Larissa an Agathokles.

(Im vorigen eingeschlossen.)


Wenn ich dem Zuge meines Herzens hätte folgen wollen, das mich durch die natürlichen Triebe der Selbstachtung, der Eitelkeit, wenn du willst, anreizte, mich in den Augen eines schätzbaren Freundes zu rechtfertigen, und meine Vertheidigung so warm und eifrig zu unternehmen, als seine Vorwürfe waren: so hättest du bereits gestern Antwort von mir bekommen. Da es mir aber nicht blos darum zu thun ist, für den gegenwärtigen Angenblick, sondern auch für die Zukunft Alles zwischen uns so klar und bestimmt auszumachen, daß auf keiner Seite ein Zweifel oder eine Furcht vor Rückfällen möglich wäre: so mußte ich zuerst in die Tiefe meiner, nicht erfreulichen Vergangenheit hinabsteigen, und Begebenheiten hervorrufen, deren Andenken meiner Seele zu unangenehm ist, als daß ich sie ohne inneren Kampf betrachten, und dir, mein Freund, ordentlich erzählen könnte. Es ist nothwendig, daß du meine Geschichte kennst, um mein Betragen zu beurtheilen, und das deinige darnach einzurichten.

Als vor acht Jahren mein Vater, an dessen etwas starken Hang zu Pracht und Wohlleben du dich noch erinnern wirst, durch einen ungerechten Richterspruch seine[3] bürgerliche Ehre, sein Vermögen, sein Vaterland verlor, und sich arm, hülflos, verachtet, mit drei unerzogenen Kindern in die weite Welt hinausgestoßen sah; da goß dieses Unglück eine solche Bitterkeit in sein Herz, und veränderte seine Sinnesart so gänzlich, daß er fast in allen Dingen das Widerspiel von dem zu seyn schien, was er ehemals war. Finster, unfreundlich, oft sogar hart, flüchtete er mit uns in die Gebirge von Armenien, wo ihm ein alter Verwandter lebte, der ihm eine Zuflucht im Unglücke versprochen hatte. Man nahm uns auf, wie unempfindliche Reiche die Armuth aufzunehmen pflegen, die bei ihnen Hülfe sucht – nicht in das Haus meines Groß-Oheims, nicht an seinen Tisch, viel weniger in sein Herz. Gnadenbrod zu essen, dazu war mein Vater zu stolz, er wurde also auf ein Landgut des Vetters, als Aufseher, Verwalter, mit vieler Arbeit und kargem Lohne gesetzt. Hier in einer rauhen Gebirgsgegend, in einer schlechten Hütte, mit kaum mehr als Sclavenkost genährt, in Sclaventracht gehüllt, mußte der Mann leben, der einst unter dem schönsten Himmelsstrich von Kleinassen, in einer glänzenden Stadt, ein Leben, durch alle Reize der Kunst und Pracht verschönert, geführt hatte. Der Abstand war zu grausam. Die letzte Spur von Gleichmuth entfloh aus der Brust meines unglücklichen Vaters. Mißverständniß, Unverträglichkeit, Ungeduld, Mutlosigkeit zogen in unsere Hütte ein, und es begann ein Leben für uns, das nicht viel von dem Zustande derjenigen verschieden war, die, wie unsere Vorältern glaubten, die Strafen ihrer Sünden im Tartarus abbüßen. Laß mich schnell über den trübsten Zeitpunkt meines Lebens hingleiten! Mein Aufenthalt in den Gebirgen von Armenien[4] ist ein grauenvoller nächtlicher Abgrund, in den zu blicken mir noch jetzt schauderhaft ist.

