Sechs und Dreyssigstes Kapitel.

[332] Wie wir die tetradischen Stiegen hinabstiegen, und von Panurgens Todesangst.


Drauf stiegen wir eine Marmel-Stieg unter die Erd; da war eine Ruh; schlugen uns linkerhand und stiegen noch zwey, da war eine gleiche Ruh; dann seitwärts drey, und wieder Ruh; dann vier, und wieder. Jetzt frug Panurg: ists hier? – Wie viele Stiegen, sprach unsre vortreffliche Latern, habt ihr gezählt? – Eins, zwey, drey, vier, antwort Pantagruel. – Wie viel sind das zusamen? frug sie. Zehn, antwort Pantagruel. – Mit gleicher Pythagoräischen Tetras, sprach sie, multipliziret dieß Product. – Das wär zehn, zwanzig, dreyssig, vierzig, sprach Pantagruel. – Wieviel macht dieß zusamen? frug sie. – Hundert, antwort Pantagruel. – Fügt noch, sprach sie, den ersten Cubus, das sind acht, hinzu; so werden wir am End dieser Schicksalszahl[332] des Tempels Pforten finden. Und hiebey merkt weislich: dieses ist die wahre Psychogoni des Plato, unter den Akademicis so hoch berufen, und annoch so wenig verstanden, deren Hälfte aus Einheit der zwey ersten Zahl besteht, in denen zwey Quadrat und zwey Cubuszahlen rein aufgehen.

Beym Steigen dieser numerischen Stiegen waren uns sehr von nöthen; erstlich, unsre Bein, sonst wären wir wie Fässer in einen Keller gerollt; zweytens unsre erlauchte Latern; denn ausserdem fiel nicht ein Lichtstrahl in diesen Gruben-Paß, so wenig als in Sancts Patricks Loch in Irland, oder in die Trophonius-Höl in Böotien. Wie wir etwa ein achtundsiebzig Stiegen tief hinunter waren, schrie Panurg und sprach zu unsrer leuchtenden Latern: ach wunderreiche Dam'! ich fleh euch aus zerknirschtem Herzen, laßt uns linksum! Potz Puff, ich sterb für Schrecken; will ja mein Lebtag gern ledig bleiben. Ihr habt meinthalben euch viel Sorg und Müh gemacht: Gott wirds euch lohnen in seinem grossen Belohnium. Werd auch nicht unerkenntlich seyn, wenn ich dieß Troglodytenloch nur einmal erst im Rücken hab. Um Gottes Willen, linksum! ach, ich fürcht sehr hie ist Tänarus, wo man zur Höll hinuntersteigt; ich mein' ich hör den Cerberus schon bellen: horcht! er ist es, oder die Ohren gellen mir; ich bin sein Freund durchaus nicht, denn's ist kein ärger Zahnweh auf Erden als wenn uns die Hund an den Beinen haben. Wenn hier Trophonius Höl ist, fressen uns die Lemuren und Kobolt noch lebendig auf, wie vormals den Hatschirer des Demetrius: hat so nix hie zu beissen. Bist du da, Bruder Jahn? Ich bitt dich, halt dich dicht zu mir, liebs Ränzel! ach ich sterb vor Angst. Du hast doch deinen Fochtel bey dir? Ich hab auch nicht die kleinste Wehr zu Schutz noch Trutz. Linksum!

Ich komm, ich komm ja schon, sprach Bruder Jahn, sey ausser Sorg. Halt ich dich nicht am Kragen fest, daß achtzehn Teufel dich mir nicht nähmen, und wenn du zehnmal[333] ohn Waffen wärst? Mit gutem Muth und guter Faust fehlts keinem in der Noth an Waffen. Eh'r müßts vom Himmel ja Waffen schney'n, wie's weiland auf dem Feld zu Crau in der Provinz am Marius-Graben die Kieselstein geschneyt hat (sie sind heut noch da) dem Herkules zu Hülf; er hätt sich sonst der zwey Kinder Neptuni nicht erwehren können. Wetter aber! wo gehts hie hin? in den Limbus zu den kleinen Kindern? (Hui, die werden uns schön beklatern) oder zu allen Teufeln der Höll? Kreuz Gottes! ich schlag sie braun und blau, itzt da ich Wein auf den Sohlen spür. Heut will ich mich mal preislich haun. Wo ists? Wo seyns? Ich fürcht mich nur vor ihren Hörnern. Doch, davor wird mich Panurgs Geweih schon schützen, wenn er erst ein Weib hat. Ich seh ihn schon im prophetischen Geist, den neuen Aktäon, den Horn-Hahnrey und Hörnen-Seyfried. – Wahr dich, Herr Frater, sprach Panurg, daß du nicht etwann unterweilen, bis auf den Hochzeitstag der Mönch, dir noch Gotts Marter wo erfreyst: denn so wahr ich aus dieser Spelunk ganzbeinig zu entrinnen hoff, die geig ich dir, nur daß ich dich zum Stutzbock und zum Spiesser mach. Denn sonst schien mir Gotts Marter freylich ein leidigs Schätzel; entsinn mich noch wie Krellhinz dirs zum Weib anbot; du aber schaltest ihn einen Ketzer.

Hier unterbrach unser Glanz-Laternlein mit dem Ermahnen das Gespräch, daß dieß der Ort wär wo wir nun durch Unterdruckung aller Wort und Zungen-Stummheit linguis zu faviren hätten; und beschied uns übrigens peremtorisch daß wir ohn das Boutelgen-Wort von hier zu gehen keineswegs verzweifeln dürften, weil wir mit Weinlaub vorgeschuht wären.

Marsch also vorwärts! rief Panurg, und häuptlings durch dreytausend Teufel. Der Tod ist nur Ein Hops: zwar hatt' ich mein Leben auf eine Schlacht verspart –[334] marsch vorwärts! immer zu! Courag hab ich so viel ihr wollt: zwar bubbert mirs Herz im Leib, allein das macht dieß kalte feuchte Kellerloch. Es ist nicht Furcht noch Fieber, nicht doch! Nur zu, nur vorwärts! marsch, marsch, arsch! Mein Nam ist Wilhelm sonder Furcht.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 332-335.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel