92. Agathokles an Constantin.

[8] Laureacum, im Junius 304.


Große Gemüther hat, wie ich glaube, und wie die Geschichte lehrt, die Vorsicht darum von Zeit zu Zeit erweckt, und mit vorzüglichen Gaben ausgerüstet, daß sie gleich himmelanstrebenden Felsen die Gewitter, welche das Menschengeschlecht treffen, mit höherm Haupt tragen, und so den Uebrigen zum Schutz und zum Beispiel dienen sollen, woran ihre Schwäche sich erhebe und stärke. Noch erhebender wird solch ein Muster, wenn jenes starke Gemüth zugleich ein zum Herrscher berufenes ist, und sich[8] sein göttlicher Beruf, Andre zu leiten und zu zügeln, zuerst an der Macht offenbart, die es über sich selbst und seine edelsten Triebe ausübt. So, o mein Constantin! kenne ich dich seit dem ersten Augenblicke, wo wir uns sahen, so hast du dich stets bewährt, und so wirst du es bei der Nachricht thun, die ich dir zu geben habe. Wir erwarteten seit einiger Zeit die Ankunft deines verehrten Lehrers und Freundes, des Centurio Eneus Florianus, hier in Laureacum. Ein Zufall wollte, daß gerade jetzt auch Valeria mit ihren Pflegeeltern sich hier befand. Von dir unterrichtet theilte ich dem Asinius Ponticus meine Nachricht mit, und überließ es ihm zu thun, was seine Pflicht erheischen würde. Er machte auch wirklich in aller Stille Anstalten zur Abreise, aber unvermuthet traf Florianus um mehrere Tage früher ein, und Aquilinus, der Präfect der Stadt, ein Geschöpf und treues Werkzeug des grausamen Galerius, ließ ihn auf der Stelle als einen Ausspäher, als einen verdächtigen Abgesandten des Constantins verhaften, und ihm abnehmen, was er an Briefen und Schriften für dich und Diocletian nach Salona bei sich hatte. Vergebens wandte ich Alles an, was in meiner Macht stand, um dem Präfecten die Ungerechtigkeit, die Gefahr seines widerrechtlichen Unternehmens einsehen zu machen, und Florianus zu befreien, mit dem mir sogar nicht erlaubt wurde zu sprechen. Sie Ruhe, mit der der Präfect auf seinem Beginnen bestand, die Sicherheit, mit der er verfuhr, ließ mich bald fürchten, daß er nicht ohne höhern Befehl handle, daß das, was mir Anfangs ein Ausbruch unverständiger Härte schien, lange bereitete, geheißene Maaßregel war, wodurch sich Galerius Einsicht in alle[9] unsere Plane, und Rache an dir verschaffen wollte. Sein widriges Vorhaben mißlang doch zum Theil. Florianus war besonnen genug gewesen, die geheimsten Briefe auf seiner Brust zu verwahren. Er verlangte mit mir zu sprechen, man verweigerte es ihm durchaus. Asinius Ponticus, der, so lange Florianus verhaftet war, keine Gefahr für Valerien sah, blieb in Laureacum, und wandte Alles an, um seinen alten Freund zu befreien, oder ihn wenigstens zu sehen; auch seine Bemühungen waren fruchtlos. Valeria schwebte zwischen Furcht und Hoffnung, Freude und Verzweiflung. Da faßte, als er keine Möglichkeit sah, seine Briefe, seine Nachrichten, den ganzen Zweck seiner wichtigen Sendung an dich und den Augustus in treue Hände niederzulegen, Florianus endlich muthig den Entschluß, sie zu vertilgen. Unbemerkt, wie er hoffte, und langsam war er dahin gekommen, an der Flamme der Lampe, die sein Gefängniß erhellte, und zu der er, damals noch ungefesselt, mit einiger Mühe zu gelangen gewußt hatte, die Briefe zu verbrennen. Sein Beginnen ward entdeckt. Die Gewißheit, daß er noch geheimere Briefe besessen, und der Verdruß darüber, daß er sie den Augen seiner Feinde zu entziehen gewußt hatte, entfesselte nun den ganzen Grimm des Aquilinus, und ließ ihn ohne Schonung gegen seinen Gefangenen wüthen. Unter nichtigen Vorwänden, denen man eine Art von rechtlicher Form zu geben suchte, ward er vor das Tribunal gezogen, dessen Beisitzer, würdige Gehülfen des Präfects, das Urtheil schon gefällt hatten, ehe noch der Angeklagte erschienen war. Er ward zum Tode verurtheilt.