Endlich nach drei Jahren schien der Himmel, von welchem wir uns gänzlich vergessen glaubten, sich unser zu erbarmen. Obwohl in der Einsamkeit seiner Berge, hatte meines Vaters Geist doch Mittel gefunden, allerlei Bande zwischen sich und der Welt, die ihn ausgestoßen hatte, wieder anzuknüpfen. Er führte lange Zeit einen geheimen Briefwechsel mit einem Freunde, der in Syrien lebte. Eines Tages trat er mit einer Miene, die wir lange nicht so freundlich gesehen hatten, in unsre Hütte. Packt eure Sachen zusammen, rief er, morgen reisen wir aus diesem Orte des Elends ab. Wohin? wie? warum? das waren Fragen, die, so sehr sie uns auch drängten, Keines sich zu wachen traute. Es wurde gepackt – die Armuth ist bald fertig – und den andern Tag machten wir uns, mein Vater und die Brüder abwechselnd auf dem einzigen Maulthier, das wir besaßen, meine Mutter und ich in einem schlechten Fuhrwerke auf den Weg. Die Beschwerlichkeiten der Reise, die Leiden meiner Mutter laß mich ebenfalls übergehen. Genug, wir langten in Apamäa1 an. Hier miethete mein Vater ein kleines, aber nicht unbequemes Haus, und aus Quellen, die mir damals unbekannt waren, die ich aber späterhin nicht ohne Grund der Thätigkeit seiner Freunde in Nikomedien, die die Ueberbleibsel seines Vermögens gerettet hatten, zuschrieb, floßen uns nach und nach immer mehr Bequemlichkeiten, und endlich einiger Wohlstand zu. Mein Vater führte einen fremden Namen, galt für einen Kaufmann aus Armenien, und Tracht und Sprache, die er sich während jener drei Jahre ganz eigen gemacht hatte, ließen keinen[5] Verdacht entstehen. Er trieb Handelsgeschäfte, wie es schien; denn wissen durften wir nichts von seinen Verhältnissen. Uebrigens wäre unsere häusliche Lage, besonders für mich, deren Wünsche nie groß waren, recht erträglich gewesen; hätten nur mit der Erweiterung unsers Haushalts sich auch unsere Gemüther gegen einander aufgeschlossen, Liebe und Eintracht zugleich mit dem Wohlstand unter uns gewohnt.

An dich hatte ich im ersten Jahre unserer Verbannung oft, sehr oft geschrieben, mit banger Ungeduld auf Antwort geharrt – und immer vergebens. Endlich hörte ich auf zu schreiben, und in der Tiefe meines Kummers blieb mir nur die leise Hoffnung übrig, daß Briefe aus einem so abgelegenen Winkel der Erde wohl leicht den Weg verfehlen, und den nicht erreichen konnten, für welchen sie bestimmt waren. Sobald wir in Apamäa angekommen waren, erneuerte ich meine Versuche, Nachricht von dir zu erhalten. Ich schrieb wieder, theils gerade an dich, theils unter verschiedenen Aufschriften an alle alten Bekannten in Nikomedien, auf deren Wohlwollen und Verschwiegenheit ich zählen konnte. Es war fruchtlos. Ein ganzes Jahr verging unter steter Abwechslung von Hoffnung und Niedergeschlagenheit. Ich bekam keine Antwort. Dein Tod oder eine gänzliche Vergessenheit, das waren die zwei einzigen Möglichkeiten, zwischen denen meinem bangen Geiste die Wahl blieb, und in beiden lag keine Aufmunterung für ein tiefgebeugtes Herz. Mit stiller Ergebung, deren ich schon gewohnt war, gab ich auch diese letzte Aussicht auf, und lebte, in mich gekehrt und geduldig, mein freudenloses Daseyn hin.

