91. Theophania an Junia Marcella.

Laureacum, im Mai 304.


Sechs Monate bin ich nun in einem andern Welttheile, weit, weit von dir, weit von meinem Vaterlande entfernt. Hier ist kein mildes Clima, wie in den schönen Gefilden Kleinasiens, hier weht keine laue Luft durch immergrünende Gebüsche, und bringt den tausendfachen Balsamduft aus bunten Blumenkelchen gehaucht, kein ungetrübter Himmel lächelt über Pinien und Cederhainen. Eine düstere, wilde, aber selbst in ihrer Düsterheit erhabene Natur umgibt mich hier, und sie ist mir nicht so fremd, als meinem Agathokles, denn ich habe manche ihrer Scenen in noch ungestörterer Furchtbarkeit an den Ufern des Borysthenes kennen gelernt. Auch diesen Gegenden fehlt es nicht an eigenthümlichen Reizen, und ein Gemüth, das Sinn für stille Größe, und den ernstern Ausdruck der Naturscenen hat, kann leicht in den Umgebungen, in denen ich jetzt lebe, Etwas finden, das sie ihm lieber und anziehender machte, als jene lachende Gefilde, auf die der Himmel ohne Zuthun oder Anstrengung des menschlichen Fleißes aus immer reichem Füllhorn seine milden Gaben gießt.

Diese Provinzen, die nicht seit sehr lange unter römischer Herrschaft stehen, tragen überall das Gepräge kühner fesselloser Natur, die der Hand des Fleißes nur einem kleinen Theil zur Befriedigung ihrer ersten Bedürfnisse abgekämpft hat. Das ganze Land ist mit Gebirgen bedeckt, nur jenseits des breiten Stroms, der in einiger Entfernung von uns gegen Osten hinabströmt, ist der Boden flächer, und auch Laureacum liegt in einer Ebene, wo der Anasus1, nach einem langen mühevollen Laufe durch Schluchten und Wälder, über Felsentrümmer und Bergstürze sich endlich ruhig in der sonnigen Ebene ausbreitet. Ein wehmüthiges Bild! Dort unten fließt schon der große Strom, in dessen Fluthen er sich bald verliert. Nur kurze Zeit war ihm vergönnt, der Ruhe zu genießen, und die müden Wellen, kaum vom heitern Sonnenstrahl erwärmt, stürzen dort schon in die Gewässer, in denen sie Namen und Daseyn verlieren. Wie manchem Sterblichen sah ich ein gleiches Loos fallen! Wenn sein hartes Schicksal endlich abließ, ihn zu verfolgen, wenn seine stillen, gerechten Wünsche erhört schienen, dann rief ihn der Tod aus dem Kreise seiner Freuden ab, gleich als wäre hienieden nicht Raum für solch' ein Glück, das nur in bessern Wellen zu blühen bestimmt ist.

Agathokles hat mit mir manche kleine Reise in diese düstern Wildnisse gemacht, aus denen der Anasus, und alle die Ströme herkommen, die sich in den Danubius verlieren. An ihren Ufern winden sich die Straßen aufwärts, ihren Quellen entgegen, sie zeigen dem Wanderer den Pfad in die geheimen Thäler, aus denen sie herabkommen, und der Weg, den die lebendige Fluth bei der ersten Gestaltung dieser Erde nahm, die Tiefen, durch[4] welche sie sich Bahn machte, um heraus in die Ebene zu gelangen, sind meist auch der einzige Weg, auf dem man hineingelangen kann. Dicht verwachsene Wildnisse empfangen den Wanderer, in denen vielleicht noch nie eine Art erschollen ist, nie ein Fußtritt gewandelt hat; himmelanstrebende Felsen tragen selbst jetzt im Frühling noch Schnee auf ihren kahlen Häuptern, wilde Bergströme stürzen sich brausend von jähen Höhen; dann öffnet sich ein geheimes Thal, und im Schooß waldiger Berge und schroffer Felsen liegt ein stiller Wasserspiegel weit ausgebreitet, dessen einsames Ufer nur Vögel oder verirrte Gemsen besuchen. Keine Menschenspur ist Zu finden, nur die Laute der Natur tönen hier, wir sind allein mit ihr, die in ungebrochener Kraft um uns waltet, allein mit ihr, und unserm gemeinschaftlichen Schörfer. Seine erhabene Gegenwart wird doppelt fühlbar in dieser einsamen Wildniß, sein Hauch erhält und trägt sie und uns, hier ergreift seine Nähe uns mit Schauer, Ehrfurcht und Liebe. Die tausendjährigen Eichen verschlingen die kühngeformten Aeste zum lustigen hohen Dach, und bilden einen würdigen Tempel; überall ist Hoheit, Einfalt, Stille und Größe.

