69. Constantin an Eneus Florianus.

[63] Nikomedien, im Februar 303.


In einer sehr unruhigen Stimmung sende ich dir, mein väterlicher Freund, diesen Brief. Noch diese Nacht geht ein verläßlicher Bote damit heimlich auf einem Fischerkahne aus dem Hafen ab, und bringt ihn nach Byzanz zu unserm Vertrauten, der ihn dann auf bekannten Wegen weiter befördert. Die Stadt ist gesperrt, und Alles in dumpfgährender Bewegung. Heute Morgens ist gäh und unerwartet der Schlag gefallen, den Rache und Parteiwuth längst geheim bereitet hatte. Mit Anbruch des Tages zogen starke Abtheilungen von der Leibwache still und geheimnißvoll durch die Straßen der Stadt, nach allen christlichen Kirchen. Die gesperrten Thüren wurden mit Gewalt aufgesprengt, das Heiligste erbrochen, hervorgerissen, Geräthe, Schriften, Bücher, Alles auf einen Haufen geworfen und verbrannt, und endlich die Kirchen selbst mit wilder Wuth zerstört, und der Erde gleich gemacht. Schrecken und Betäubung waren die ersten Wirkungen dieses unerwarteten Vorfalls aus die ohnedies gebeugten Christen. Nach und nach ermannten sich Einige, die in unüberlegtem Eifer für ihr Heiligstes sich der Uebermacht zu widersetzen, oder auf den Trümmern ihrer Kirchen zu sterben beschloßen. Ein solcher Auftritt zog mehrere ähnliche nach sich, in wenig Stunden war die ganze Stadt in aufrührerischer Bewegung,[63] auf allen Straßen, bei allen Tempeln stellte sich im Kleinen das Bild des großen Kampfs des Polytheismus mit dem Christenthume dar, überall sah man Mißhandlungen, Verwundete, Todte. Die Vernünftigern hielten sich in ihren Häusern verschlossen, selbst die Bessern unter den Heiden sah man keinen Theil an den wilden Ausbrüchen ihrer Partei nehmen – nur Pöbel wüthete gegen Pöbel, aber um so empörender und frecher.

Die Ersten von uns erwarteten jeden Augenblick den Befehl, sich vor Gericht zu stellen. Ich war und bin noch auf jeden Fall bereitet. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Galerius nicht blos die Ausrottung einer verhaßten Glaubensform, daß er den Sturz mehrerer Gefürchteten zur Absicht bei diesen Maaßregeln hatte, deren Gewaltsamkeit das deutliche Gepräge seines wilden Gemüthes trägt.

Agathokles theilte meine Vermuthungen und meine Besorgnisse. Gebietende Umstände hatten ihn schon vor mehreren Tagen bestimmt, seinen Glauben öffentlich zu bekennen. Seine Weigerung, sich wider die Christen gebrauchen zu lassen, diente dem düstern Galerius zum willkommenen Vorwande. Im Namen des Augustus ward ihm befohlen, seine Stelle als Tribun niederzulegen. Er gehorchte schnell und willig. Als die Nachricht in dem Quartier der Soldaten erscholl, entstand Unruhe und Lärmen unter den Treuen, die den geliebten Anführer nicht missen wollten. Mit einem Ungestüm, in dem sich noch der Geist der alten Prätorianer zeigte, drangen sie in den kaiserlichen Palast, und forderten ihren Obersten zurück. Die Schwäche bewilligte unzeitig, was Uebereilung und[64] Rache eben so unzeitig verhängt hatte. Auf ihren Schildern, unter lautem Jauchzen, trugen sie ihren Anführer in seine Wohnung zurück. Hier blieb er eine Weile unangefochten, man wagte nicht, ihm einen Auftrag von Wichtigkeit zu geben, man fürchtete kleinherzig, daß er die anvertraute Macht mißbrauchen würde. Aber man umgab ihn, so wie mich, auf allen Seiten mit Lauschern und Spähern. Wir trugen unser gemeinschaftliches Schicksal gelassen, und hielten uns stille, besonders den heutigen Tag, an dem jedem klugen Manne Vorsicht ziemte. Gegen Abend verließ mich Agathokles, um noch vor Einbruch der Nacht in sein ziemlich fernes Quartier zu gelangen.

