Fünfter Auftritt


[277] Sturmmusik. Alzindens Gestalt als altes Weib, in Bettlerkleidung, rauscht im Hintergrunde, wischen den Flügeln des Nordwinds liegend, über die Bühne. Den Strom der Luft auszudrücken, in welchem eine geflügelte Figur mit aufgeblasenen Backen, die Locken mit Eis behängt, wie durch einen Schleier sichtbar ist, bleibt der Phantasie des Malers überlassen.

Die Musik geht in eine klagende über. Und nach einer bedeutenden Pause kommt Alzinde auf die Bühne. Sie hat graues Haar, ihre Gestalt ist ehrwürdig, ihre Kleidung abgenützt, aber nicht zerrissen.


ALZINDE. Wo bin ich wohl? wohin hat die Gewalt des Sturmwinds mich getragen? – Wie heißt die Unglückswelt, auf der ich mich befinde? – denn das ist nicht mein Reich, zu meinem Auge sprechen niegesehene Dinge, fremde Hütten, fremde Berge, ein fremder Himmel ohne Sonne,[277] ohne Mond, ohne Sterne, ohne Blau. Auch fühl ich mich so schwach. Ich will mich setzen. Jene Quelle soll mich laben. Sie setzt sich an den Rand des Beckens und sieht in den Wasserspiegel, springt auf. Welch häßliche Gestalt schaut aus dem Spiegel dieses Quells? Doch nicht mein eignes Bild? Nicht möglich! Streckt die Hand aus und erschrickt davor. Wem gehören diese welken Hände, diese abgelumpten Kleider, wessen Stelle muß ich hier vertreten? ich bin das nicht! Widerrufe, Quell! Besieht sich noch einmal, erstarrt. Er wiederholts, ich bins, ich bins, Fällt verzweifelnd auf den Rasen hin. ich Unglückselige! Richtet sich auf und lacht verzweiflungsvoll. Das ist Alzind, die Schönheitsblume Indiens, in eine welke Distel nun verwandelt. O du mein stolzer Geist, verjagt aus deinem üppigen Palast, was mußt du jetzt für ein verächtlich Haus bewohnen! Ich duld es nicht! verzweiflungsvolle Seele, sprenge doch die Riegel dieses morschen Kerkers! Ängstlich. Eilt mir zu Hülfe, Große meines Reiches! wo seid ihr, meine Diener, Stark rufend. meine Sklaven! Echo ruft: Sklaven. Es ist umsonst, das Echo ist der einzge Sklave meines Rufes. Ich bin allein, verbannt von meinem Volke, meinem Gott. Was rauscht? Ha! Ein Geschöpf aus dieser Welt. O du erbärmliche Gestalt!


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 277-278.
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