Unwillkührlich wirkt diese Umgebung auf unser Innerstes. Ich fühle es, daß ich hier ernster geworden bin, als ich in Synthium war. Der Himmel ist hier sehr oft trübe, in seltsamen Gestalten ziehen sich die Nebel, die aus dem Strom und den dichten Wäldern aufsteigen, um die dunkeln Berge herum, die nördlichere Sonne vermag sie nicht immer zu zerstreuen; dann sammeln sie sich, verdecken das freundliche Blau, oder ergießen sich in unaufhörlichen Regengüssen über die winterlich düstere[5] Landschaft. Solche trüben Tage machen unsere Ansichten ebenfalls trübe, ohne daß wir uns dessen bewußt sind, und überdies tragen die täglichen Begebenheiten auch nicht dazu bei, ein ernster gestimmtes Gemüth zu erheitern. Es sind zu traurige, zu gräuelvolle Scenen in diesen Gegenden vorgefallen, man hört von allen Seiten zu viel von dem Mißbrauch des gewaltigen Uebermuths, von der Grausamkeit des Parteigeistes, und den tausendfachen Neckereien, Leiden, Qualen und Todesarten, die hier die verfolgte Unschuld von ihren Drängern erdulden muß, als daß man seines Lebens recht froh werden könnte, selbst wenn ein Paradies um uns her lachte. Es sind doch im Grunde nur die Menschen, die uns die Erde lieb oder leid machen können, und ein glückliches Paar, wie Agathokles und ich, würde auch in noch düsterern Gegenden, als diese sind, selig leben, wenn es möglich, wenn es billig wäre, Aug' und Herz vor den Leiden seiner Brüder zu verschließen.

Ich habe hier unter manchen seltsamen und anziehenden Gegenständen, die mir diese Gegenden schon zeigten, auch die Bekanntschaft eines Mädchens gemacht, die ganz zu diesen Umgebungen paßt, die in sich das treuste Bild der Natur um sich her darstellt. Es ist jene Valeria, die Frucht einer geheimen Liebe Diocletians, welche in Britannien geboren und erzogen worden war. Ich erinnere mich, dir einen Theil ihrer Geschichte geschrieben zu haben, wie ich sie von Constantin erzählen hörte. Ein stiller tiefer Kummer liegt auf diesem schönen Gesicht, dessen blendende Weiße kaum durch einen leichten Anflug des zartesten Roths belebt wird. Große dunkelblaue Augen bewegen sich langsam unter langen seidenen Wimpern,[6] und die Farbe der Augen wiederholt sich lieblich in dem feinen Geäder, das die blendende Haut durchschimmert. Ihre lange schlanke Gestalt ist nicht stolz, kaum aufrecht, das schöne Köpfchen, von goldnem Gelocke umflossen, sinkt beständig auf die Brust, ihre ganze Haltung zeugt von tiefem Kummer. So erschien sie mir, als ich sie das erste Mal sah, das anziehendste Bild der Schwermuth und stillen Ergebung. Seit zwei Jahren hat sie keine Nachricht mehr von ihrem Lehrer und Freund. Er wollte nicht, daß sie ihm noch schreiben sollte, und sein Wunsch ist ihr Gesetz, sie verehrt seinen Willen, seine Entschlüsse mit jener Heiligkeit, mit der vielleicht nur die ersten Jünger die Gebote ihres Meisters ehrten und hielten. Treu und unauslöschlich bewahrt sie sein Bild in ihrer Brust, Religion, Tugend und die Gluth der ersten Liebe verklären es in himmlischem Glanz, und nicht inniger hängt sie an den Lehren unsers göttlichen Stifters, als an den Aussprüchen ihres Freundes.

Ihre Pflegeeltern haben sie auf Befehl ihres Vaters hierher geführt; denn seit man sie aus ihrer heimathlichen Insel, von der sie nie ohne wehmüthige Begeisterung, ohne Thränen spricht, entfernt hat, ist ihr Leben sehr unstät, und ihr Aufenthalt überall nur kurz. Sie ergibt sich in dies schwere Schicksal, nachdem mancher vergebliche Kampf, mancher vereitelte Versuch zur Flucht sie belehrt hat, daß eine höhere Macht über sie waltet, der zu entfliehen sie zu schwach ist. Uebrigens liebt sie ihre Pflegeeltern, die mit schwerem Herzen die Befehle des Augustus an ihrem geliebten Schutzbefohlenen üben, und dies einzige Gefühl, sagte sie mir neulich, schützt sie vor Verzweiflung.[7]

Ich sehe wichtigen und erschütternden Auftritten entgegen. Agathokles weiß, daß Florianus auf dem Wege hierher ist, um nach Salona zu gehen, und dort mit Constantin zu sprechen. Noch ahnet Valeria nichts davon, und ich weiß nicht, ob ich es ihr sagen oder verbergen, und ihre Pflegeeltern bitten soll, sich mit ihr zu entfernen. Ich würde sie sehr schmerzlich vermissen, wenn ich sie verlieren sollte; denn ich bin ihres Umgangs schon sehr gewohnt, und ich fühle wohl, daß auch sie mit Liebe und innigem Vertrauen an Agathokles und mir hängt.

Von meinem häuslichen Glücke sage ich dir nichts; du kennst es, es ist größer, als ich es je dachte, je hoffen konnte. Ein gesunder blühender Knabe knüpft seit etlichen Monaten ein neues inniges Band zwischen uns. Agathokles, meine theure Junia! ist der beste Vater, wie er der zärtlichste Gemahl, der treueste Freund ist, und mir bleibt keine Sorge für diese Welt, als Gott zu bitten, daß er mir mein Glück, und die stille Scheu erhalte, mit der ich es zitternd, aber selig genieße.

Fußnoten

1 Anasus, der alte Name des Ennsflusses.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 4-8.
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