68. Theophania an Junia Marcella.

[58] Nikomedien, im Februar 303.


Seit zwei Wochen bin ich hier, eine Viertelstunde von Nikomedien entfernt. Von dem flachen Hausdache sieht mein Auge die nahe Stadt, die Giebel ihrer prächtigen Tempel, die ehrwürdigen Thürme unsrer Kirchen, von denen leider jetzt kein Laut zu uns herüber tönen[58] darf. Linker Hand gegen das Stadtthor zu, das an's Meeres-Ufer führt, liegt das Quartier der kaiserlichen Leibwache. Dort wohnt Agathokles. Ich sehe den Rauch aus den Essen steigen, ich höre an stillen Abenden die kriegerische Musik herüberschallen, ich entdecke zuweilen schimmernde Schaaren, die durch die Thore ein- und ausziehen. Wie manches Mal mag Er an ihrer Spitze gewesen seyn! Das schärfste Auge könnte in dieser Entfernung keine Gestalt unterscheiden, aber der Gedanke daran erschüttert mein Innerstes, und macht jede Nerve beben.

Unter den Frauen, mit denen ich lebe, ist die Wittwe eines Freigelassenen aus dem Pisonischen Hause. Verschiedene Schicksale haben sie von Rom hierher geführt, aber ihre Tochter Drusilla blieb aus Anhänglichkeit freiwillig in Calpurniens Diensten. Das junge Mädchen, auch eine Christin, besucht ihre Mutter zuweilen. O meine Junia! Was erzählt uns das Mädchen öfters von der Güte und Freundlichkeit ihrer Gebieterin, von dem wenigen Credit, in dem das männliche Geschlecht bei ihr steht, und daß sie nur höchstens Einen, einen Offizier der Leibwache, den sie schon in Rom gekannt, und nicht ungern gesehen habe, von der allgemeinen Verdammung ausnehme. Dann beschreibt sie uns manche kleine Unterhaltung, manches trauliche Symposion1, wobei der geschätzte Freund nicht fehlen darf. So bekamen wir die Schilderung eines Festes, das Calpurnia ihrem ruhmbekleideten Geliebten zu Ehren gab. Das Fest muß unausbleiblich einen gewaltsamen Eindruck auf sein Herz[59] gemacht haben, oder er müßte unempfindlich gegen so mächtige Reize, und mehr als demüthig, er müßte blind gegen seinen Werth seyn. Drusilla hatte selbst eine Rolle dabei, und sie mag sie ganz geschickt ausgeführt haben, denn es ist ein artiges wohlgebildetes Geschöpf, dem man die bessere Erziehung ansieht. Das ist Calpurniens Werk, sagt die Mutter, sie hat sich des Mädchens wie eine ältere Schwester angenommen, und Drusilla ist ihr auch dafür mit ganzer Seele ergeben.

Und so ist denn der letzte Strahl von Hoffnung verschwunden! Calpurnia ist nicht allein höchst reizend und liebenswürdig, sie ist auch edel und schätzbar. Agathokles wird sich nicht bei näherer Kenntniß ihres Charakters kalt von ihr wenden, er wird sie immer mehr lieben, je mehr er sie kennen wird, und geistige Vorzüge werden das Band unauflöslich machen, das körperlicher Reiz und schmeichelndes Betragen um sein Herz warf. Und darüber traure ich? Es schmerzt mich, daß Calpurnia gut ist? Ich hätte mich freuen können, daß eine Person, die mich nie mit Willen beleidigt hatte, unedler Gesinnungen fähig gewesen wäre? Mich beeinträchtigt das Gute, was ein dankbares Gemüth von ihr erzählt? O Neid und Eifersucht, ihr Geburten der Eitelkeit und Selbstsucht! So muß auch ich euren giftigen Einfluß fühlen! So ist denn die Tugend, auf die ich stolz seyn zu dürfen glaubte, nichts als Heuchelei, oder Schein gewesen, der vor einer ernsten Probe entflieht! O Junia! Wie gebrechlich ist das menschliche Herz! Welche Hoffnung bliebe ihm auf Verzeihung und Gnade, wenn es nicht mit zitterndem Vertrauen zu dem väterlichen Erbarmen Gottes flüchten könnte![60]