Es kamen immer mehr Fremde in unser Haus, die[6] theils meines Vaters Geschäfte, theils sein wieder erwachender Hang zum geselligen Leben an uns zog. Für mich waren die Meisten gar nichts – unbedeutende Gestalten, die höchstens durch Handelsverhältnisse irgend einen Werth bekamen. Nur zwei Männer unterschied ich allmählig unter der ziemlich großen Anzahl Bekannten. Der Eine war ein ehrwürdiger Greis, der Andere ein Mann von mittleren Jahren, aber in allem Feuer, aller Kraft der Jugend. Ein angenehmer Umgang, ein vielseitig gebildeter Verstand und Menschenkenntniß mußten sie Jedem, der mit ihnen umging, werth machen; für mich hatten sie noch etwas Anziehenderes. Es lag eine sanfte Heiterkeit, eine schöne Gelassenheit m ihrem Wesen, die bei dem Greise Theophron die Bitterkeit des Alters milderte, und bei Apelles, dem jüngern, die feurig aufstrebende Kraft in strengen Schranken hielt. Beide waren mir unendlich schätzbar, und wenn Apelles Erzählungen von Allem, was er auf weiten Reisen gesehen und erlebt hatte, die Lebhaftigkeit seines Geistes mich belehrte und unterhielt, so flößte Theophrons ruhige Weisheit, sein himmelwärts gewendeter Sinn mir süße Ruhe und Trost ein. Bald hatte ich auch Gelegenheit zu bemerken, daß ihre Tugend nicht blos in schönen Gesinnungen bestand, sondern sich wirksam durch Menschenliebe, Wohlthätigkeit und rastlosen Eifer für die Unglücklichen, die bei ihnen Hülfe oder Trost suchten, zeigte. Ich war bemüht, mir den Umgang dieser beiden Männer so viel als möglich zu Nutze zu machen; und nach vier freudenlosen Jahren, wo, ich kann es mit Wahrheit bezeugen, der Tag mir glücklich schien, an dem keine neue Ursache meine Thränen fließen gemacht hatte, empfand ich zum erstenmal die[7] Regungen eines erheiternden Gefühls, und wagte es, den würdigen Greis zum Vertrauten, nicht meiner Schicksale, denn die mußten aus Familienabsichten verschwiegen bleiben, sondern meiner muthlosen gedrückten Seele zu machen. Agathokles! O daß ich jedem leidenden Herzen die himmlische Wohlthat der Tröstungen verschaffen könnte, die von den Lippen dieses Mannes in meine wunde Brust strömten! Solche Beruhigungen, solche Aussichten, solche Stärkungen kann nur der ertheilen, der in den erhabenen Geheimnissen unterrichtet ist, woraus Theophron die seinigen schöpfte. Er leitete meinen Geist vom Irdischen weg, und eröffnete mir eine Aussicht in die Zukunft jenseits des Grabes, von einer Art, wie man sie weder in den Begriffen der herrschenden Volksreligion, noch in den Systemen der Philosophen findet. Er ließ die unglücklich Verbannte, die auf dieser Erde nichts mehr zu hoffen hatte, in eine schönere Welt des Lichts und unvergänglicher Freuden schauen, die dem milden Dulder offen stand. Dort sollte ich die hier verlorenen Lieben wieder finden, dort von keinem feindlichen Geschicke mehr getrennt, sollte im Angesichte des Allmächtigen in verklärten Leibern, in Betrachtung seiner unendlichen Eigenschaften, seiner bewundernswürdigen Werke ein Leben beginnen, dessen Gränze nur die Ewigkeit war. O Freund meiner Jugend! Welche Bilder, welche Hoffnungen! Wie wäre es möglich, daß ein zerrißenes Herz, das seine Freude nur jenseits des Grabes finden konnte, sich solchen Lehren hatte verschließen können? Ich nahm sie freudig, gläubig an. Bald ging ich weiter. Jetzt von Theophrons sanfter Weisheit geleitet, und von Apelles feuriger Beredtsamkeit hingerissen, machte ich große Fortschritte in[8] Erkenntniß der neuen Wahrheit, der tröstlichen Lehren und erhabenen Geheimnisse, worin sie mich unterrichteten. Ich lernte, wie sie, die Menschen als meine Brüder, als Kinder eines gemeinschaftlichen Vaters ansehen, ich lernte sogar meine Feinde lieben, und für die beten, die mich unglücklich gemacht hatten. Mein Herz erweiterte sich, meine Ansichten der Menschheit und ihrer Schicksale erhoben sich, die Truggestalten niedriggesinnter Gottheiten, denen ich längst nicht mehr aus Ueberzeugung, nur aus Gehorsam geopfert hatte, verschwanden vor meinem aufgehellten Blicke. Ein einziger, allweiser, allmächtiger, allgütiger Geist erschuf, erhielt, und beherrschte die Welt. Tartarus und Elysium waren nicht mehr – aber dieser große Geist lohnte und strafte als vergeltender Richter nach dem Tode. Diese und noch viele andere Lehren, die dir mitzutheilen nicht erlaubt ist, enthüllten mir Theophron und Apelles, und ich ward eine Christin! Du wirst ohnedies schon längst errathen haben, daß die beiden Männer zu jener Secte gehörten, welche seit ein Paar hundert Jahren von Palästina und Syrien aus, wo ihr göttlicher Stifter, unbekannt und verfolgt, gelebt und gelehrt hatte, und endlich als Opfer seiner Feinde fiel, sich über die Welt zu verbreiten angefangen hat. Ja, Agathokles! Ich ward eine Christin! Die Lehren, die, ehe ich sie kannte, mich mit Schauer erfüllten, machten jetzt mein Entzücken aus! Ich ergriff sie mit heißer Begierde. O mein Freund! Das Christenthum ist die Religion der Unglücklichen! In ihren Schooß soll jeder Leidende sich flüchten; sie hat Balsam für alle Wunden, die keine Menschenhand zu heilen vermag; und wenn sie uns gleich schwere Pflichten auferlegt, so gibt sie uns doch selbst[9] durch die Größe ihrer Forderungen ein erhebendes Gefühl unserer Würde, ein Vertrauen auf unsere Kraft, und bietet uns durch den Gebrauch mancher ihrer geheimnisvollen Ceremonien so sanfte Tröstungen, so überirdische Stärkungen an, daß der wahre Christ gewiß auch immer im Stande seyn wird, die Lasten zu tragen, die seine Religion ihm auferlegt.

