90. Constantin an Agathokles.

[91] Salona1, im Jänner 304.


Als wir uns in Byzanz trennten, du mit deiner liebenswürdigen Frau nach Athen gingst, und ich dem Augustus auf seinen Befehl nach Rom folgte, um Zeuge seines Triumphs zu seyn, da dachte ich nicht, daß jene Ereignisse, von denen wir, als in ferner Zukunft möglich, sprachen, schon so bald ihre dunkeln verhängnißvollen Schatten über unsere Gegenwart werfen, und uns nöthigen würden, Plane und Entschlüsse, deren[91] größeres Verdienst doch wohl Reifheit und besonnene Vorbereitung ist, vielleicht mehr als gut ist, zu beschleunigen. Wie Galerius die Zurücksetzung ertrug, daß nur die beiden Auguste den Triumph feiern, er und mein Vater hingegen von diesem Ruhme ganz ausgeschlossen seyn sollten, hast du schon in Nikomedien gesehen, als nach den Hochzeitsfeierlichkeiten des Königs von Armenien sich alles zum Aufbruche anschickte, und auch er bereit schien, den Augustus nach Rom zu begleiten, und an dem Triumph Antheil zu nehmen, den er durch seine Tapferkeit wohl verdient hatte. Die alte Sitte, welche die Verdienste der Cäsaren ihren Vätern zuschrieb2, obwohl sie dem Diocletian zum günstigen Vorwande diente, befriedigte den Stolz des wilden Cäsars nicht, der sich wohl bewußt war, daß diesmal nicht sein kleineres kriegerisches Verdienst vor dem größern des Augustus zu verschwinden hatte, der es tief fühlte, daß durch seinen Arm allein die Lorbeeren errungen worden waren, mit denen sich der langgehaßte, lebensvolle Augustus nun in Rom schmücken sollte. Daß er nicht wüthete, daß er diese Kränkung so gelassen, mit so schmeichelnder Ergebung ertrug, diese stumpfe ahnungsvolle Stille ließ mich eben mit größerm Rechte ein heranziehendes Gewitter fürchten. Wie sicher mußte Galerius seines Erfolges seyn, da er den rauhen Krieger unter dem geschmeidigen Hofmanne zu verbergen wußte!

Ich theilte dir damals meine Besorgnisse mit, du[92] schienst es nicht so anzusehen, und ich verwies dich auf die Zukunft. So langte ich mit dem Augustus in der Hälfte des Novembers nach einer sehr glücklichen Fahrt in Ostia an. Die Feierlichkeiten des Triumphs, die Spiele, Schauspiele u.s.w. – wirst du mir zu beschreiben erlassen. Mancher Griffel setzte sich deßwegen ohnedies in Bewegung, und du wirst sie entweder schon gelesen haben, oder noch zu lesen bekommen. Bald nach ihrer Beendigung verließ Diocletian schnell und unvermuthet die alte Hauptstadt der Welt, die er nur erst betreten hatte, empört durch die Zudringlichkeit und Ausgelassenheit des Römischen Pöbels3. Wir reiseten am Ende des Decembers mitten in den Saturnalien ab; aber schon in Aquileja wurde Diocletian von einer plötzlichen Schwäche, die mit mehreren seltsamen Symptomen begleitet war, überfallen. Er mußte einige Tage dort stille liegen, und konnte seitdem die Reise in dieser ungünstigen Jahreszeit nur in sehr kleinen Tagemärschen fortsetzen. Gerade nach Nikomedien zu gehen war ganz unmöglich; um also einen milden und zugleich ruhigen Aufenthalt zu finden, wählte er Salona, wo ohnedies schon seit einiger Zeit an einem Palast, an Bädern und Gärten, mit einem Wort, an einem sehr prächtigen Wohnort für ihn gebaut wird, und zwar mit einer Emsigkeit und Vorliebe, die mich in manchen meiner Vermuthungen bestärkt. So sind wir nun hier, und da Diocletian vielleicht aus besondern Ursachen, mir jetzt seine Gunst immer deutlicher und offenbarer beweiset, und überhaupt mich sehr gern[93] um sich zu haben scheint, so wird es mir nicht möglich, ihn zu verlassen, und ich werde nur mit ihm nach Nikomedien zurückkehren.

