Achtzehnter Auftritt

[567] Verwandlung.

Musik. Das Innere einer ganz verfallenen gotischen Kapelle. Es stehen nur die Mauern noch. Der Mond leuchtet am bewölkten Himmel, und sein Licht strahlt gerade durch das Eingangstor, so daß der Bettler, wenn er die letzte Rede spricht, von ihm beleuchtet wird.

Der Bettler sitzt an der Ecke der Hinterwand im Dunklen auf einem niedern Stein.

Flottwell, in einen Radmantel gehüllt, tritt ein.


FLOTTWELL. Die Nacht ist kühl. Auch zieht in Westen ein Gewitter auf. Wenn es nur bald vorübergeht! Was rauscht? Bin ich hier nicht allein? Wer kauert in der Ecke dort? Hervor!

DER BETTLER steht auf. Ich bins, mein gnädger Herr, und habe Sie schon lang erwartet.

FLOTTWELL. Was tritt mir dieser Bettler heut zum drittenmal entgegen? Der Bettler tut einen Schritt vor, nun bescheint ihn der Mond. Ha! wie der Mond sein Antlitz graß beleuchtet. Was willst du hier von mir, du grauenhaftes Bild des selbstgeschaffnen Jammers?

BETTLER kniet. Ach, das verzweiflungsvolle Los meines geheimnisvollen Elends und meine Herzensangst, daß Sie dies Land verlassen, zwingen mich, den morschen[567] Leib aufs neue in den Staub zu werfen. Sie sind der einzige in dieser unbarmherzgen Welt, auf dessen Großmut ich noch bauen kann.

FLOTTWELL. Hinweg von mir! je länger ich dich schaue, je greulicher kommt mir dein Anblick vor. Dring ihn nicht auf, ich will dich nie mehr sehen.

BETTLER. Es steht bei Ihnen, gnädger Herr, mich gänzlich zu verscheuchen. Doch müßten Sie dafür ein großes Opfer bringen. Oh, geben Sie die Hälfte dieses Schatzes nur, den Sie auf Ihrer Brust verbergen, und niemals hören Sie mich mehr zu Ihren Füßen wimmern.

FLOTTWELL. Habgieriges Gespenst! Hat Satan dich verflucht, daß du der Erde Gold sollst nach der Hölle schleppen? So ein frech Begehren kann ja Wahnsinn kaum erfinden. Ein Bettler, der um Millionen flehet!

BETTLER. Vernünftger ists, sie zu begehren, als sie wie du vergeuden.

FLOTTWELL. Wie wagst dus, mich zur Rechenschaft zu ziehen? Du undankbarer Molch, den ich so reich beschenkt!

BETTLER. Nie wird ein Bettler müd, den Reichen zu beneiden.

FLOTTWELL. Wie Hundgeklaffe bei des Diebs Erscheinen schallt sein Gebelfer durch die Nacht!

BETTLER gegen den Eingang rufend. Oh, hör es, Welt! Oh, hört es, Menschen alle! Der überreiche Mann läßt einen Bettler darben.

FLOTTWELL halblaut. Dies gräßliche Geschrei wird mich am End verraten. Schweig doch und nimm dies Gold, um deine Gier zu stillen.


Er wirft ihm einen Beutel hin.

Ferner Donner.


BETTLER hebt ihn auf. Laut jammernd. Zu wenig ists für mich, mein Elend ist zu groß. Ich laß nicht ab, der Welt mein Leid zu klagen Zwischen dem Eingang. und ruf die Menschheit zwischen uns zum Richter auf.

FLOTTWELL. Verstummst du nicht durch Gold, so mach[568] dich Stahl verstummen. Schweig! oder ich durchbohre dich!


Er zieht den Degen und durchsticht ihn.


BETTLER bleibt stehen. Mörder! Dein Wüten ist umsonst! Du hast mich nicht verwundet. Was ich begehrt, kann mich versöhnen nur. Nochmal bittend. Oh, möchtest du doch jetzt in meine Bitte willgen.

FLOTTWELL hartnäckig. Du willst mich zwingen? Nie!

BETTLER halblaut rufend. So flieh, Verschwender, flieh! Doch mir entfliehst du nicht, und an der Themse sehen wir uns wieder! Ab.


Der Mond verbirgt sich hinter den Wolken. Man hört den Wind brausen. Blitze leuchten.


FLOTTWELL. Als ich ihm dort im Mondlicht in das bleiche Antlitz starrte, ergriff es mich, als säh ich meines Vaters Geist. Die Nacht wird stürmisch. Ha! Ein Schatten fliegt daher!


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 567-569.
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