5.

[310] Ihr Augen, geht, den Lenz zu schauen,

Der lächelnd liegt auf unsern Auen.

Ein Himmelskind in Blumenwiegen,

Gesäugt von Milch der Wolkenfrauen.

Die Ostluft ist die Amm' und schaukelt

Die Wiege mit dem Hauch, dem lauen.[310]

Das Kindlein thut, als schlaf' es, blinzet

Mit seinen Äugelein, den schlauen.

Und wie's die Augen aufgeschlagen,

Träuft Tau von seinen Augenbrauen.

Und Bienen kommen, saugen emsig

Den Tau, aus dem sie Honig brauen.

O kommt und laßt euch doch vom Lächeln

Des Himmelkindleins auch durchtauen.

O kommt aus euern dumpfen Zellen,

Die euch des Himmels Licht verbauen.

Laßt uns die Zell' aus Wachs und Honig

Sechseckig, wie die Bienen, bauen.

Erwarmt am bunten Blumenfeuer,

Und laßt die Aschen ruhn, die grauen.

Die Buß' ist tot, die Liebe lebet,

Ihr Atem weht in unsern Gauen.

Geht in des Frühlings Liebeschenke,

Trinkt seines Weines ohne Grauen;

Auf daß ihr liebestrunken werdet,

Eu'r Herz sich öffne mit Vertrauen.

Die Lieb' ist wach an Erd' und Himmel,

Im Grünen Rose, Sonn' im Blauen.

O Nachtigall, sieh deine Rose;

Du Adler sollst zur Sonne schauen.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 310-311.
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