Hier hörten wir denn auch, daß Galerius in Syrmium4 die Feier der Vieennalien mit so viel Pracht, lauter Freude und schmeichlerischer Huldigung gegen den Augustus verherrlicht habe, daß mir seine bösen Absichten, und der stille Triumph seiner Rache beinahe unzweifelhaft werden. Rechne noch dazu, daß Diocletians jetziger Leibarzt vorher im Dienste des Galerius stand, daß dieser ihm denselben vor einiger Zeit gleichsam aus kindlicher Ergebung und Sorge für des Augustus Gesundheit aufdrang, und daß dieser Arzt noch jetzt, wie ich sicher weiß, einen ansehnlichen Jahrgehalt von seinem vorigen Herrn genießt, und du wirst über manches anders und richtiger urtheilen können, als die Welt.

Du denkst wohl leicht, daß ich keinen dieser Umstände außer Acht lasse. Mein ruhiger Sinn, mein leidenschaftloses Gemüth, das so oft in traulichen Gesprächen deinen und deiner Theophania leichten Spott erfahren mußte, kömmt mir in diesen Umgebungen trefflich zu Statten. Es darf nichts gering geachtet, nichts übereilt nichts unter, nichts über seinen Werth und Einfluß geschätzt werden, und wie mehr uns die Ereignisse zu drängen, und in Gährung zu bringen scheinen, je nöthiger ist es, seine ruhige Fassung und den einzigen[94] Punkt, auf den Alles ankömmt, nie aus den Augen zu verlieren.

Mein Vater war sehr gekränkt durch jene auffallende Hintansetzung. Es mag seyn, daß er mit dulden mußte, was eigentlich nur seinem Gefährten galt. Indessen trug er es wie ein großgesinnter Fürst, wie ein edler Mann. In Eboracum sind die Vicennalien mit anständiger Pracht, wie in allen Hauptstädten des Reichs begangen worden. Keine heuchelnde Geschmeidigkeit, keine überlaute Freude entwürdigte das Verhältniß und das Betragen meines Vaters. Er hat mir geschrieben, sein Brief ist voll zärtlicher Besorgniß um mich, er kennt des Galerius Gesinnungen, er weiß von der Krankheit des Augustus, und fürchtet, wenn eine entscheidende Catastrophe eintreten sollte, Alles für mich in diesen Provinzen, die ganz dem Scepter des düstern Cäsars unterworfen, und eben darum mit seinen Centurien angefüllt sind. Ich bin ziemlich unbesorgt, weil ich die Umstände, meine Gefahr, und die möglichen Rettungsmittel sehr genau kenne; aber ich begreife, daß in einer so großen Entfernung bei den unsichern Gerüchten seine Liebe leicht besorgt werden kann.

Er will mir den treuen Lehrer meiner Kindheit, den edlen Florianus, senden, der mir theils schriftlich, theils mündlich verschiedene Nachrichten und Warnungen bringen soll, die zu meinen Absichten unentbehrlich, und bei der jetzigen Lage der Umstände keinem Briefe anzuvertrauen sind. Ich freue mich sehr, ihn nach so langer Zeit wieder zu sehen, und fürchtete nur, ihn viel veränderter zu finden. Du weißt die Geschichte,[95] die sein sonst so stilles schönes Leben vergiftet hat. Sieh' hier eine neue Veranlassung, mich der Kälte meines Herzens, wie ihr es nennt, zu rühmen und zu freuen. Was könnte Florianus seyn, und was ist er? So viel Macht hat die Leidenschaft! So gefährlich ist's, von ihrem süßen Gifte nur zu kosten, selbst im reifen männlichen Alter!

Solltest du ihn in Laureacum5 sehen, wie ich nicht zweifle, so freue dich im Voraus, eines der edelsten Gemüther, der reinsten Herzen, deinen Freund nennen zu können. Das wird er seyn, das ist er schon, denn er kennt dich durch mich. Grüße deine liebenswürdige edle Theophania herzlich von mir, und leb' wohl.

Fußnoten

1 Ein unberühmtes Dorf in Dalmatien trägt noch heut zu Tage den Namen, welchen einst ein prächtiger Palast und Gärten, Tempel, Bäder, kurz Alles, womit Diocletian seine Einsamkeit verschönerte, trug.


2 Daß die Verdienste der Cäsaren den Augusten, als ihren Vätern, zugeschrieben worden sind, ist geschichtlich.


3 Geschichtlich.


4 Syrmium war die Residenz des Galerius in dem Theile des Reichs, der damals Illyrien hieß. Vicennalien, das Fest wegen der zwanzigjährigen Regierung des Diocletian.


5 Laureacum, das heutige Enns in Oberösterreich.
[96]

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon