Erster Auftritt


[236] Romantische Gegend vor dem kolossalen Palaste der Zauberschwestern.

Zwei weiße Löwen liegen vor dem Eingange.

Vipria sinkt unter leiser Musik mit Nachtigall in ihrem Wolkenwagen nieder. Sie streiten noch während dem Niedersinken.


NACHTIGALL. Lassen S' still halten, ich bleib einmal nicht.

VIPRIA. Schweig!


Der Wolkenwagen ist am Boden, Nachtigall springt erzürnt heraus.[236]


NACHTIGALL. Wann ich aber nicht will. Da haben wirs, jetzt geht s' mit mir in einem Land nieder, wo ich gar nimmer z' Haus find, da muß ich verhungern, das ist eine unwirtbare Insel, wo soll ich da einen Wirt finden, der einen Harfenisten braucht?

VIPRIA. Beruhige dich, ich werde deine Tafel schon besorgen.

NACHTIGALL. Sie? Nun da hab ich schon gegessen, wenn ich das hör. Sie führen mich nimmer an.

VIPRIA. Die Zunge halt im Zaum, Raison nimm an.

NACHTIGALL. Was Raison? Ich räsonier genug. Wie können Sie eine ordentliche Person sein? Sie gehn ganz allein ins Wirtshaus wie ein Husar, packen mich auf und entführen mich, mich unschuldsvollen Mann, schamen Sie sich nicht?

VIPRIA. Ich habe dich zu deinem Glück entführt.

NACHTIGALL. So? und da kommen Sie mit der Equipage? Da kommt man mit sechs Rappen, aber nicht mit sechs Raben, da muß einer ja rabiat werden.

VIPRIA. Und doch werd ich dich hoch erheben.

NACHTIGALL. Ich bedank mich für eine solche Erhebung. Wann ich in der Luft oben häng, und fliegen die Raben um mich herum. Wollen Sie ein Rabenbratel aus mir machen?

VIPRIA. Ein Bettler bist du jetzt, ein Krösus sollst du werden.

NACHTIGALL. Ah, da muß ich bitten, jetzt heißt s' mich gar einen Bettelmann. Haben Sie meine glänzenden Verhältnisse nicht bemerkt, haben Sie nicht ghört, wie mich der Wirt auf den Glanz hergestellt hat? Jetzt werden Sie gleich mit mir gehen und werden mich an ein Ort führen, wo ich Sie verklagen kann.

VIPRIA. Den Löwen schenk ich dich zum Mahl, wenn du dich nicht in meinen Willen fügst.

NACHTIGALL. Was für Löwen? Sieht sich um und erblickt das Gebäude samt den Löwen, erzittert. O saprerment, das sind zwei Bologneserl. Auf einen Löwen deutend. Das eine muß ein Weibel sein, sie kokettiert auf mich. Jetzt zieh ich andre[237] Saiten auf. Verehrteste! Fällt auf die Knie. Ich bin jetzt, was Sie wollen, ich bin ein Bettelmann, ein Bettelweib, eine ganze Bettlerfamilie, wenn Sie befehlen, ich bitt gar schön, schenken S' mir nur ein bissen mein Leben.

VIPRIA. Steh auf, gib Augen deiner blinden Furcht, und sieh dich um im Vaterland der Blumen.

NACHTIGALL bleibt knien. Ich weiß es, ich bin voll Respekt, ein schönes Land, ich küß ihm die Hand, und blumenreich, mir hats von weiten schon gfallen, ich habs für ein großes Gartengschirr ghalten.

VIPRIA. Entzückt dich nicht der Wohlgeruch?

NACHTIGALL. Das glaub ich, die Woll riecht hier sehr gut. Das ganze Land ist ein völliger Pomadetiegel.

VIPRIA. Steh auf. Beiseite. Der Narr taugt ganz für meinen Plan. Laut. Dies Land ist nicht so unbewohnt, als du es wähnst. Hier atmen Tausende, und über sie herrscht eine junge, und eine schöne Königin.

