Beitrag zum deutschen Wörterbuche.

[59] Als ich es wagte, der gelehrten Welt meinen Versuch eines deutschen Wörterbuchs mitzuteilen, so bat ich mir zugleich den Beitrag meiner Landsleute zu diesem wichtigen und weitläufigen Werke aus. Ich bin so glücklich gewesen, daß an mich verschiedene Artikel eingesandt worden sind, und mein Vergnügen darüber ist so groß, daß ich nicht einen Augenblick länger anstehen kann, ein paar davon bekannt zu machen, welche völlig nach derjenigen Anlage ausgearbeitet sind, die ich mir zu meinem Wörterbuche gemacht hatte. Ich hoffe, es werden diese neuen Proben noch andere aufmuntern, ihrem Beispiele zu folgen, um mich durch ihre geschickte Beihilfe in den Stand zu setzen, daß ich noch vor dem Schlusse des jetzigen Jahres solches unter die Presse bringen kann ....

Verschiedene meiner Korrespondenten haben verlangt, ich möchte ihnen einige Wörter vorschlagen, deren Bedeutung sie untersuchen könnten. Ich will etliche davon hersetzen, deren Bedeutung mir am zweideutigsten und am unbestimmtesten zu sein scheint. Die verschiedenen Redensarten, bei welchen sie gebraucht werden, verursachen wegen dieser Ungewißheit eine solche Verwirrung im gemeinen Leben, daß ein jeder patriotisch Gesinnte nicht einen Augenblick zaudern sollte, eine gewisse Bedeutung davon festzustellen. Ich erwarte diesen Beitrag mit dem größten Verlangen. Den Nutzen davon haben sie und ihre Kinder zu genießen. Hier sind die Wörter selbst: Andacht – Artig – Ehrgeiz – Eifersucht – Freiheit – Geschmack – Gesundheittrinken – Gleichgültig – Grußmut – Ich – Körnigt – Kunstrichter – Rangstreit – Scherzhaft – Sparsamkeit – Unparteiisch – Unschuld – Witz ....


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Deutsch. Ist ein Schimpfwort. Die Franzosen sprechen: Er hat den Fehler, daß er ein Deutscher ist. Denn wie bei vielen Franzosen der Verstand überhaupt sehr sonderbar ist, so haben sie gefunden, daß alle die, welche diesseits des Rheines geboren sind, weder witzig noch tapfer und also gute, ehrliche Menschengesichter – mit einem Worte, Deutsche sind.

Es klingt alles so gar deutsch in seinen Versen – ist der[59] tiefsinnige Machtspruch, den über deutsche Gedichte gemeiniglich diejenigen fällen, welche bei ihren Französinnen zur Not so viel gelernt haben, daß sie die Utrechter Zeitungen exponieren können.

Ich kenne Leute, welche gern ihren halben Verstand darum geben würden, wenn sie keine Deutsche wären, sondern unter dem Konsulate des Cicero in Rom geboren wären. Ihnen kömmt nichts so lächerlich vor als die Bemühung, in der deutschen Sprache Donatschnitzer zu vermeiden. Den, der sich Mühe giebt, zierlich und regelmäßig deutsch zu schreiben, können sie ihrer Meinung nach nicht ärger beschimpfen, als wenn sie ihn einen deutschen Michel heißen. Dieses Wort begreift nach ihrer Grammatik wenigstens ebenso viel Schande und Laster in sich, als bei den alten Juden ein Samariter oder bei den Savoyarden ein Barbet.

Ich habe angemerkt, daß die deutsche Sprache unter ihren Kindern besonders zwei Arten von Feinden hat. Einige verfolgen sie aus Hochmut und Eigennutz, andere aber verachten sie aus Leichtsinn.

Jene geben sich eine ernsthafte, gebieterische und monarchische Miene. Sie sind gewohnt, ihre Wahrheiten mit aufgehobenem Arme zu behaupten und den Pflichten der väterlichen Liebe mit der Rute Genüge zu leisten. Man nennt sie lateinische Görgen, zur schuldigen Vergeltung der deutschen Michel. Es liegt ihnen viel daran, die deutsche Sprache zu unterdrücken, welche sie selbst so wenig verstehen. Ihr Ansehen dürfte freilich sehr fallen, wenn die Welt anfinge zu glauben, ein Mann verdiene den Namen eines wahren Gelehrten noch nicht, wenn er schon ein lateinischer Sprachmeister sei. In Lehmanns Speyrischer Chronik finden wir die Geschichte eines treufleißig verordneten Lehrers, welcher ein so abgöttischer Verehrer des Cicero gewesen, daß er seinen Sohn bloß deswegen der lateinischen Sprache von Mutterleibe an geweiht, weil er eine Warze auf der Nase gehabt. Und ungeachtet sich bei zunehmenden Jahren geäußert, daß ihn die Natur nicht zu einem Cicero, sondern höchstens zu einem deutschen Holzhacker geschaffen, so hielt sich doch dieser gelehrte Vater in seinem Gewissen verbunden, einem so deutlichen Berufe, als sein Sohn an der römischen Nase trug, nicht zu widerstreben. Ja er soll in seinem Eifer so weit gegangen sein, daß er sein Kind amtsmäßig und mit der Rute in der Faust gezwungen, die Finger auf die lateinische Grammatik zu legen und seine Muttersprache solemni ritu formulaque abzuschwören ....[60]

