An die Stadt Berlin

[18] 1759.


Ich sahe sie! (mir zittern die Gebeine!)

Ich sah, bekümmertes Berlin,

Die Göttinn deines Stroms vor deinem Tannenhaine

Mit ihren Schwänen ziehn!


Vergönne mir, Najade, nachzulallen,

Was mein erstauntes Ohr durchdrang,

Und was dein Göttermund den Faunen sang, und allen

Hamadryaden sang. – –
[19]

Sey mir gegrüsst, Augusta, meine Krone!

Die Städte Deutschlands bücken sich!

Es höre meinen Stolz Belt, Donau, Wolga, Rhone,

Und weichen hinter mich!


Was fürchten wir, ist gleich die Zahl des Feindes

Wie dieser beiden Ufer Sand?

O Tochter! hast du nicht zur Seite meines Freundes

Stets einen Gott erkannt?


Stritt Jupiter nicht selbst mit Friedrichs Volke,

Und donnerte den Feind zurück?

Warf nicht der Kriegesgott einst plötzlich eine Wolke

Vor seines Mörders Blick?
[20]

Sah ich nicht jüngst, als er vom fernen Süden

Den Riesen aus der Mitternacht

Sein Heer entgegenriss, (ein kleines Heer von Müden,

Bereit zur zehnten Schlacht,)


Wie das Panier, von seiner Hand gefasset,

Zur drohenden Aegide ward?

Die Feinde sahn den Schild der Pallas, die sie hasset:

Und hafteten, erstarrt,


Am Boden; bis sie durch sein Heer zerschlagen,

Das unaufhaltsam weiter drang.

Wie Halmen von des Himmels Shlossen niederlagen

Dreyhundert Hufen lang.
[21]

Ja, dinget nur die halbe Welt zusammen,

Und raset wider Einen Mann,

Und wendet wider ihn Verrath, Nacht, Meyneid, Flammen,

Den ganzen Orkus an:


Borussiens gerechter Held soll siegen!

Die Götter schützen ihren Sohn.

Bald wird er im Triumph zu seinen Kindern fliegen.

Er kömmt, ich seh ihn schon!


Er kömmt, das Haupt mit Stralen rund umwunden,

Wie Delius Apollo kam,

Als er den Python schlug und ihm mit tausend Wunden

Die schwarze Seele nahm.
[22]

Eilt, ihn in Erz den Enkeln aufzustellen!

Eilt, einen Tempel ihm zu weihn

Am Rande meines Stroms! ich brenne, seine Schwellen

Mit Bluhmen zu bestreun.


Quelle:
Karl Wilhelm Ramler: Oden, Berlin 21768, S. 18-23.
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