht für gering; man glaube nur ja nicht, sich vor ihrem stillen Einflusse bewahren zu können. Wie der Bewohner der einen Provinz, in eine andere verpflanzt, nach und nach, ohne es selbst zu wissen, seine Sitte, seine Tracht, sogar seine Sprache nach dem Gebrauche und Dialect dieses Landes modelt, und so unvermerkt mit den Eingebornen sich verschmelzt, so nehmen wir auch leicht und unmerklich die Gedankenreihe, die Ansichten, ja bis auf die Redensarten unserer Freunde an, und sehen erst nach einiger Zeit mit Erstaunen die Aenderung, die mit uns vorgegangen ist.

Agathokles – wie komme ich eben jetzt auf ihn? – ist recht viel bei mir. Wir plaudern recht oft – recht lange – recht anziehend mit einander, und meine Eitelkeit müßte mich ganz schrecklich irre führen, wenn ich nicht[29] glauben sollte, er finde wenigstens eben so viel Vergnügen an meinem Umgang, als ich an dem seinen. Vielleicht eben des grellen Abstandes wegen, der im Anfange zwischen unsern Charakteren zu seyn schien? Schien! sage ich mit Vorbedacht; denn es zeigt sich immer deutlicher, daß wir im Grunde über die meisten und wichtigsten Dinge, ziemlich gleich denken. Zuweilen entsteht wohl ein kleiner Streit, aber das dient nur, den Umtausch der Gedanken zu befördern, und die Unterhaltung zu beleben. Uebrigens schadet es unserer Einigkeit nicht. Agathokles ist, wenn er bei genauerer Bekanntschaft die spröde Außenseite ablegt, ein sehr angenehmer Gesellschafter. Unter andern lieset und declamirt er vortrefflich, und es ist einer meiner köstlichsten Genüsse, mir von ihm die besten Stellen, aus unsern Dichtern, die er fast alle auswendig weiß, vorsagen zu lassen. Zuweilen löse ich ihn auch wohl ab. Du weißt, es war von jeher eine Lieblingsübung von mir. Und dann, liebe Sulpicia, unter uns gesagt, geht meine Eitelkeit nicht leer aus. Ich sehe, oder eigentlich, ich fühle wohl, daß die Leserin ihn weit mehr anzieht, als der Dichter selbst: und je strenger der Mann gewöhnlich ist, je süßer, schmeichelt es, dieses. Eis am Strahle der Freundschaft schmelzen zu sehen. Freundschaft! Merke das Wort wohl, liebe Sulpicia! keine Liebe; denn ich bin seine Vertraute, und weiß, daß sein Herz, wie es einem ächten Schwärmer geziemt, theils der ganzen Menschheit angehört, theils mit seinen, feineren Neigungen einem schönen Schattenbilds zugewandt ist, das noch aus den rosigen Tagen der Kindheit in himmlischem Lichte vor seiner Seele schwebt, und ihn für alle irdischen Reize unempfindlich macht. Du[30] siehst, ich weiß schon Manches, und habe damit nicht auf deine Ankunft warten dürfen. Nein, ich habe ihm einen Theil seiner Geheimnisse mit freundlicher Herzlichkeit abgefragt, ich habe den Kummer bemerkt, der dies edle Herz drückt, und ihn zu erforschen gesucht, und er hat sich der ungeheuchelten Theilnahme wahrer Freundschaft nicht verschlossen. Seine Unzufriedenheit mit dem Zeitalter, seine Besorgnisse für die Zukunft, seine Trauer um die bessere Vergangenheit – ist jetzt nicht mehr Gegenstand unsers Streites, und die Zielscheibe meines Scherzes. Seit ich weiß, wie tiefen Antheil mein Freund an ihnen nimmt, wird über diese Materien ernst und würdig gesprochen, und mit Vergnügen sehe ich denn am Ende eines solchen Gesprächs die Gewitterwolken, die im Anfange seine Stirn umzogen, verschwunden, und seinen Blick mir freundlich und dankbar strahlen. Sogar sein gespanntes Verhältniß zu seinem Vater hat er – freilich nur leise – berührt, und ich achte seine Zurückhaltung in diesem Punkte, und dringe nicht weiter in ihn. Scheint es doch, er hätte willig Alles, worüber er Herr war, der Freundin mitgetheilt, und halte nur mit dem zurück, was er nicht ganz sein nennen kann!