Doch genug von den Beweggründen, die mich zur Annahme meiner Religion bestimmten, und den Veränderungen, die sie in meiner Denkart machte. Ich wollte ja nicht dich zum Proselyten machen, ich wollte blos dir Alles treu und deutlich vortragen, woraus du dir meine Handlungsweise erklären sollst. Meine Mutter ward meine Vertraute. Die Ursachen, die mich in den Schooß der Christenheit riefen, äußerten bald dieselbe Gewalt über sie; auch sie suchte Trost und Stärkung, und fand sie, wie ich. Wir empfingen Beide von Theophron, der einer von den Aeltesten der Gemeinde war, die heilige Traufe, und wurden in den Bund der Kinder Gottes aufgenommen. Dem Vater, der zwar nicht eigentlich am Götterdienst hing – denn dazu war er zu aufgeklärt – der aber, nach dem Beispiel des Hofs und der Welt, die christliche Religion als eine Religion der Armen und Unglücklichen verachtete, mußte der Schritt verborgen bleiben. Er konnte es um so leichter, da mein Vater meist nicht zu Hause war, und sich im Ganzen, wenn nur seine Befehle vollzogen wurden, wenig um uns bekümmerte. Wir besuchten heimlich die Versammlungen unserer Kirche, und wohnten den Agapen bei, einer schönen Sitte, die deinem Herzen gewiß theuer werden wird, wenn ich dir sage, daß die ganze Gemeinde ohne Unterschied der[10] Stände hier mit einander öffentlich speiset, die Reichen die Speisen bringen, die Armen Theil daran nehmen lassen, und bei solchen Gelegenheiten überhaupt Collecten gemacht, und Einrichtungen und Veranstaltungen zum Besten der Armen und Leidenden aus derselben oder einer andern Gemeinde, getroffen werden.