Ich eilte zum Aquilinus, ich versuchte Alles, was in meiner Macht stand, um, wo nicht das Leben deines[10] Freundes, doch wenigstens unter allerlei scheinbaren Vorwänden einen Aufschub von ihm zu erhalten, bis der Eilbote, den ich gleich bei Florianus Gefangennehmung an dich abgefertigt hatte, zurück seyn würde. Sey es nun, daß Aquilinus meine Absicht merkte, sey es, daß er gemessene Befehle von seinem Gebieter hatte – mit der größten Urbanität und unter steten Versicherungen seiner Achtung und seines Bedauerns, daß er meinen Wünschen nicht willfahren könnte, schlug er mir meine Bitten ab. Ich ging tief bekümmert weg. Am zweiten Tage ließ er mich rufen. Mit glatten Worten und Schmeicheleien, die mich empörten, da ich sie für nichts anders halten konnte, als für die Hülle niedriger Bosheit und Tücke, sagte er mir, aus Rücksicht gegen mich, und aus wahrer Achtung gegen seinen Gefangenen, dessen edles Betragen ihn innigst bewege, wolle er das letzte, das einzige Mittel versuchen, das ihm zu seiner Rettung bliebe, obwohl er gestehen müsse, daß er nichts Geringes wage, und diese Nachgiebigkeit ihm vielleicht bedeutenden Verdruß zuziehen könnte. Florianus sollte, wie schon Viele vor ihm in diesen Gegenden gethan, seinen Glauben abschwören, der dem Galerius so verhaßt sey, und er hoffe dann, daß der Cäsar dieses Opfer nicht mit Unwillen ansehen, und es ihm, dem Aquilinus, verzeihen werde, daß er ihn dafür frei gelassen, und das Leben geschenkt habe.

Was ich geantwortet habe, was ich antworten konnte, weißt du im Voraus, und auch Florianus thut, was ich und du nicht anders erwarten konnten. Aber der Wunsch, ein Leben, das er nicht mehr erhalten konnte, das er auch ohne diesen schimpflichen Preis längst nicht mehr zu erhalten wünschte, wenigstens nicht nutzlos hinzuopfern,[11] bewog ihn zum Schein, sich jener entehrenden Bedingung zu fügen. Er täuschte mit schlauer Klugheit seine Verfolger, und erbot sich, an dem von ihnen bestimmten Tag öffentlich auf dem Forum der Stadt ihr Verlangen zu erfüllen. Das Gerücht von seiner Willfährigkeit, von dem Schauspiel, das man zu erwarten hatte, lief in Laureacum und der Gegend schnell umher. Es gelangte auch zu uns, und zu der unglücklichen Valeria. Wir glaubten es nicht, wir ahneten Etwas von dem Vorhaben des unglücklichen, edlen Mannes, ohne jedoch Alles errathen zu können. Valeria war am gewissesten, am hoffnungslosesten von seinem sichern Tode überzeugt. Sie hatte durch List und Gold sich ohne unser Wissen schon ein Mal den Weg in seinen Kerker gebahnt, sie hatte verkleidet mit ihm gesprochen, ihr hatte er, so viel sie es fassen konnte, die Aufträge an dich mitgetheilt, und du wirst von mir erhalten, was ich durch dieses treue, bedauernswürdige Wesen, als ein heiliges Vermächtniß ihres über Alles verehrenden Freundes für dich erhielt.

Der Tag des großen ängstlichen Schauspiels brach an. Noch muß ich dir vorher sagen, daß die Grausamkeit des Galerius und seiner Werkzeuge in diesen Gegenden bereits bedenkliche Folgen für das Christenthum hatte. Viele haben lieber ihr Leben, als ihren Glauben geopfert, aber auch Viele – und wer kann dem großen, meist ungebildeten Haufen dies wohl streng verargen? – Viele haben, müde der Neckereien, die ihr ganzes irdisches Glück zerstörten, geschreckt durch die unerhörten Martern, unter denen die Muthigern ihr Leben lassen mußten, das einzige Rettungsmittel ergriffen, das die List ihrer Verfolger ihnen ließ – sie haben den Göttern geopfert,[12] und solch Abschwörungen, wie man sie deinem verehrten Freunde zumuthete, waren nichts Neues in dieser Zeit.