Diese Stimmung darf nicht bleiben, sie ist nicht menschlich gut, viel weniger einer Christin würdig. Wo meine Kraft nicht ausreicht, halte mich ein stärkerer Arm. Heliodor kömmt morgen von einer kleinen Reise zurück. So viel Ueberwindung es mich kosten mag, so wenig Schonung ich von diesem strengen Richter hoffen darf, so enthülle ihm doch ein offenherziges Geständniß den Zustand meiner Seele, und seine ernste Tugend zeige mir den Weg, auf dem ich mich wieder erheben, und Selbstachtung gewinnen kann.


Einige Tage später.


Ich bin viel ruhiger in meinem Innern. Leicht war diese Stille nicht erworben, doch ich hoffe, sie soll dauerhaft seyn. Heliodors Strenge hat mich gebeugt, vernichtet. Aber wie die Pflanze nach dem schweren Gewitterregen sich am Strahl der Abendsonne aufrichtet, so richtet sich auch mein Geist durch versöhnende Reue, und feste Vorsätze gestärkt empor. Ich habe mich selbst überwunden, ich habe mein innerstes Wesen zum Opfer auf den Altar der Pflicht gebracht, und der himmlische Lohn folgt auf den Kampf. Ich kann nun zwar nicht mich über Calpurniens Edelmuth und ihre Verbindung mit Agathokles freuen – ach das ist noch nicht möglich! – aber ich kann bei der Gewißheit, daß ich ihn verloren habe, einige Beruhigung in dem Gedanken finden, daß er mit ihr glücklich seyn wird.

Heliodor hat mir zur Sühnung meines Vergehens eine Pflichtübung auferlegt, die mir wahrlich sehr schwer fällt, die nur die Erkenntniß ihrer Verdienstlichkeit mich[61] anfangs ertragen machen konnte. Ich war bisher von der Krankenpflege befreit, meine Erziehung, meine Erfahrung in weiblichen Arbeiten bestimmte mich zum Unterricht der Schülerinnen, und ich widmete mich gern dieser Beschäftigung. Jetzt muß ich aus Heliodors Befehl – denn seine Ueberzeugung spricht sich nicht, wie bei unserm ehrwürdigen Vater Theophron, als Rath oder Ermahnung aus – ich muß auf seinen Befehl mich der Pflege der Kranken widmen, und da er mir, meiner vorigen Verhältnisse wegen, Kenntniß in äußern Verletzungen zutraute – o welche Scenen rief dies Gespräch hervor! – so muß ich unter seiner und einer betagten Matrone Anleitung die Verwundeten besorgen. O meine Junia! das war eine schreckliche Aufgabe! Das erste Mal trug man mich ohnmächtig weg. Aber Heliodor war unerbittlich. In einer unvergeßlichen Stunde führte er mir die Heiligkeit der Pflicht, das Beispiel unsers Erlösers, die schimmernden Thaten so vieler Christen mit einer Beredtsamkeit zu Gemüthe, daß ich endlich, in Thränen zerfließend, in seine Hand den Schwur niederlegte, meinem Berufe treu zu bleiben, und sollte es mir Gesundheit und Leben kosten.

Seit dem geht es merklich besser. Ich habe ziemlich viel Uebung; denn die Grausamkeit der Heiden läßt es nicht an Unglücklichen fehlen, die der Hülfe unseres Hauses bedürfen. Mein Widerwille verliert sich, meine Geschicklichkeit nimmt zu, und ich sehe wohl ein, daß, das Grauen des ersten Anblicks abgerechnet, bei dieser Art von Kranken viel weniger Gefahr und Beschwerde ist. So will ich denn mein Loos mit Geduld tragen; aber, so bald mein Schicksal entschieden – Agathokles[62] vermählt, und das Daseyn eines vergessenen Geschöpfes ganz gleichgültig ist – eile ich in deine Schwesterarme – und ach! ich denke – ich komme bald – sehr bald!

Fußnoten

1 Symposion, ein kleines Gastmahl.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 58-63.
Lizenz:
Kategorien: