Zehender Auftritt.

[13] Orasia. Ismene.


ORASIA.

So hat die Rache denn gesieget,

Und meine Hoffnung lebt aufs neu,

Da Eurydice leblos lieget.

Sollt' Orpheus nun sich nicht besinnen?

Sollt' ich ihn endlich nicht gewinnen,

Da nun das erste Band von seiner Eh' entzwey?

Arioso.


Ach fünd' ich dich / mein Orpheus, hier!

Wie wollt' ich dir

Die Neigung meiner Brust entdecken!

Ach find' ich dich / mein Orpheus, hier!

Wie wollten wir

Der Liebe süsse Frucht voll von Vergnügen schmecken!

[13] Aria.


C'est ma plus – chere envie,

De vous aimer toute ma vie;

C'est mon plus doux espoir,

De vous aimer & de vous voir.


Dieß ist mein höchstes Verlangen /

Dich Lebenslang zu lieben;

Dieß ist meine angenemste Hoffnung /

Dich zu lieben u. dich zu sehen.

ISMENE.

Wie marterst du doch, Königinn,

Um einen Knecht, um deinen Unterthan,

Den, zu des Landes Heyl, schon gung geplagten Sinn?

ORPHEUS.

Ach Thörinn, hast du noch die Ahrt der Liebe nicht erkannt?

Die achtet nicht Gebuhrt noch Stand.

Sie kann sich in sich selbst vergnügen und ergetzen,

Und die Person allein

Pflegt alles andre zu ersetzen.

Ja diese Liebe selbst will desto süsser seyn,

Je grössre Schwierigkeit und Pein

Sie mit sich führet,

Und je empfindlicher sie unsre Sele rühret.

Aria.

1.


L'amour plait malgrèses peines;

L'amour plait aux coeurs constants.

On ne peut porter ses chaines

Assez tôt ny trop long tems.

2.


Sans amour toutest sans âme;

L'amourseul nous rend contents.

On ne peut sentir sa flame

Assez tôt ny trop long tems.


Die Liebe gefällt uns / ungeachtet ihrer Mühseligkeiten;

Sie gefällt den beständigen Herzen.

Man kann ihre Fessel

Nicht zu bald und auch nicht zu lange tragen.

Ohne die Liebe ist alles ohne Sele;

Die Liebe allein macht uns vergnügt.

Man kann ihr Feuer

Nicht zu bald und auch nicht zu lange empfinden.


Quelle:
Georg Philipp Telemann: Die wunderbare Beständigkeit der Liebe, [Hamburg] [1726], S. 13-14.
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