Desto nöthiger, desto wirksamer war jetzt ein Beispiel, und zwar ein großes, in die Augen fallendes, ein Beispiel an einem Manne, den Rang, Verhältnisse und persönliches Verdienst ohne dies auf einen erhabenen Standpunkt gestellt hatten. Das mochte dein edler Freund wohl erkannt, und seinen Plan darauf gegründet haben. Eine unzählige Menge Volkes, und darunter sehr viele Christen, waren versammelt. Florianus erschien, im ganzen feierlichen Schmucke seines Standes, eine edle, ehrfurchtgebietende Gestalt, in der vollen Reise des männlichen Alters. Alle Augen waren auf ihn geheftet, Mitleid, Liebe, Neugier, Bewunderung und Mißbilligung malte sich auf den Gesichtern, je nachdem sein Vorhaben oder die Vorstellung, die man sich von ihm machte, die Gemüther verschieden bewegte. Das Opferfeuer vor einem Götterbilde wurde angezündet, der Priester reichte dem Centurio das Rauchfaß, und mit Anstand stieg er die Stufen hinauf, von denen er die Versammlung leicht übersehen konnte. Jetzt, statt zu opfern, wandte er sich gegen das Volk, und mit hinreißender Beredtsamkeit, und einem Ton der Stimme, der tief in die Herzen drang, mit flammendem Blick, die Gluth des edelsten Zornes auf der dunkeln Wange, Hub er an, seinen Abscheu vor der ihm zugemutheten Handlung, die Niedrigkeit des Götterdienstes, die Würde seiner Religion, und die hohe Belohnung der muthigen Bekenner zu schildern. Der Präfect gebot ihm Stillschweigen, aber das Volk, das den kühnen Redner zu hören wünschte, überstimmte den Befehl. Florianus fuhr fort, er ermahnte seine[13] Brüder zur Standhaftigkeit, er verwies sie auf ein besseres Leben. Da drangen die Prätorianer ungestüm von allen Seiten herbei, ein wilder Tumult erhob sich, der Präfect, von Zorn außer sich, gab schnell Befehl zu seinem Tode, die Wache bemächtigte sich des Gefangenen, der ihrer Wuth überlassen wurde, das Volk suchte ihn zu befreien, aber seine Bemühungen waren vergeblich. Um keine Zeit zu verlieren, um keine Möglichkeit zur Rettung übrig zu lassen, schleppten die wüthenden Soldaten ihn auf die Brücke, und stürzten ihn von dort in die Fluthen des Anasus, der eben von heftigen Regengüssen im Gebirge geschwellt, strudelnd und schäumend daher brauste, und sein Opfer gierig verschlang1.

So endete dein trefflicher Freund ein Leben, das, stets der Tugend geweiht, auch noch in den letzten Augenblicken nur diesen Zweck hatte, und schied mit dem Bewußtseyn aus dieser Welt, ein hohes Beispiel gegeben,[14] und einen Eindruck in den Gemüthern hinterlassen zu haben, der bald segensvolle Früchte der Treue, des Muths tragen würde.

Ich setze nichts weiter hinzu. Alles, was ich sagen könnte, würde den Eindruck, den die einfache Erzählung bei dir sicher hervorbringen muß, nur schwächen oder stören. Ihm ist wohl, und selig derjenige, der einst mit solchem Bewußtseyn, zu solchem Zwecke, wie Florianus, sein Leben hingeben kann! Leb' wohl.

Fußnoten

1 Der heilige Florian ist einer der bekanntesten und am meisten verehrten Volksheiligen in Oesterreich. Die Legende erzählt von ihm, daß er – ein römischer Offizier von bedeutendem Range – nach Laureacum, dem heutigen Enns, gekommen, um dort entweder die Christen zur Standhaftigkeit zu ermahnen, oder selbst zum Muster zu dienen, und für seinen Glauben zu sterben. Der Präfect Aquilinus ermahnte ihn, den Götzen zu opfern, er weigerte sich, und wurde in die Enns gestürzt. Hier soll nun eine christliche Matrone, mit Namen Valeria, seinen Körper aus dem Strom ziehen, und auf einem mit Ochsen bespannten Wagen bis an jenen Platz haben führen lassen, wo jetzt das bekannte schöne Stift Florian steht. Ich habe diese Geschichte so zu benutzen gesucht, wie sie in meinen Plan zu taugen schien, und die wunderbare Erzählung von der Entstehung einer Quelle am Fuße des Berges, um die müden Thiere zu laben, die den Wagen nicht mehr weiter ziehen wollten, auf etwas andere Art eingeflochten.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 8-15.
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