38. Trinklied

[490] Wohl bietet der irdische Tag qualvolle Sekunden genug.

Wenn tief du gedenkend erwägst, was je du verlorst, o Gemüt!

Feuchteren Auges erblickst du

Rings dann die verschleierte Welt.


Weil süßes Vergessen allein aufwägt den unendlichen Schmerz,

Schlürft, Freunde, das goldene Naß, hier wo sich ein Zaubergefild

Breitet um uns und um Bajäs

Rückstrahlende, wonnige Bucht!


Kommt unter des Tempelgewölbs halbdrohenden Rest! (Es vernahm

Hier Cypria Wunsch und Gebet) Ruht hier! In den hellen Pokal

Träufe der süße Falerner,

Jahrtausende schon so berühmt!
[490]

Aus purpurnen Wogen empor ragt manches antike Gestein,

Das Römer voreinst in die Flut, Prachtsäulen zu tragen, gesenkt:

Laßt die Verblichenen leben,

Die mächtige Taten getan!


Anspannend die Kraft des Gemüts, wirkt Gutes und Schönes erschafft,

Auf daß in der werdenden Zeit bei Künftigen töne das Wort:

Selig der Tag und die Räume,

Wo solch ein Berühmter gelebt!


Wann, Freunde, wir steigen hinab, wo dort sich ein mythisches Volk

Weissagende Grotte gebohrt, unweit der zertrümmerten Stadt,

Mag die Sibylle von Kumä

Uns Segen und Ruhm prophezein!


Dort drüben, die Höhlen entlang, liegt jenes elysische Feld,

Wo Geister im Felsengebüsch hinwandeln am Ufer des Meers:

Glückliche, die mit Heroen

Hinwandeln am Ufer des Meers!


Wohl ziemt es dem Folgegeschlecht, wo immer ein heiteres Mahl

Gastfreunde vereine, mir auch volltriefende Schale zu weihn,

Der ich erfand in der Seele

Manch liebebeflügeltes Lied.

Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 490-491.
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