Klaglied Kaiser Otto des Dritten

[22] 1833.


O Erde, nimm den Müden,

Den Lebensmüden auf,

Der hier im fernen Süden

Beschließt den Pilgerlauf!

Schon steh ich an der Grenze,

Die Leib und Seele teilt,

Und meine zwanzig Lenze

Sind rasch dahin geeilt.


Voll unerfüllter Träume,

Verwaist, in Gram versenkt,[22]

Entfallen mir die Zäume,

Die dieses Reich gelenkt.

Ein Andrer mag es zügeln

Mit Händen minder schlaff,

Von diesen sieben Hügeln

Bis an des Nordens Haff!


Doch selbst im Seelenreiche

Harrt meiner noch die Schmach,

Es folgt der blassen Leiche

Begangner Frevel nach:

Vergebens mit Gebeten

Beschwör ich diesen Bann,

Und mir entgegen treten

Crescentius und Johann!


Doch nein! Die Stolzen beugte

Mein reuemütig Flehn;

Ihn, welcher mich erzeugte,

Ihn werd ich wiedersehn!

Nach welchem ich als Knabe

So oft vergebens frug:

An seinem frühen Grabe

Hab ich geweint genug.


Des deutschen Volks Berater

Umwandeln Gottes Thron:

Mir winkt der Ältervater

Mit seinem großen Sohn.

Und während, voll von Milde,

Die frommen Hände legt

Mir auf das Haupt Mathilde,

Steht Heinrich tiefbewegt.


Nun fühlt ich erst, wie eitel

Des Glücks Geschenke sind,

Wiewohl ich auf dem Scheitel

Schon Kronen trug als Kind!

Was je mir schien gewichtig,

Zerstiebt wie ein Atom:

O Welt, du bist so nichtig,

Du bist so klein, o Rom!
[23]

O Rom, wo meine Blüten

Verwelkt wie dürres Laub,

Dir ziemt es nicht, zu hüten

Den kaiserlichen Staub!

Die mir die Treue brachen,

Zerbrächen mein Gebein:

Beim großen Karl in Aachen

Will ich bestattet sein.


Die echten Palmen wehen

Nur dort um sein Panier:

Ihn hab ich liegen sehen

In seiner Kaiserzier.

Was durfte mich verführen,

Zu öffnen seinen Sarg?

Den Lorbeer anzurühren,

Der seine Schläfe barg?


O Freunde, laßt das Klagen,

Mir aber gebt Entsatz,

Und macht dem Leichenwagen

Mit euren Waffen Platz!

Bedeckt das Grab mit Rosen,

Das ich so früh gewann,

Und legt den tatenlosen

Zum tatenreichsten Mann!

Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 22-24.
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