Zwey und Vierzigstes Kapitel.

[345] Wie uns die Priesterinn Bakbuk im Tempel einen phantastischen Brunnen zeigt, und wie des Brunnens Wasser den Trinkern in ihrer Einbildung nach Wein schmeckt'.


Während wir diesen Wundertempel und unvergeßliche Lampe noch entzückt beschauten, siehe da trat uns die würdige Priesterinn Bakbuk, heiter lächelnden Angesichts, mit ihrer Diener-Schar entgegen, und führt' uns unschwer, weil sie uns beschriebenermasen ausstaffirt sah, in des Tempels mittleren Raum, wo unter nurgedachter Lampe der schöne phantastische Brunnen war: ließ uns da Humpen, Schalen, Becher von Gold, Krystall und Silber reichen, und wurden höflich eingeladen vom Wasser das dem Brunnen entquoll, zu trinken. Was wir auch gerne thäten, denn in Form eines Säulenflusses fanden wir einen phantastischen Brunnen rarer, herrlicher, wunderbarer an Stoff und Arbeit als sich Pluto in Limbis jemals träumen ließ. Das Basament desselben war vom reinsten klarsten Alabaster, drey Palmen, wenig drüber, hoch; in siebenwinklicher Gestalt auswendig gleichgetheilt, mit seinem Dorischen Sockel, Hohl-Kehl-Kropf- und Wellenleisten ringsherum, inwendig aber völlig rund. Auf dem Rand im Centro jedes Winkels stund eine bauchige Säul in Form eines Cycli von Elfenbein oder Alabaster; die neuern Bauleut heissens Portri; und waren ihrer in allem sieben, nach der sieben Winkel Zahl. Ihre Höh vom Fuß bis zur Oberschwell war sieben Palmen, wenig drunter, nach einer lothrecht auf ein Haar durchs Centrum ihrer innern Rundung und Peripheri gezognen Schnur: und standen in der Ordnung so, daß wenn man hinter einer derselben wo sie auf ihrem Pfühl auch stand, das Aug auf die entgegenstehenden anlegt', der pyramidalische Conus unsrer Augen-Lini allzeit im vorgedachten Centro auslief, wo er auf ein gleichschenklich Dreyeck von zwey entgegenstehenden traf, davon zwey Schenkel jene Säul die wir messen wollten, gleich halbirten und, mit Uebergehung zweyer Säulen zu[346] beyden Seiten, im ersten Drittheil des Zwischenraums auf ihre Bodenlini und Basis fielen, welche per lineam consultam bis auf das allgemeine Centrum fortgezogen, gleich halbirt, das rechte Maas von der Entfernung der sieben gegenstehenden Säulen in grader Schnur vom stumpfen Winkel des Randes angerechnet, auswies. Wie ihr denn wißt daß man in jedem ungleichen Vieleck immer zwischen zween Winkel einen eingeschoben findet. Womit uns implicite dargethan ward, daß sieben halbe Diametri, nach geometrischem Verhältniß, beynah der Kreis-Peripheri aus welcher sie entnommen, gleich sind an Umfang und Entfernung, nämlich gleich drey Ganzen und anderthalbem Achtel, wenig drüber, oder anderthalb Siebentheilen, wenig drunter: wie schon die alten Geometer Euklides, Aristoteles, Archimedes und Andre lehren.

Die erste Säul, die uns vom Eingang des Tempels gradüber ins Auge fiel, war von azurenem Himmels-Sapphir: die zweyt aus Hyacinth von Farb natürlich wie die Blum, in die einst das zornige Blut des Ajax verkehrt ward, mit hie und da hinein gemischten griechischen Lettern ΑΙ: die dritt aus anachitischem Demant, flammensprühend wie Blitz': die viert' aus männlichem Amethyst-Rubin, so daß sein Feuerglanz halb Purpur, halb violett schien wie Amethyst: die fünfte aus Smaragd fünfhundertmal herrlicher als nimmermehr die des Serapis im Aegyptischen Labyrinth, heller und blühender als die beyden, die dem marmornen Leuen weiland am Grabmal des Königs Hermias statt Augen inoculiret waren: die sechst' aus Agath von bunterem, anmuthigerem Farbenspiel und Flecken-Mischung als der vormals vom Epiroten-König Pyrrhus so hochgeschätzte: die siebente aus transparentem Selenit weiß wie Beryll, von einem Glanz wie des Hymettischen Honigs, und erschien darinn der Mond in gleicher Gestalt und Umlauf wie am Himmel, ab- und zunehmend, voll, neu, stumm.

