7. Sulpicia an Calpurnien.

[34] Bajä, im Februar 301.


Was soll ich sagen, Calpurnia? Soll ich mehr das Glück deines frohen Sinnes bewundern, oder deine ungeheure Anmaßung bedauernd anstaunen? Du fängst an zu lieben, ja du liebst bereits, du bleibst in der Gegenwart des geliebten Gegenstandes, und darfst es wagen, deinen Gefühlen so nahe, oder überhaupt nur einige Grenzen setzen wollen? Entweder du irrest schrecklich, und wirst nur zu früh aus deinem sorglosen Schlummer erwachen, oder – du bist die glücklichste Sterbliche, die jemals gelebt hat, und leben wird. Aber du, die du unsre Tragiker auswendig weißt, kennst du die Stelle nicht: Ich fürchte die Götter, wenn sie allzugünstig sind?1

Daß du und Agathokles einander näher kommen, daß ihr euch, trotz des Contrastes, oder eben um des Contrastes eurer Gemüther wegen, wechselseitig anziehen würdet, das habe ich vorgesehen, als Tiridates mir nebst der Schilderung seines Freundes, die Nachricht brachte, daß er als Gastfreund in eurem Hause lebe. Daß du aber auch mit dieser Empfindung, mit der Neigung zu einem Agathokles, wie bisher mit allen übrigen, nach Gefallen zu spielen, sie zu' lenken und zu drehen hoffen kannst – das hatte ich nicht er wartet. Was denkst du denn von der Liebe? Welche Begriffe machst du dir von ihr? O daß[34] die Stimme einer unglücklichen Freundin die Kraft hätte, dich zu warnen, da es noch Zeit ist! Ja, die Liebe ist die schönste, die seligste Empfindung, deren das menschliche Herz fähig ist; sie ist es, die den armen Sterblichen auf Augenblicke seiner dürftigen Existenz vergessen läßt, und ihn in den Aufenthalt der seligen Götter zu ihren Freuden entzückt. Aber – diese Freuden sind nicht für den Sohn der harten Erde, für das zu Mühe und Sorgen bestimmte Geschlecht des Deucalion2 gemacht! Die Götter strafen den Eingriff in ihre Rechte, und stoßen den Frevler, der in dieser sterblichen Hülle sich an ihren Tisch drängen wollte, in den Tartarus hinab. Sieh hier den wahren Sinn der Fabel des Tantalus, oder Prometheus, der den himmlischen Funken stahl, um die Gebilde seiner Hand damit zu beleben! Nicht das stolze, kalte Vorrecht der Vernunft, die Seligkeit der Liebe, die ganz eigentlich das Glück des denkenden Wesens ausmacht, war es, womit er seine Geschöpfe weit glücklicher zu machen dachte; aber die Himmlischen straften den Raub, und Prometheus büßte durch unendliche Martern, was er in einem schönen Augenblick verbrach.

Ja, unendliche Martern liegen unter den reizenden Blumen der Liebe verborgen! Das fühle ich, das wirst auch du fühlen, und darum möchte ich warnen, rufen, flehen: Ziehe dich zurück, so lange es noch Zeit ist, wenn du nicht die größte, Wahrscheinlichkeit eines glücklichen.[35] Erfolges hast; siehst du aber den, liebt dich Agathokles, wie du ihn, stellt sich eurer Verbindung kein anderes Hinderniß in den Weg – o dann gehe hin, du Liebling der Götter, genieße deines Glückes, unbeneidet von der trauernden Freundin, der kein so schönes Loos fiel, die aber an deiner Freude sich mit freuen wird! Genieße es, aber gedenke der Nemesis3, und laß die heilige Scheue, die Furcht, es zu verlieren, dir seine Dauer versöhnend sichern!

O meine Calpurnia! Wie will ich mich freuen, wenn ich dich glücklich weiß! Du bist edel, gut, schön, liebenswürdig: vielleicht haben die Götter dich zu dem höchsten Glück bestimmt, das ihre Huld dem Menschen geben kann. Sein Abglanz soll meine Nacht erhellen. Tiridates ist seit vorgestern von hier fort, um nach Rom zu gehen, und sich auf eine lange Reise zu bereiten. Cäsar Galerius hat ihn nach Nikomedien beschieden. Es sollen neue Versuche gemacht werden, vom Kaiser und Senat seine Einsetzung auf den Thron seiner Väter zu bewirken4.[36] Es soll ein Heer gerüstet werden, den Persern ist der Krieg angekündigt, in Armenien sind wichtige Dinge vorgefallen, Verschwörungen für und wider das Geschlecht der Arsaciden. Welche Blitze aus den Wolken brechen werden, die sich von allen Seiten an unserm Horizont herauf ziehen, wissen nur die Götter. Wir müssen in geduldiger Ergebung zitternd erwarten, wen und wie der Schlag treffen soll. O welches traurige Loos, wenn die Liebe eines unglücklichen Paares, in das Schicksal der Reiche und Nationen verwebt, von ihm stürmisch fortgerissen wird, und nichts thun kann, als sich blind dem unwiderstehlichen Zuge hingeben! Calpurnia! Wie bist du auch in diesem Stücke glücklich! Eure Liebe wird kein Monarch stören, euer Bündniß wird nicht auf der beweglichen Welle der Volksgunst getragen! Kein ernster Wille einer Nation entscheidet über euer Loos! Ihr dürft euch im stillen Schatten des Privatlebens lieben, und mit einander leben, bis der Tod diese Bande sanft löset, und eines nach dem andern in das dunkle Reich der Nacht führet. O wie gern würde ich der schimmernden Aussicht[37] auf den Thron der Arsaciden entsagen, wie gern – wenn nur einmal die welken Bande, die mich an Serranus binden, durch das Machtwort des Augustus gelöset wären – mich mit Tiridates in irgend einem stillen Winkel der Wett verbergen! Aber darf ich wohl diese Wünsche laut werden lassen? Darf ich den zum Thron gebornen, den der heiße Wunsch der bessern Mehrheit seines Volkes, den die Stimme der Weisen unter den Römern, den endlich sein hohes Gemüth mehr als Alles das zum Herrschen ruft, von seiner erhabenen Bestimmung ablenken, und ihn um meinet willen in niedriges Dunkel begraben? Könnte ich diesen Verrath an der Welt, an seinem Volke verantworten, und endlich, könnte ich hoffen, daß ein Herz, wie Tiridates, in dieser stillen Beschränktheit, dieser ruhmlosen Abgeschiedenheit, glücklich seyn würde?

