II.

[124] Ein Bergschmied vom Klausthal fuhr vor fünfzig bis sechzig Jahren eines morgens früh um ein Uhr an. Wie er am Zellbach durch das sogenannte Prachtgäßchen kam, hörte er eine feine und dünne Stimme, welche zu ihm sprach: »Bleiste schtiehn! bleiste schtiehn!« Weil er aber wußte, daß die Frau, welche in dem kleinen Hause an der Straße wohnte, eine Hexe war, so dachte er gleich, das ist die Hexe, die dir einen Schabernack anthun will, und lief was er laufen konnte, daß er fortkam. Aber gleich hörte er hinter sich ein Trappeln und Rappeln, Jauchzen und Schreien, daß ihm Hören und Sehen verging, und doch sah er nichts. Mit einem male that's einen Satz und er fühlte auf seinen Schultern eine schwere Last, gleich als wenn sich ein Mensch darauf setzte und mit den Beinen vorn herunterhinge. Er fühlte auch, wie die Finger gleich Krallen in die Haut eingeschlagen wurden. Und das Ding verließ ihn nicht eher, bis er die Gaipelthür aufgemacht, an welcher er matt und erschöpft auf dem unteren Burgstädter Zuge ankam. Dann aber gab's ihm einen derben Schlag in den Rücken, daß er ohnmächtig im Gaipel hinstürzte und erst nach einigen Stunden sich von seiner Not erholen konnte. Des abends, als er nach Hause kam, hatte er noch die schwarzen Flecke auf Schultern und Rücken.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 124.
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