NACHTIGALL. Also zwei Königinnen? eine Junge, und eine Schöne? Nu wenn die Junge auch schön ist und die Schöne auch jung, da muß einem schön die Wahl weh tun. Das wär' ein Glück, wenn ich da Harfenist werden könnt?

VIPRIA. O du bescheidner Wurm! An ihrer Seite wirst du herrschen, morgen schon.

NACHTIGALL. Hören S' auf. Sie Gspassige, Sie foppen mich. Eine Kinigin soll ich erhaschen? ein Kinigelhasen vielleicht.

VIPRIA. Zum Werkzeug meiner Rache hab ich dich entführt, noch heute abend wirst du hier ein Preisgedicht verfassen, wodurch die Hand der Herrscherin dir werden muß. Unter Tausenden wirst du das beste liefern.

NACHTIGALL. Das Beste liefern? Seltne Tugend eines Lieferanten.

VIPRIA. Jetzt eilst du hin und meldest dich in jenem herrlichen Palast, dort gibst du vor, du wärest ein Minstrel, ein Sänger aus dem fernen Engelland, dir wär Apoll erschienen, im Begeistrungstraum, und hätte dir befohlen, in dies Land zu segeln und der Dichtkunst Ehre hier zu retten[238] und eine Würde zu erringen, die deinem Geist gebührt und deinem Stolz.

NACHTIGALL. Das wird ein pompöser Einzug werden, mit den zerrissenen Hut und den gflickten Rock.

VIPRIA. Ein Wort von mir wird dich in goldene Kleider hüllen, und eine goldene Harfe schenk ich dir.

NACHTIGALL. Ah, da werd ich eine goldene Schneid haben, da geben S' acht. Das ist die neueste Erfindung in der Medizin, daß Gold die Nerven stärkt. Und wie haben s' das entdeckt? Da haben s' einen armen Teufel, der vor Hunger kaum mehr gehn hat können, alle Säck voll mit Dukaten gefüllt, und auf einmal hat sich eine solche Kraft an ihm geäußert und er ist so impertinent geworden, daß er die schönsten Leut bei der Tür hinausgworfen hat. Pums, haben s' ihm das Gold wieder weggenommen, und er war wieder so miserabel wie vorher.

VIPRIA. Ich will an dir erproben diese Kraft. Geh hin! Du wirst dort viele Dichter treffen, doch lache ihres Spotts. Zu Hermione laß dich führen, so heißt die Königin, dort bläh dich auf, durch Prahlerei vermehr die Häßlichkeit, die dir Natur verliehn, damit dein Anblick ihre Heiterkeit vergifte. Dann kehrst du schnell zurück und schlägst an dieses Tor, hier wirst durch Hülf der Phantasie du das Gedicht erschaffen, das dich zu Hermionens ewger Qual zum Herrscher stempelt ihres Reichs und ihrer halb verloschnen Reize.

NACHTIGALL. An das Tor soll ich anklopfen, wo die zwei Hausmeister vor der Tür liegen? Das laß ich bleiben. Wenn einer unrecht versteht, so macht er statt der Tür den Rachen auf. Da geh der Aken hinein, ich nicht.

VIPRIA. Den Löwen kümmert nicht die Maus. Geh hin, versuch's. Die Schwester öffnet dir.

NACHTIGALL. Jetzt haben die Löwen eine Schwester auch noch. Was ist zu tun? Hier zwei männliche Löwen, Auf Vipria deutend. dort ein weiblicher Tiger. Wer ist jetzt bissiger? Aufs Beißen gehts einmal los. Entschlossen. Ich halts mit die Löwen. Vielleicht sind sie ebenso großmütig, als[239] ich kleinmütig bin. Mut, Richard Löwenherz'! Lauft hin, klopft schnell an und springt gleich wieder zurück. Getroffen hab ich, was ich troffen hab, das wird der Himmel wissen.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 236-240.
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