Neunzehntes Kapitel.

[400] Wie Pantagruel den Rat der Stummen lobt.


Pantagruel schwieg auf diese Wort eine gute Weil, und schien in tiefen Gedanken. Dann sprach er zu Panurgen: der böse Geist bethört euch: aber höret mich. Ich hab gelesen daß die Orakel die man vor Alters in Schrift faßt' oder mündlich gab, nicht eben die gewissesten und untrüglichsten gewesen sind. Oefters sind daran selbst die Leut die man für fein und sinnreich hielt, irr worden; theils wegen der verblümten, zweydeutig dunkeln Wort, als auch wegen der Kürz der Sprüchlein. Darum ward auch der Gott der Weissagung Apollo, Λοξίας, (Loxias) zubenannt. Die man durch Zeichen und Gestus gab, galten für die sichersten und wahrhaftigsten, dieß war die Meinung des Heraklitus, und also weissagt' Jupiter in Ammon, Apollo bei den Assyrern. Aus diesem Grund malten sie ihn mit langem Bart, im Gewand eines alten bedächtigen Mannes, nicht jung, unbärtig und nackend ab, wie die Griechen. Lasset dieser[400] Weis uns brauchen, und erholet euch ohn alle Wort durch Zeichen Raths bey einem Stummen. – Ich bins zufrieden, antwort' Panurg. – Doch thät auch Noth, versetzt Pantagruel, daß der Stumme taub von Geburth an, und darum stumm wär. Denn es ist keiner so stumm von grundaus, wie wer niemals gehöret hat.

Wie versteht ihr das? frug Panurg, denn wenn es wahr wär daß ein Mensch nicht spräch, der nie hätt reden hören, würd ich euch logikalisch daraus einen fast paradoxen Satz und befremdlichen Schluß zu folgern treiben. Doch lassen wirs. Also glaubt ihr nicht was Herodotus von den zween Kindern schreibt, die auf Befehl des Aegyptischen Königs Psammetichus in einer Hütt in ewigem Schweigen verwahrt und erzogen, nach einer gewissen Frist das Wort Bekus verlauten liessen, welches auf Phrygisch Brod heißt? – Nichts weniger, versetzt' Pantagruel: es ist Thorheit zu glauben, daß wir eine Sprach hätten von Natur. Die Sprachen sind durch der Völker Willkühr und Uebereinkunft eingeführt. Die Stimmen bedeuten (so lehren die Dialektiker) von Natur nichts, sondern beliebig. Ich sags euch nicht ohn Ursach. Denn Bartolus I. 1. de verbor. obligat. meldet daß seiner Zeit zu Eugubien Einer namens Messere Nello de Gabrielis gewesen, der durch einen Zufall taub sey worden, nichts desto weniger alle Welschen verstanden hab, und wenn sie noch so heimlich sprachen, vom Anblick ihrer Gesten allein und Lefzen-Bewegung. Ferner find ich in einem gelehrten und zierlichen Author, wie Tiridates König von Armenien, zu des Nero Zeiten einmal nach Rom zum Besuch gekommen und mit solennem Ehrengepräng sehr prächtig und stattlich empfangen worden, weil man ihn wollt zum beständigen Freund des Römischen Volks und Senates haben; auch in der Stadt nichts Sehenswerthes noch Rares war, das man ihm nicht gewiesen und erläutert hätt. Bei seinem Abschied verehrt' ihm der Kaiser viel überschwenglich reiche Gaben, und ließ ihm noch dazu die Wahl, was ihm in Rom zumeist gefiel, ihm zu erkiesen; wobey er eidlich angelobt', was er auch immer bitten möcht, ihm nichts zu weigern. Da ersucht' ihn Tiridates um weiter[401] nichts als um einen armen Possenreisser, welchen er auf dem Schauplatz gesehen, und zwar kein Wort von ihm, wohl aber was er durch Zeichen und Gesten sprach, vernommen hätt; anführend wie er in seinem Reich viel Nationen von unterschiedlichen Zungen hätt, die er nicht anders als durch ein Heer Dolmetscher bedeuten und sprechen könnte: nun aber würd dieser Allen gerecht sein. Denn der Gebährdensprach war er so mächtig, daß er mit den Fingern zu reden schien. Drum müßt ihr euch einen Stummen wählen der taub von Natur ist, daß seine Zeichen und Gestus auch echt prophetisch und nicht verstellt, studirt noch erheuchelt sind. Bleibt nur die Frag, ob ihr dieß Loos bei einem Mann oder Weib wollt nehmen.