Und so muß ich schweigen, dulden, tragen, das, was das Aergste für liebende Herzen ist, Trennung, und Ungewißheit der Zukunft. Seit gestern – wie stille, wie unendlich einsam ist es um mich her! Nirgends höre ich mehr die Stimme des Geliebten, nirgends begegnet mir mehr die hohe theure Gestalt in der kalten, beziehungslosen Umgebung. Von Allem, was uns bevorsteht, kenne ich nur die Gefahren, die Hindernisse, die Schrecken mit Gewißheit. O meine Liebe! Das sind Schmerzen, von denen du keinen Begriff hast. Mögen die Götter dich vor ihrer Kenntniß bewahren! Was ist der Tod im Arm des Geliebten gegen diese Qual? Mit jedem Augenblicke sterbe ich einmal, denn jeder Augenblick rückt die lange, gefahrvolle Trennung näher, und so habe ich tausendmal den Tod gefühlt, ehe er kommen wird, sich meiner wirklich zu erbarmen.[38]

Calpurnia! Ich bin sehr gebeugt, und zu den Leiden eines zerrissenen Gemüthes gesellt sich seit einigen Tagen ein körperliches Uebelbefinden, ob blos Zuwachs des erstern, ob Folge desselben und der vielen Verdrüßlichkeiten, die ich hier mit unsern Leuten und besonders mit Novius, unserm Verwalter, einem durchaus bösen Menschen hatte, weiß ich nicht. Genug, jetzt, da ich nach mehr als zwei Monaten wieder in deine Arme zurückkehren, und den Geliebten vor der unendlichen Trennung vielleicht noch einmal in Rom sehen könnte, scheint meine zerrüttete Gesundheit mir auch diesen letzten Trost verweigern zu wollen. Ich habe an Serranus geschrieben, und eine wohlgeschlossene Sänfte bestellt. Vielleicht kömmt er selbst, oder sendet einen seiner Vertrauten, mich abzuholen. Das wäre mir sehr angenehm, denn ich fürchte mich, krank und allein zu reisen. Von den hiesigen Leuten mag ich Niemand mitnehmen, ich habe sie auf einer viel zu schlechten Seite kennen gelernt. Wäre jene Hoffnung nicht, ich würde ohne weiteres die Rückkehr meiner Gesundheit und der bessern Jahreszeit hier erwarten. Aber diese Aussicht ist auch auf ein bloßes Vielleicht nicht aufzugeben, und zwei Tage, mit dem Geliebten vor einer langen – ach wer bürgt dafür? – vielleicht ewigen Trennung zugebracht, sind mit keiner Krankheit, mit keinen Schmerzen, ja selbst mit dem Tode nicht zu theuer erkauft.

Fußnoten

1 Aus Seneca's Tragödie: Die Trojanerinnen.


2 Deucalion und Pyrrha waren die einzigen Menschen, die nach einer Wasserfluth, in der die übrigen Sterblichen zu Grunde gingen, übrig blieben. Auf Befehl der Götter warfen sie mit verhülltem Angesichte Steine hinter sich, aus welchen Menschen entstanden, und die Erde auf's Neue bevölkerten.


3 Nemesis war die Göttin des rechten Maaßes, die Richterin des Uebermuthes. Man sehe hierüber des verklärten Herders unübertrefflich schönen Aufsatz: Nemesis, im zweiten Bande seiner zerstreuten Blätter


4 Armenien war lange Zeit ein unabhängiges Reich, in welchem Könige aus dem Geschlechte der Arfaciden regierten. Endlich wurde es von den Persern überwältigt, ihr letzter König Chosroes getödtet, und sein einziger Sohn Tiridates, als Kind, nur mit Mühe und durch die Treue der Diener seines Vaters an den römischen Hof gerettet. Hier wurde der Prinz in Hoffnungen auf das Reich seiner Ahnen erzogen, und zeichnete sich bei jeder Gelegenheit durch persönliche Tapferkeit und Edelmuth aus Nachdem Armenien sechsundzwanzig Jahre lang das persische Joch getragen hatte, erschien Tiridates, der rechtmäßige Erbe, von den Römern unterstützt, in seinem Vaterlande. Alles eilte zu seinen Fahnen, und er war bereits wieder Herr seines Reichs, als die Zwistigkeiten in Persien, die seine Fortschritte bisher begünstigt hatten, sich zu seinem Schaden in einen Frieden auflösten, und er nun nicht mehr im Stande war, das Erbe seiner Väter gegen die ungerechte Uebermacht der Perser zu vertheidigen. Er floh zum zweitenmale aus seinem Vaterlande aber die Römer, welche wohl einsahen, wie wichtig und nützlich es ihnen seyn würde, Armenien von Persien zu trennen, und ihm einen eigenen, ihnen ergebenen Bundesgenossen zum König zu geben, nahmen sich seiner gerechten Ansprüche auf's Neue an, und der Krieg wurde an Narses, König von Persien, erklärt.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 34-39.
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