Welche Stein die alten Chaldäer den sieben himmlischen Planeten gewidmet haben. Dieß auch noch mit gröberer[347] Minerv' zu fassen, stund auf dem Kapitäl der ersten sapphirenen lothrecht in genauer Centralschnur, aus eluthischem kostbaren Bley das Bild Saturns, mit seiner Sens und einem güldnen Krannich zu seinen Füssen, nach Erforderniß der von Natur dem Saturnischen Vogel eignen Farben mit Schmelzwerk künstlich eingebrannt. Auf der zweyten hyacinthnen zur linken Hand war Jupiter in Jovetianischem Zinn; ein güldner Adler auf seiner Brust, mit Schmelz nach der Natur. Auf der dritten Phöbus von purem obrizirten Gold, in seiner Rechten ein weisser Hahn. Auf der vierten Mars in Korinthischem Erz, zu seinen Füssen ein Leu. Auf der fünften Venus in Kupfer, derselben Maß', aus der einst Aristonidas das Bild des Athamas verfertigt' und durch ein gleichsam röthlich Weiß die Schaam ausdruckt' darüber, daß er seinen todtgefallenen Sohn Learchus zu seinen Füssen sah. Auf der sechsten Merkur aus festem, schmiedbaren, unbeweglichen Quecksilber, zu seinen Füssen ein Storch. Auf der siebenten der Mond in Silber, zu seinen Füssen ein Windhund. Die Höh sothaner Bilder war ein wenig über Drittelsläng der ihnen unterstellten Säulen, und waren so geschickt nach Umriß der Mathematici entworfen, daß Polikleti Kanon, dem man nachrühmt, daß er selbst die Kunst zur Schülerin der Kunst gemacht hätt, damit sich schwerlich messen dürfen.

Die Postament, die Kapitäler, Architraben, Zoophoren und Cornischen der Säulen waren von Phrygischer Arbeit, ganz massiv aus reinerem und feinern Gold als der Leede bey Montpellier, der Indische Ganges, der Welsche Po, der Thrazische Hebrus, der Spanische Tajo, der Lydische Paktolus jemals mit sich führten: die zwischen die Säulen gespannten Bögen von gleichem Stein mit ihrer Säulen[348] bis zur nächsten in der Ordnung: nämlich von Sapphir zum Hyacinth, von Hyacinth zum Demant zu, und so weiter. Ueber den Bögen und Kapitälen der Säulen war als Brunnen-Dach auf der innern Seit eine Kuppel erhaben, die hinter den Planeten-Ständen in heptagonischer Form begann, und allgemach in sphärischer endigt'; und war aus so gereinigtem, durchsichtig klaren, spiegelhellen, in allen seinen Teilen gleichen und ungetrübten Bergkrystall ohn alle Adern, Zasern, Wölklein noch Frostfleck, daß Xenokrates in seinem Leben keinen sah, der sich mit ihm vergleichen dürfte. Im innern Rund der Kuppel waren in auserlesnen Charakteren und Bildern künstlich nach der Ordnung sculpiret die zwölf Zeichen des Zodiakus, die zwölf Monat des Jahrs mit ihren Eigenschaften, die zwey Solstizien, die beyden Aequinokzien, die ekliptische Linea, nebst etlichen der wichtigsten Fixstern am südlichen Pol und anderwärts, mit solcher Kunst und Deutlichkeit, daß ich es für ein Meisterstück des Königs Necepsus oder des alten Sterngukers Petosiris hielt.

Grad über des Brunnens Mittelpunkt, auf dem Gipfel der Kuppel standen drey elenchische Perlen, alle birnförmig überein, und von vollkommner Thränen-Reinheit: die waren in Form einer Lilienblum zusamen verbunden und so groß, daß die Blum über einen Palm im ganzen betrug. Aus ihrem Kelch erhub sich ein Karfunkelstein von der Größ eines Straußen-Eyes, in heptagonischer Form geschliffen, (denn die Natur hält grosse Stück auf diese Zahl): ein so bezaubernd Wunder-Kleinod daß, als wir ihn näher zu beschaun die Augen erhuben, nicht viel fehlt' so hätt er uns des Gesichts beraubt: denn flammender und mächtiger strahlt nicht das Feuer der Sonnen noch des Blitzes, als er uns damals schien. Also, daß richtige Würderer in diesem Brunnen und obigen Lampen leicht mehr Reichthum und Kostbarkeit enthalten zu seyn erachtet hätten, als ganz Europa, Asien und Afrika zusamen nicht werth sind; und davon der Pantarbes jenes Indischen Magiers Jarchas so leicht verdunkelt worden wär, als ein Stern von der Mittagssonnen.[349]

Itzt komm nur noch die Königinn Kleopatra von Aegypten her, und rühm sich ihrer beyden Perlen, die sie in ihren Ohren trug; davon sie ein', auf hundert Sesterzien werth geschätzt, in des Triumvirs Antonii Beyseyn mittelst Essigs zu Wasser schmolz.

Itzt komm und rühm sich noch Pompeja Plautina mit ihrem stolzen Kleid voll wechselweis darein gewirkter Smaragden und Perlen, worüber die ganze Stadt Rom erstaunt', die doch sonst aller Welt Räuber Rüsthaus und Diebshöhl genannt ist worden.

Des Brunnens Fall und Abzug ging durch drey Röhren und Rinnen von feinen Perlen, in Richtung drey gleichseitiger Rand-Winkel, wie zuvor gedacht; und waren die Röhren aus zween halben Spiralen ineinander gedreht. Nachdem wir dieß betrachtet, wandten wir unsre Augen woandershin, als uns Bakbuk auf den Auslauf des Wassers horchen hieß. Da hörten wir einen wunderlieblichen, zwar dumpfen und gebrochenen Ton, als ob er unter der Erden wie von weitem käm; doch hierinn eben deucht' er uns angenehmer als wenn wir ihn nah und deutlich vernommen hätten. Also daß, wie sich unsre Seelen an Betrachtung des Obigen durch die Fenster der Augen erlabt, nun auch den Ohren durch Belauschung dieses Wohllauts ein Gleiches ward.

Hierauf sprach zu uns Bakbuk: eure Weisen leugnen daß durch Figuren-Kraft Bewegung möglich: hört und seht hier das Gegentheil. Durch diese blose Spiralfigur die ihr da ineinander geschränkt seht, und ein fünffältig beweglichs Käpplein an jedem innern Durchschnitt, (just wie in der Hohl-Ader an der Stell, wo sie in die rechte Herzkammer tritt), wird dieser Brunnen durchgeseiht und solch ein Wohllaut drinn erwecket, der bis zum Meer von eurer Welt herüberdringt. – Hierauf befahl sie daß man uns zu trinken brächte.

Denn frey heraus euch zu gestehn, wir sind nicht von dem Kalbsgelichter die, wie die Spatzen, die nicht fressen[350] bis man ihnen die Schwänzlein streicht, auch weder essen noch trinken mögen, man treibts ihnen denn mit Keulen ein: nie geben wir einer Seel den Korb, die uns zum Trinken höflich einlädt. – Darauf befrug uns Bakbuk, was uns dazu bedünkt'. Wir gaben ihr zur Antwort, es bedünket' uns wie gutes frisches Brunnenwasser, silberheller und lauterer als Argyrondes in Aetolien, Peneus in Thessalien, Axius in Mygdonien, der Cydnus in Cilicien, den Alexander Macedo mitten im Sommer so schön klar und kühl fand daß ihn flugs der Kützel darinn zu baaden überkam, selbst auf Gefahr des Schadens, den ihm, wie er wohl sah, dieß flüchtige Labsal zuziehn mußte. – Ha ha! rief Bakbuk, nun dieß heiss ich schlecht Achtung geben: ey wie wenig merkt ihr auf die Bewegungen der Zungenmuskel wenn das Trinken darüber in den Magen rinnt! Sagt, habt ihr fremden Leutlein denn verpichte Gaumen, tragt ihr sie verfuttert und verpelzt, wie weiland Pithyll mit Namen Teuthes, daß ihr den wahren Würzgeschmack und Duft von diesem Göttersaft nicht spürt noch anerkennt? Itzt bringt mir gleich, sprach sie zu ihrer Zofen-Schaar, mein Striegelzeug her, das ihr wißt; damit wir ihnen die Schlünd ausfegen und bürsten! – Alsobald erschienen schöne feiste stolze Schunken, schöne feiste stolze Rauchzungen, gute stattliche Botargen, Sau-Eiter, Hirn- und Harderwürst, gute herrliche Wildbret-Blunzen und solcher Kehl-Schlotfeger mehr; da assen wir auf ihr Gebot so lang bis wir bekennen mußten daß unsre Mägen trefflich wohl gestriegelt wären, bis auf den Durst nach, der uns äusserst beschwerlich fiel. Da sprach sie zu uns: Einst erhielt ein weiser, tapfrer Jüden-Feldherr, als er sein ausgehungert Volk durch die Wüsten führt', das Manna vom Himmel, welches ihnen in ihren Gedanken so, wie ihr voriges Futter in Wahrheit schmeckte. So werdet nun auch ihr, wenn ihr den Wundertrank hier schlürft, den Schmack desselben Weins verspüren, den ihr euch eben denkt. Wohlan! so denkt und trinkt! – Gesagt, gethan. Worauf Panurg laut rief: Bye Gott! dieß ist der allerbeste Beaulner, den ich noch je getrunken[351] hab, oder ich geb mich neun Dutzend Teufeln: o! wer doch, ihn nur recht lang zu schmecken, gleich einen Hals von drey Elen hätt, wie Philoxenus wünscht'; oder auch einen Kranichhals, mit dem Melanthius zu beten.

Auf Laternen-Ehr! schrie Bruder Jahn, 's ist griech'scher Wein: das saust und braust! Um Gottes Willen, Freundin, lehrt mich die Kunst wie ihr den macht. – Mir, sprach Pantagruel, schmeckt er wie Mireveauer; denn vor dem Trinken dachte ich an den. Es fehlt ihm nichts als daß er kühl ist, kühler wahrlich als eisekühl, als die Quellen Derce und Nonakris, und der Kontoporien-Brunnen bey Korinth, der den Trinkenden die Mägen und Därm zu Eis gefror. – Trinkt nur, sprach Bakbuk, immer wieder, ein, zwey, dreymal und denkt euch immer dabey was anders; immer wird es derselbe Trank und Saft seyn, den ihr gedacht habt: und nun sagt mir hinfüro nur noch, daß bey Gott ein Ding unmöglich sey. – Ey, sprach ich, das haben wir auch noch nicht gesagt; denn wir behaupten, Er ist allmächtig.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 345-352.
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