Bei diesen Versammlungen lernte ich zuerst eine andere Christin, Junia Marcella, eine angesehene Frau in Apamäa, kennen. Mit achtundzwanzig Jahren Wittwe eines angebeteten Gemahls und Mutter von sechs unerzogenen Kindern, widmete sie im Bewußtseyn ihrer Kraft sich und ihr großes Vermögen der Erziehung ihrer Waisen und den Bedürfnissen und Sorgen ihrer Gemeinde. An diesem reichen Herzen, das Raum genug für die Leiden und Freuden aller seiner Mitmenschen hatte, an diesem milden und richtigen Verstande erhob sich mein gebeugtes Wesen, und ich fand endlich, was mir so lange gefehlt hatte, eine weibliche Seele, die mich ganz verstand, der ich auch jene Gefühle enthüllen konnte, die Verschiedenheit der Jahre und des Geschlechts mich vor Theophron, vor Apelles, selbst vor meiner Mutter verbergen hieß. O wie wohl ward mir in Juniens Umgange! Wie erweiterte sich meine gepreßte Brust! Wie erschien die erhabene Religion, zu der auch sie sich bekannte, in ihrem Wesen und Handeln auf eine ganz eigene und verehrungswürdige Weise! In ihrem Hause sah ich Demetrius zuerst, der ebenfalls ein Christ war, und zu jener Zeit mit seinen Truppen in Syrien stand. Junia, obwohl nicht mehr in der Blüthe der Jugend, besaß Reize genug, um den bejahrten Helden zu fesseln. Er warb um ihre Hand. Fest entschlossen nur ihrer Pflicht zu leben,[11] schlug sie diesen Antrag aus. Jetzt richtete Demetrius sein Auge auf mich, mein Aeußerliches schien ihm die Eigenschaften zu versprechen, die er von seiner Gattin verlangte. Er fing an unser Haus zu besuchen. Mein Vater ward um diese Zeit kränklich. Langes Unglück und heftige Leidenschaften hatten seine Kräfte aufgerieben, er erholte sich nicht, und welkte vor der Zeit dahin. Die Sorgfalt, mit der mein Vater gepflegt wurde, ließ den Demetrius vielleicht für sein herannahendes Alter gleiche Treue erwarten; er entschloß sich, und ließ durch Apelles um mich werben. Meinem unglücklichen Vater, der seinen Zustand und die Verlassenheit seiner Familie nach seinem Tode kannte, erschien dies Anerbieten als das höchste Glück, das er hiernieden noch zu erwarten hatte. Er willigte sogleich ein, und nur, nachdem Alles zwischen ihm und Demetrius richtig geworden war, ließ er mich rufen, und verkündigte mir mein Schicksal. Ich erschrak, ich beschwor meinen Vater, sein Wort zurückzunehmen. Nie gewohnt, unsern Bitten zu weichen, war es auch diesmal vergebens, und nur die Heiligkeit und Unauflöslichkeit des Ehebandes unter den Christen konnte mich bestimmen, diesen letzten Versuch zu machen, von dem ich mir im Voraus wenig versprach. Ich wurde krank. Junia und Theophron besuchten mich treulich, ihnen vertraute ich meine Leiden. Junia, eingedenk der Seligkeit ihrer Ehe, und fest überzeugt, daß sie mir in einer so ungleichen Verbindung nicht werden könnte, bot sich an, mit meinem Vater zu sprechen; auch Theophron und Apelles verhießen mir ihren Beistand. Sie thaten, was sie konnten – nie wird es ihnen mein Herz vergessen. Es war fruchtlos. Nun, da jedes Mittel, meinen Vater[12] umzustimmen, versucht, und vergeblich befunden war, unternahm es Junia, mein Herz auf den wichtigen Schritt, den ich zu thun hatte, mit Kraft und Entschlossenheit vorzubereiten; und der würdige Theophron goß so viel Beruhigung in meine zagende Seele, daß ich nach einigen Tagen gefaßt genug war, den Willen meines sterbenden Vaters zu vollziehen, und mich für die Meinigen zu opfern. So wurde ich Demetrius Frau, und habe noch bis jetzt keine Ursache gehabt, einen Schritt zu bereuen, den mir die vergeltende Vorsicht durch das emporsteigende Glück meiner beiden Brüder, und die Beruhigung meiner Eltern, die mit frohen Aussichten für ihre Kinder ruhig starben, belohnt hat. Nach meines Vaters Ableben, als man seine Schriften durchsuchte, fanden sich alle meine Briefe an dich, die er durch den Freigelassenen, der mein Vertrauter war, aber den Zorn meines Vaters fürchtete, in die Hände bekommen, und nie abgesandt hatte. So wie nun dieser Mann mir mit Thränen gestand, war ein tiefer Haß Schuld an diesem Verfahren, den der Entschlafene gegen deinen Vater trug, indem er ihm, wo nicht einen Theil an seinem Unglück selbst, doch eine unverzeihliche Läßigkeit im Abwenden desselben, beimaß. Nun wußte ich auch, warum ich durch fünf Jahre nichts mehr von dir gehört hatte!

Zwar beruhigte mich der Gedanke, daß du keinen von den Vorwürfen verdientest, die ich dir oft in bittern Stunden gemacht hatte: aber desto deutlicher sah ich ein, daß eine so lange Trennung und gänzliche Unwissenheit über mein Schicksal auch das kleinste Band gelöset haben mußte, das dich vielleicht noch an mich band. Ueberdies war ich die Gattin eines Andern, und eine Christin. Bei[13] uns sind die Ehen keine bürgerlichen Verträge, es sind heilige Bündnisse, durch hohe Eide vor dem Altar des Ewigen versiegelt, durch Priestershand geschlossene Verbindungen für's ganze Leben, ein heiliges Versprechen, sich nie zu verlassen, Glück und Unglück mit einander zu theilen, und keine Scheidung findet Statt, als nur durch den Tod. Hier ist nicht blos förmliche Untreue, hier ist auch jede zärtliche Empfindung für einen andern Gegenstand Verbrechen, und in der Brust einer christlichen Gattin darf kein anderes Bild leben, als das des Gatten, den ihr der Himmel gegeben hat. Das Alles mußte ich dir sagen, Agathokles! damit du mein Betragen seit dem ersten Augenblicke unsers Wiedersehens verstehen, und richtig beurtheilen könnest. Dein Brief hat mich gerührt und erschüttert. Glaube nicht, Freund meiner Jugend! daß es mir gleichgültig ist, ob der edelste Sterbliche, den ich je kannte, mich noch seiner Liebe werth hält oder nicht: aber eben so sehr muß es mir am Herzen liegen, mich sowohl in seinen Augen zu rechtfertigen, als jeden Versuch zu machen, den Schmerz, der ein so edles Gemüth ergriffen, zu mindern, und die Kräfte, die in ihm liegen, hervorzurufen, damit es ein unabänderliches Schicksal gelassen ertrage. Denke, mein Freund! an die Lehren der weisen Heiden, die wir einst mit einander bewunderten; erinnere dich der Vorsätze, die du damals oft mit glühender Seele faßtest, alle äußerlichen Zufälligkeiten, aber zuerst dich selbst zu besiegen. O, daß ich dir noch dringendere Aufforderungen, die meine Religion mir bietet, sagen dürfte!