Ich nähms wohl gern, versetzt' Panurg, bey einem Weib; nur fürcht ich mich vor zweyerley; fürs erst, ein Weib mag sehn was es will, es bild sich ein, es denkt, es wähnt in seinem Sinn, daß es die Introduction des heiligen Ithyphalli fürstell. Was man in ihrem Beysein auch immer Zeichen, Wink und Gebährden mach, das ziehn und deuten sie alls und jedes auf den Passus der Rammeley: da wären wir also schlecht berathen; denn ein Weib hielt all unsre Zeichen für venerische. Denkt an das was sich 260 Jahr nach Roms Erbauung daselbst begab. Ein junger Römischer Cavalier begegnet auf dem Cölier Berg einer lateinischen, taub und stumm geborenen Dam, mit Namen Verona; und frug sie mit allerley welschen Gebährden, weil er von ihrer Taubheit nichts wußt, wie viel es an der Tarpejischen Thurn-Uhr geschlagen hätt. Da sie nun nicht verstund was er ihr sagt', dacht sie, es wär was sie im Sinn hätt und junge Leut gemeinlich von Weibern begehren. Lockt' ihn also mit Zeichen, (die in der Lieb ungleich beredsamer,[402] eindringlicher und bündiger denn alle Wort sind,) beyseit in ihr Haus, bedeutet' ihn daß ihr das Spiel behagt': kurz, ohn ein Sterbenswörtlein sterlenzten sie daß die Federn stoben.

Fürs Zweyt: sie würden auf unsre Fragen uns gar kein Bescheid noch Antwort geben, sondern gleich auf den Rücken fallen, zu thätlicher Bekräftigung unsres stummen Begehrens. Oder, wenn sie auf unsre Fragen ja uns Zeichen und Gestus zur Antwort gäben, würden sie so possirlich und toll seyn, daß wir ihre venerische Absicht selbst darinn sähen. Ihr wißt noch wohl wie einst zu Brignoles die Nonn Dickarß von dem jungen Nollenbruder Stechzu beschwängert worden war. Die Aebtissinn, als ihre Schwangerschaft auskam, ließ sie vor das Kapitel citieren, und beschuldigt' sie des Incests. Sie excusirt' sich daß sie nicht darein gewilligt, sondern durch Nothzwang des Bruders Stechzu gewältiget worden. Darauf erwidert die Aebtissinn: O du abscheulichs Frauenzimmer; es war im Dormenter, was schrieest du nicht Gewalt? so wären wir dir all zu Hülf gelaufen. Antwort: sie hätt sich nicht im Dormenter zu schreyn getraut, weil im Dormenter ewiges Schweigen herrschen müßt. – Aber, sprach die Aebtissinn, warum, o du Abscheuliche! gabst du nicht deinen Stubennachbarn ein Zeichen? – Antwort Dickarß: Ey, ich gab ihnen Zeichen mit dem Hintern, so viel ich konnt, aber kein Seel kam mir zu Hülf. – Aber, o Abschaum! sprach die Aebtissinn, was kamst du nicht auf der Stell zu mir und verklagtest ihn wie sich gebühret? Also hätt Ich, wenn mirs passirt wär, zu Erweis meiner Unschuld gethan. – Weil ich, antwortet Dickarß, aus Furcht in Sünd und Verdammniß zu bleiben wenn mich ein schneller Tod ereilt hätt, ihm beichtet', und er zur Buß mir auflegt' es Keinem zu sagen noch mitzutheilen. Ein allzu schauderhaft Vergehn wär es gewesen, die Beicht zu verrathen, allzu abscheulich vor Gott und Engeln. Das Feuer des Himmels hätt derhalb leicht das ganze Kloster verschlingen können, und wären mit Datan und Abiran all mit einander zur Höll gefahren.[403]

Ihr werd mich drum nicht zu lachen machen, sprach Pantagruel. Ich weiß lang, das Mönchsgesindel samt und sonders scheut sich weit minder Gottes Gebot, als seine Provinzialstatuten zu übertreten. Nehmet also einen Mann. Der Geißnas scheint mir geschickt dazu; er ist taubstumm geboren.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 400-404.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel