50. Vom Kirchenraube.

[19] Nachdem auch der Halberstädtische Bischoff alle Jahr nach alter Gewohnheit den Palmtag zu Quedlinburg hielte, und nach verlesener Passion und gethaner Predigt alle die in Bann that, welche dem Stiffte Quedlinburg, oder dessen zugewandten Klöstern und Kirchen Schaden, oder Hinderung und Abbruch an ihren Freyheiten und Gütern thäten, begab es sich einsmahls, daß, da Bischoff Conradus vor dem Altare saß, und mit dem Lichte verschoß, die Glocken auch dabey nach Gewohnheit geläutet wurden, ein gewisser Ritter darüber lachte, und sich vernehmen ließ, solche Alfantzerey würde keinem schaden, wie er aber aus der Kirche gegangen, ist er gleich vom Teuffel besessen worden, daß er in den Hartz gelauffen, und niemand gewußt, wo er geblieben. Dies fand ich in einer alten auf Pergamen geschriebenen Chronick, darinnen viel Geschichte der Kaiser, Könige und Fürsten, wie auch der Päbste und Bischöffe, sonderlich in diesen Landen, verzeichnet waren. Ferner stund auch in dieser Chronicke, daß im damahligen Kriege zwischen den Kaisern Philippo und Ottone, als Ertz-Bischoff Ludolph und andre Fürsten das Halberstädtische Land und Stifft Quedlinburg in Abwesenheit Bischoff Conradi wider die Feinde beschützet, und dem Landgrafen von Thüringen die Raubschlösser Lauenburg und Stecklenberg wieder abgenommen und sie zerbrochen, damahls auf dem Stecklenberge von wegen des Landgrafen ein Edelmann gewesen, der vom Stiffte Quedlinburg etliche Hufen Landes und Holtzungen um einen jährlichen Zins gehabt, als er aber in diesem Krieges-Lerm erschlagen worden, habe sein Sohn sich dasselbe vor sein Erbgut zueignen und der Kirche nichts davon geben wollen, vermeinend, der Landgraf sollte ihn wol dabey schützen, habe sich auch an keine Vermahnung der Abtißinn und des Bischoffs gekehret, und da er endlich von diesem am Palmsonntage in den Bann gethan worden, habe er dessen gespottet und gesagt, das Essen und Trincken würde ihm eben so gut darauf schmecken als vorhin,[19] wie er aber gleich hernach beym Tische den ersten Trunck gethan, sey er plötzlich gestorben, und als ein Verfluchter in eine wüste Kirche begraben worden, sein Weib und Kinder wären auch bald darauf an der Pest gestorben und hätten ihr Gut andern lassen müssen.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 19-20.
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