Die zweite Art der Antideutschen machen diejenigen aus, welche die deutsche Sprache nur aus Leichtsinn verachten. Diese sind von den ersten weit unterschieden. Wenn jene etwas lesen, das nicht lateinisch ist, so schüttelt sich ihre ganze Natur; diese leichtsinnigen Feinde aber können es noch so ziemlich gelassen anhören, wenn von der Stärke und Schönheit der deutschen Sprache die Rede ist. Ja, ich habe es sogar mit meinen eigenen Augen gesehen, daß man einem solchen Undeutschen, welcher ein junges Herrchen von Profession war, zwei Blätter aus dem Haller vorlas, ohne daß es ihm etwas weiter schadete, als daß er lachte, trällerte, pfiff, sich auf einem Beine herumdrehte; und sobald er mit einer Prise Tabak dem Gehirn ein wenig Luft gemacht hatte, so sagte er weiter nichts, als: Pardieu! le misérable jargon! Sogleich war auch sein Paroxismus vorbei, und man sah zwischen ihm und einer vernünftigen Figur beinahe nicht den geringsten Unterschied. In der That verdienen diese Feinde der deutschen Sprache, daß man sie mit Langmut erträgt ... Sie spotten, weil es deutsch heißt, und lachen, weil es nicht französisch ist. Wer ein gegründetes Urteil von der Nichtswürdigkeit der deutschen Sprache von ihnen fordern wollte, der forderte zu viel. Genug, es ist Mode, sie zu verachten ... Diejenigen, welche in allem einen zureichenden Grund suchen, wollen aus der Erfahrung beweisen, daß es deswegen so viele lustige Feinde ihrer Muttersprache unter uns gebe, weil die Franzosen in ihrem Umgang so artig und einnehmend wären, daß viele von unsern deutschen Frauenzimmern ihnen nichts abschlagen könnten. Unwahrscheinlich ist die Vermutung nicht, und ich sollte fast selbst glauben, daß die Natur dergleichen possierliche Körper nicht zur Welt bringen könnte, ohne sich der Verbindung eines französischen Papa und einer deutschen Mutter zu bedienen ...

Er ist ein ehrlicher alter Deutscher – würde ein Anfänger in der deutschen Sprache also erklären: Er ist so ehrlich wie ein alter Deutscher. Aber das wäre ein großer Sprachschnitzer; sondern es wird gemeiniglich von Leuten gebraucht, welche in ihrem Umgange alle diejenigen Eitelkeiten mit Sorgfalt vermeiden, die man sonst Höflichkeiten nennt ....

Fabel. Eine Fabel ist ordentlicher Weise und besonders nach dem Begriff einiger Neuern ein solches Gedicht, über welchem der Name eines Tieres oder sonst eines Dinges steht, das noch etwas dümmer ist als der Verfasser. Wir würden zu viel von ihm fordern, wenn wir eine poetische Wahrscheinlichkeit oder gar eine Sittenlehre darin suchen wollten. Die[61] Ausführung der Fabel mag noch so trocken, noch so abgeschmackt, noch so undeutlich sein, so ist doch das, was ein solcher Fabeldichter im Namen seines Tieres sagt, für eine unvernünftige Bestie noch allemal klug genug gesprochen. Er schreibt: »Der –, eine Fabel.« Und siehe, so ist es eine Fabel.

Das Wort Fabel wird noch in einem andern Verstande, und zwar von solchen Erzählungen gebraucht, welche zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich sind ... Diese Beschreibung öffnet dem Dichter ein weites Feld zu tausend Erfindungen, z.B.


Der betrübte Witwer. Eine Fabel.

Agenor, ein reicher Bürger, lernte ein Frauenzimmer kennen, welches weder Schönheit noch Vermögen hatte, aber desto tugendhafter war. Bloß ihrer Tugend wegen liebte er sie. Er heiratete sie, und die ganze Stadt lobte seine Wahl; denn die meisten Bürger dieser Stadt waren tugendhaft, und keiner heiratete aus eigennützigen und niederträchtigen Absichten. Zwanzig Jahre ihrer Ehe waren verflossen, und nicht ein einziges Mal hatten sie einander Gelegenheit zu einem Mißvergnügen gegeben. Noch im 20. Jahre liebten sie einander ebenso vernünftig und ebenso zärtlich als an dem Tage ihrer Verlobung. Auf diesen Umstand werden meine Leser ja wohl merken; denn das ist eine Hauptfabel. Agenor verlor seine Frau, welche bloß um deswillen schwer zu sterben schien, weil sie sich von ihrem Manne trennen sollte. Zehn Monate hat Agenor zugebracht, ehe er sich einigermaßen trösten und zu einer neuen Heirat entschließen konnte. An fünf Monaten wäre es schon genug gewesen; aber zu einer Fabel mußten es schlechterdings zehn Monate sein.

Quelle:
Rabeners Werke. Halle a.d.S. [1888], S. 59-62.
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