Gekannt möchte ich das Mädchen wohl haben, das seine Kindheit und erste Jugend verschönerte. Schön ist sie nicht gewesen, das sagt er selbst, aber gut und höchst liebenswürdig. Nun das versteht sich von selbst, wenn ein Liebhaber, sie schildert. Bis in sein achtzehntes Jahr ist er mit ihr umgegangen, seitdem hat er sie nicht wieder gesehen. Ob nun gleich die folgenden acht Jahre für seine Entwickelung sicher die bedeutendsten waren, so ist doch ein Jüngling, wie Agathokles, mit achtzehn Jahren reif[31] genug, um einen solchen Eindruck auf Zeitlebens fest zu halten. Das kann ihm bei der Wahl seiner künftigen Gattin immer schaden, oder auch nützen – wie du willst; denn es wird ihn behutsam und ekel machen. Ich finde es nicht übel, wenn ein Jüngling ein idealisches Bild von Würde, Größe, Tugend in seiner Brust trägt, und die Welt um ihn her an diesem großen Maaßstabe mißt. Er und sie gewinnen dabei, denn er wird nichts Gemeines und nichts gemein thun. Mag das Ideal nun die Gestalt irgend eines berühmten Mannes, eines großen Helden, wie Miltiades dem Themistokles1 war, oder eines holden Weibes tragen; das ist in Rücksicht der Wirkung einerlei.

Du siehst, Liebe, wie gelassen, wie wahrhaft philosophisch ich die Sache betrachte. Hörst du wohl? Philosophisch! Du mußt mir das Wort gelten lassen. Es bezeichnet ganz eigentlich das, was ich andeuten will. Philosophie ist Liebe zur Weisheit. Und ist der nicht weise zu nennen, der sich bemüht, mit klarer ruhiger Ueberlegung alle Dinge auf der Welt in den gehörigen Beziehungen und Abständen von sich zu stellen – und zu erhalten? Das allein führt zur Gemuthsruhe, und nur bei Gemüthsruhe kann Weisheit wohnen. Nach dieser Definition, die mir ziemlich richtig scheint, käme es nun darauf an, zu bestimmen, wer eher Anspruch auf den Titel eines Philosophen machen kann – Ihr leidenschaftlichen Seelen, die ihr Alles mit düsterem Ernst betrachtet, die Welt als einen ewigen Kampfplatz der Tugend mit dem[32] Unglück oder Laster anseht, und Alles schwer ertraget, weil ihr eben Alles recht schwer nehmt – oder wir andern frohmüthigen Geschöpfe, die wir uns von keiner Sache tiefer bewegen lassen, als sie es verdient, vor allen Dingen den Erscheinungen in dieser Welt die trügerische Maske abziehn, die ihnen Vorurtheil, Leidenschaft, Phantasie anlegen, und dann, wenn wir den schrecklichen Riesen auf seine wahre Zwerggestalt herabgebracht haben, zusehen, wie wir mit ihm fertig werden wollen. Jetzt will ich dir auch eine Stelle aus deinem ersten Briefe, die mich damals fast ein wenig verdroß, parodirend zurückgeben. »Laß uns den eiteln Stolz auf Systeme aufgeben,« schreibst du. »Wir sind nicht, was wir wollen, sondern was wir können.« Laß uns, sage ich dir, nicht hinter Entschuldigungen des Unvermögens flüchten, wo wir thätig seyn, und handeln sollen! Wie oft – ich gebrauche mich der Waffen deines großen stoischen Lehrers – wie oft ist Nichtwollen die Ursache, Nichtkönnen der Vorwand!2

Sieh, Sulpicia, ich fühle, daß Agathokles mehr Bedeutung für mich bekommen könnte, als nach der Kenntniß, die ich von seinem Herzen und unsern gegenseitigen Verhältnissen habe, mit meiner Ruhe bestehen kann. Ich sage es aufrichtig; denn warum sollte ich mich der Neigung zu einem der edelsten Sterblichen schämen? Aber eben darum werde ich mich und ihn strenge bewachen – und nie soll Leidenschaft und ausschließende Liebe die schöne Stille stören, in der allein mir so wohl ist. Freundschaft, Achtung, zwangloser gebildeter Umgang, das ist Alles,[33] wessen ich bedarf, um glücklich zu. bleiben. Das wollte ich suchen, das habe ich gefunden, und will es mir erhalten. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Themistokles hat bei der Statue des Miltiades, der die Perser überwand, als Jüngling Thränen des Ehrgeizes geweint, und dann später die Perser, wie jener, geschlagen.


2 Seneca in seinen Episteln: Nolle in causa est, non posse praetenditur.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 28-34.
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