Ein einziger Sclave begleitete ihn, Mantel und Kappe verbargen seine Kleidung und seinen Stand, und ein kurzes Schwert war seine ganze Sicherheit. Auf dem Weg trifft ein verwirrter Lärmen und klagende Stimmen sein Ohr. Bekannt mit den Auftritten des heutigen Tages eilt er dem Getöse zu, und findet einen Haufen Soldaten und Pöbel schreiend, tobend um den Altar einer heidnischen Gottheit vor einem kleinen Tempel versammelt, die im Begriffe sind, ein armes Weib mit einem Kind zum Genuß des Opferfleisches, das ihnen ein fanatischer Götzendiener aufdringt, zu zwingen. Die Unglückliche weigert sich standhaft. Jetzt entreißt einer der Barbaren ihr das Kind, und droht, es in die Opferflamme zu werfen. Die Verzweiflung der Mutter, das Angstgeschrei des Kindes durchdringen Agathokles Brust, und rißen ihn hin, zu thun, was die Klugheit nimmer billigen konnte. Er drängt sich in den Kreis, er ruft ihnen im Namen des Kaisers Friede zu, er stellt ihnen vordaß[65] das Edict nur Unterlassung der christlichen Gebräuche, aber nicht die Annahme der heidnischen befehle. Wann hört der Pöbel die Stimme der Vernunft? Sie übertäuben seine Rede, und schleppen das Weib bei den Haaren zum Altar. Da übermannt ihn der Zorn, er entreißt dem Soldaten das Kind, gibt es der Mutter, und vertheidigt sie und den Kleinen gegen das Andringen der Wüthenden. Aber die Menge wächst jeden Augenblick. Von der Frau und dem Kinde weg, wendet sich ihre Raserei auf den neuen Gegenstand. Mit Spießen, Schwertern und allerlei Geräthe, womit Zufall und blinder Zorn den Unverstand bewaffnet, dringen sie auf ihn ein. Er übergibt die Unglückliche, deren Rettung ihn vielleicht sein Leben kosten wird, dem Sclaven, der ihn begleitet. Dieser will seinen Herrn nicht verlassen; ein strenger Befehl gebeut Gehorsam, und man läßt ihn mit seinen Geretteten ungehindert fliehen. Aber Agathokles wird das Opfer ihrer Wuth. Schwer und vielfach verwundet sinkt er nieder, und wie sein Mantel sich auseinander schlägt – erkennen die Nächsten mit Schrecken, daß sie einen Offizier der Leibwache getödtet haben. Sie entfliehen, der erschrockene Haufe zerstreut sich. Agathokles bleibt allein im Blute schwimmend liegen. Der Sclave war sogleich in das Quartier seines Herrn geeilt, und verkündete den treuen Soldaten die Gefahr ihres Anführers. Sie stürmen hinaus – aber wie sie auf den Platz kommen, ist Alles einsam, und mit Schrecken und Schmerz finden sie seine Leiche. Sie nähern sich – er athmet noch, mit roher Kunst sucht ihre Liebe das Blut seiner vielen Wunden zu stillen, und einige von den Soldaten, geheime Christen, beschließen, ihn an den besten Ort, den sie für[66] diesen Fall kennen, zu bringen, in das Wittwenhaus der Christen, die sich in der Nähe der Stadt mit Werken der Wohlthätigkeit beschäftigen, und bei denen in diesen Tagen schon mancher Unglückliche Schutz gefunden hat. Die Wachen am Thor lassen sie ziehen, da sie ihr Vorhaben hören, und nun eilt der Sclave zurück, mir die Unglücksbotschaft zu bringen. Mir öffnet mein Name die geschlossenen Stadtthore, ich fliege zu meinem Freund. Bleich, ohne Bewegung, ohne Bewußtseyn finde ich ihn unter den Händen zweier Frauen, von denen die jüngere, in Thränen zerfließend, kaum so viel Besonnenheit übrig hatte, um den Verwundeten zu behandeln. Nie sah ich eine solche Rührung bei einer Unbekannten. Ich trat zu Agathokles, ich faßte seine Hand, ich nannte seinen Namen, endlich schlug er das müde Auge auf, blickte starr um sich her, ohne etwas zu erkennen, und schloß es sogleich wieder. Jetzt schien die Bewegung der Fremden sich noch zu vermehren, sie zitterte so stark, daß ich ihr rieth, sich lieber zu entfernen, wenn ihr der Anblick vielleicht zu schauderhaft wäre. Sie sah mich starr und wild an. »Um keinen Preis der Welt – nicht um meine Seligkeit!« antwortete sie heftig mit bebender Stimme, und fuhr emsiger in ihrem traurigen Geschäft fort. Der Arzt kam, ein bejahrter Priester, er untersuchte die Wunden, mit Angst sah ich seinem Urtheil entgegen. Blässer als der Verwundete, mit einem Zittern, das ihren ganzen Körper fieberhaft erschütterte, harrte die Frau auf seinen Ausspruch. Er erklärte endlich, daß die Wunden zwar bedenklich, aber nicht tödtlich seyen. Hier sank die Unbekannte mit einem Freudengeschrei ohnmächtig nieder, und man mußte sie wegbringen. Ich blieb noch eine[67] Weile, ich erkundigte mich nach der Fremden, deren Betragen mir so seltsam aufgefallen war. Nichts, was ich hörte, vermochte mir eine Aufklärung zu geben, oder eine Vermuthung zu begründen. Agathokles erholte sich nicht so weit, daß er eines vollen Bewußtseyns fähig gewesen wäre, und so entfernte ich mich endlich, um nicht meine eigne Sicherheit in Gefahr zu setzen, und schreibe dir also gleich die Ereignisse dieses merkwürdigen Tages. Was in meiner Seele vorgeht, kannst du denken; du weißt, was mir die Sache meiner Glaubensgenossen, meine künftigen Aussichten – und Agathokles sind.

Die Nacht ist vorgerückt – der Bote wartet. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 63-68.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon