5. In der Neujahrsnacht

[460] Seele der Welt, kommst du als Hauch in die Brust des

Menschengeschlechts, und gebierst ewigen Wohllaut?

Große Bilder entstehn, und große

Worte beklemmen das Herz.


Blende mich nicht, willige Kraft, wie ein Traumbild

Blende mich nicht! o und ihr, ziehet umsonst nicht

Meine sorgende Stirn vorüber,

Wandelnde Strahlen des Lichts!


Liebend bisher leitetet ihr, und ich folgte;

Hinter mir ließ ich was nicht euer Geschenk war:

Jeden irdischen Glanz und jede

Stille des häuslichen Glücks.


Immer nach euch klimmt ich empor, und es rollt mir,

Was ich errang, wie der Kies, unter den Füßen

Weg, ich blicke zurück nicht,

Klimme nur weiter empor.


Irrt ich? Es sei. Aber wie sehr des Verständ'gen

Tadel mich traf, so gewiß (fühl es, o Tadler!)

War ich strenge mir selbst, so weit es

Stürmische Jugend vermag.
[460]

Habt ihr umsonst, Sterne, mich nun an der Vorzeit

Reste geführt, und gestählt Augen und Herz mir?

Lehrt mich größere Schritte, lehrt mich

Einen gewaltigen Gang!


Gehet hinfort leuchtender auf, und ein Flämmchen

Wehe von euch, an des Haars Locke sich schmiegend,

Sanft herab und erwärme lieblich

Jeden Gedanken des Haupts!


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 460-461.
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