Wenn es einen Theil deiner Beruhigung ausmachen kann, über meine Lage unbesorgt zu seyn, so wisse, daß du[14] dir von meinem Loose, als Frau des Demetrius, falsche Begriffe machest. Ich bin nicht unglücklich verheirathet, mein Gemahl achtet und ehrt mich; das wird dir die Art bezeugen, wie man mir im Hause begegnet. Liebe kann ich nicht fordern; glaube aber meiner Erfahrung, sie ist zu unserem Glücke nicht nothwendig, und ich bin mit meinem Schicksale zufrieden. Nur Ein Wunsch bleibt mir jetzt übrig, der – auch dich ruhig zu wissen. Glaubst du dies durch deine Entfernung bewirken zu können, so thue die nöthigen Schritte. Geh, mein Freund! – Verlaß einen Ort, der zu vielen Anlaß zur Unruhe, zu quälenden Erinnerungen für dich enthält! Laß mich dann, wenn es dir gelungen ist, deine Ruhe herzustellen, aus der Ferne diese tröstliche Nachricht vernehmen, und sey versichert, daß sie nicht wenig zu meiner Zufriedenheit beitragen wird. Leb' wohl! Antworte mir nicht auf diesen Brief. Es ist weder nöthig, noch gut, daß wir oft von unsern Gefühlen mit einander reden. Gott, der unser Schicksal auf so unbegreifliche Weise geführet, und unser Wiedersehen gewiß aus weisen Absichten veranstaltet hat, wenn wir es gleich jetzt nicht einsehen, wird dich auf deinen Wegen leiten und schützen. Auch mein heißes Gebet wird dir überall folgen, und wenn einst der höchste, der einzige Wunsch, dessen mein Herz noch fähig ist, erfüllt werden sollte, wenn die Lehren der Kirche, in denen ich Beruhigung gefunden habe, auch in deiner Seele Eingang finden könnten: o Agathokles! wie wollte ich den schmerzlichen Augenblick unsers Wiedersehens preisen, und die Leiden segnen, die er mich kostete! Leb' wohl!


Das ist Larissens Brief. Es war mir eine süße, eine[15] traurige Beschäftigung, ihn für dich abzuschreiben; es war mir ein Trost, aus so manchen Stellen zu ahnen, zu errathen, daß sie mich nicht vergessen hat; daß sie mich vielleicht eben so heiß liebt, als ich sie! – aber antworten darf und kann ich nicht. Was sollte ich ihr auch sagen? Ich kann nichts, als meinen unendlichen Verlust fühlen, der in jeder Zeile, in der sich dieser reine Sinn, diese himmlische Güte abmalt, mir schrecklicher erscheint. Aber welche Religion muß das seyn, die dem Menschen solche Begriffe von Pflicht, und einer zarten weiblichen Seele so viel Kraft, ihr treu zu bleiben, ertheilt? Ich verabscheue sie in diesem Augenblicke; denn sie raubt mir jede Hoffnung – und ich muß sie im nächsten bewundern. Leb' wohl, Phocion! Wenn ich mich gesammelt habe, wenn ich wieder klar zu denken vermag und erst eine weite Strecke zwischen mir und der Ewigverlornen sich ausdehnt, schreibe ich dir wieder.

Fußnoten

1 Apamäa, eine Stadt in Syrien.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 32, Stuttgart 1828, S. 3-16.
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